- Sport
- Frankreich gegen Österreich
Kylian Mbappé: Siegen gegen rechts
Der Starstürmer lässt seinem bemerkenswerten politischen Aufruf beim 1:0 gegen Österreich ein sehr gutes Spiel folgen
Die technischen Beobachter der Uefa konnten nicht anders: N’Golo Kanté wurde zum Spieler des Spiels Österreich gegen Frankreich gewählt. Und nicht Kylian Mbappé. Fußballarbeiter statt Starstürmer. Auch mal schön. Der mit Abstand auffälligste Akteur in Düsseldorf aber war Mbappé: Und das ist ein sehr gutes Zeichen. Denn dem 25-jährigen Franzosen wurde fälschlicherweise hier und da schon der Fluch einer guten Tat bei dieser EM angedichtet.
Das letzte Wort hatte am Montagabend Didier Deschamps. Als Frankreichs Trainer vor versammelter Presse vom »Tiefpunkt« sprach, ging es um seinen Kapitän: »Es geht ihm nicht gut.« Kurz zuvor war Kylian Mbappé mit einer Maske im Gesicht in die Düsseldorfer Uniklinik gebracht worden, nachdem er sich in der Schlussphase der Partie an der Schulter des Österreichers Kevin Danso die Nase gebrochen hatte. Nach einer Behandlungspause setzte er blutüberströmt ein letztes Zeichen für sein Team: Weil der spanische Schiedsrichter Jesús Gil Manzano den längst signalisierten Wechselwunsch unerklärlicherweise nicht erfüllte, betrat er wieder das Spielfeld und setzte sich sodann auf den Rasen. Dafür sah Mbappé richtigerweise Gelb und später eben nicht die Auszeichnung als Spieler des Spiels. Aber er handelte als Führungsspieler, schließlich führte Frankreich noch immer nur 1:0. Dabei sollte es bleiben.
Dieser verdiente Sieg gegen kämpferische und laufstarke, aber letztlich zu harmlose Österreicher wird in der Gruppe D umso wichtiger, sollte der Kapitän am kommenden Freitag gegen die Niederlande nicht spielen können. Denn Mbappé war an fast allen gefährlichen Situationen beteiligt. Selbst scheiterte er zweimal aus aussichtsreicher Position. Zum entscheidenden Dribbling hatte er in der 38. Minute angesetzt, seine folgende Flanke führte zum Eigentor von Maximilian Wöber.
Dieser Sieg ist jedoch sehr viel mehr wert als die drei Punkte in der Tabelle. Denn Mbappé hatte am Sonntag gesagt, dass es Dinge gebe, die wesentlich wichtiger seien als dieses Spiel. Diese Sätze folgten: »Ich will jetzt zur jungen Generation in unserem Land sprechen: Wir sehen, dass die Extremen an die Tür der Macht klopfen. Dies ist ein wichtiger Moment in der Geschichte unseres Landes. Wir haben die Möglichkeit, die Zukunft unseres Landes zu gestalten. Ich rufe alle jungen Menschen auf, zur Wahl zu gehen.« Am 30. Juni und am 7. Juli sollen sie ihre Stimmen abgeben, wenn die von Emmanuel Macron angesetzten Neuwahlen zur Nationalversammlung anstehen. Dazu sah sich Frankreichs Staatspräsident wiederum genötigt, nachdem der ultrarechte Rassemblement National bei der Europawahl mit mehr als 31 Prozent zur stärksten Partei aufgestiegen war.
Aus Mbappés Worten wurden schnell Schlagzeilen, überall. Die inhaltliche Auseinandersetzung beschränkte sich vor allem in deutschen Medien auf den Vergleich mit der DFB-Elf in Katar und der damit einhergehenden Frage, ob dies hilfreich sei – sportlich, bei dieser Europameisterschaft. Als Antwort ein Zitat des Starstürmers: »Man muss trennen, was wichtig ist und was nicht.« Der Sieg Frankreichs, in bester Weise angeführt vom Kapitän, war hilfreich, um das Thema von der sportjournalistischen Kleingeistigkeit zu lösen: Also ja, auch ein Fußballer darf und kann eine Meinung zu anderen Themen haben und sie jederzeit äußern. Wichtig war der Sieg mit Blick auf diejenigen, die Mbappé erreichen will: Der Weltstar ist ein Vorbild, Held und Idol für unzählige junge Menschen, und das nicht nur in Frankreich. Schließlich stürmt er in der kommenden Saison für Real Madrid. Für all seine Fans hat er seinen Worten auch Taten folgen lassen: Siegen gegen rechts hieß es nach dem Spiel in der Düsseldorfer Arena.
Der Verweis auf die WM in Katar klingt naheliegend, ist aber falsch. Eine billige Ausrede und für manche ein willkommene Deutung war, dass die DFB-Elf sich aufgrund ihres Protestes nicht auf das Wesentliche konzentriert habe. Das Ausscheiden in der Vorrunde war jedoch nur eine Fortsetzung der negativen sportlichen Entwicklung der deutschen Nationalmannschaft in den Jahren zuvor. Den Druck, sich vielleicht positionieren zu müssen, hat neben etlichen Politikern vor allem der DFB aufgebaut. Doch seinen großen Ankündigungen, die Gastgeber und die Fifa nachdrücklich auf die Probleme im Emirat hinzuweisen, folgte ein fast schon erbärmliches Einknicken. Denn der DFB war nicht bereit, die Konsequenzen zu tragen – in sportlicher, sportpolitischer und vor allem finanzieller Sicht. Und von den Versprechen vieler, nach dem Turnier in Katar weiterhin auf Verbesserungen zu drängen, ist nichts geblieben.
Frankreichs Fußballverband »unterstützt den notwendigen Aufruf zur Stimmabgabe« und gewährt den Spielern »Meinungsfreiheit«, wie er mitteilte. Ähnlich wie Mbappé hatten sich auch Marcus Thuram und Ousmane Dembélé geäußert. Gleichzeitig will der Verband aber auch »jegliche Form von Druck und politischer Ausnutzung des französischen Teams vermeiden«. Aber weil es sich im Unterschied zur WM in Katar um das eigene Land handelt, wird er auch selbst aktiv. Wie die Tageszeitung »Le Parisien« erfahren haben soll, wollen mindestens 40 Mitglieder der französischen EM-Delegation bei der Wahl, die während des Turniers stattfindet, ihre Stimme abgeben. Weil bei dem kurzfristig angesetzten Votum keine Briefwahl möglich ist, muss dies ein Bevollmächtigter vor Ort erledigen.
Der Dienstag begann für das französische Team mit einer guten Nachricht: Mbappé muss nicht operiert werden. Der Kapitän ist zurück im Paderborner Trainingscamp, eine Spezialmaske soll dort ebenfalls bald eintreffen. Ein jubelnder Mbappé mit Maske, das wäre auch ein bleibendes Bild. Schließlich will Frankreich nach 24 Jahren endlich wieder Europameister werden. Superlative und Ähnliches werden im Sport ja recht oft missbraucht. Schon 2018, als der damals 19-jährige Stürmer beim Gewinn des Weltmeistertitels in Russland die Fußballwelt verzückt hatte, hieß es: »Liberté, Egalité, Mbappé!« Jetzt klingt es doch sehr viel treffender.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.