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Solarrevolution im Hinterhof
Vergangenes Jahr verdoppelte sich die Photovoltaik-Kapazität in Deutschland
Steckersolargeräte sind der neue Hype am Photovoltaik-Markt. Die als »Balkonkraftwerke« bekannten Stromerzeuger legten 2023 mit fast 400 Prozent das größte Plus hin und haben es nun in die Jahresbilanz des Branchenverbands BSW Solar geschafft. Zwar haben die Anlagen meist nur 600 Watt Leistung, sodass sich der Zuwachs auf Balkonen und in Gärten mit insgesamt 200 Megawatt in Grenzen hält. Für Carsten Körnig ist das dennoch ein erfreulicher Trend. Immer mehr Mieterinnen und Mieter könnten jetzt »einen kleinen Beitrag« zur Energiewende leisten und vom inzwischen preiswert gewordenen Solarstrom profitieren, sagte der Geschäftsführer des BSW Solar am Mittwoch in München.
In Deutschland habe es in den Eigenheimsiedlungen eine »solare Sonderkonjunktur« und auf heimischen Balkonen eine »kleine Energierevolution« gegeben, bilanzierte Körnig weiter. Zuletzt habe sich die private Nachfrage nach Solardächern zwar etwas abgekühlt, sie bleibe aber weiter hoch.
Für den Boom auf den Dächern der Eigenheime führt Körnig zwei Gründe an. Erstens hätten viele Menschen aufgrund der Corona-Pandemie zu Hause gearbeitet und festgestellt, dass es an der Zeit sei, sich eine Solaranlage anzuschaffen. Zweitens hätten der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiekrise für einen Bewusstseinswandel gesorgt. Für den Solar-Ausbau gebe es inzwischen durchwegs einen »hohen gesellschaftlichen Konsens«, unabhängig auch von den jeweiligen Parteifärbungen, sagte Körnig am Mittwoch. Akzeptanz gebe es auch dann, wenn in der Nähe Freiflächenanlagen geplant werden.
Im Einzelnen entwickelten sich die Solar-Segmente 2023 wie folgt: Kleine Photovoltaik-Anlagen unter 30 Kilowatt wuchsen um 7600 Megawatt, größere Dachanlagen über 30 Kilowatt nahmen um 2700 Megawatt zu und Freiflächenanlagen um 4500 Megawatt. Alles in allem verdoppelte sich im vergangenen Jahr die installierte Photovoltaik-Kapazität in Deutschland.
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Und das Wachstumstempo legte zuletzt sogar noch zu: Die ersten drei Monate dieses Jahres waren das stärkste Quartal, seit die Branche ihre Statistik führt. Die gesamte Solarbranche erzielte 2023, Speicher eingeschlossen, einen Umsatz von etwa 30 Milliarden Euro. Das ist so viel, wie die gesamte Lufthansa-Gruppe oder die Rewe-Gruppe umsetzt.
Der neue Trend bei privaten Kunden sind Stromspeicher. Bei Eigenheimen seien sie inzwischen Standard, so Körnig. So legen sich 80 Prozent der Haushalte die Solaranlage gleich mit einem Speicher zu. Entsprechend verdoppelte sich 2023 die Speicherkapazität. Mit den vorhandenen 1,2 Millionen Stromspeichern ließe sich theoretisch der tägliche Energiebedarf von 1,5 Millionen Zwei-Personen-Haushalten decken.
Mittlerweile bieten in Deutschland über 90 Hersteller Speichersysteme oder einzelne Komponenten zur Speicherung von Solarstrom an, listete kürzlich die von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) vorgelegte Stromspeicher-Studie 2024 auf. Im Schnitt könnten private Haushalte durch eine Photovoltaikanlage ihren jährlichen Strombezug aus dem Netz um 2000 Kilowattstunden reduzieren, gibt die Studie an. Mit einem zusätzlichen Batteriespeicher sinke der Netzbezug dann auf 1500 Kilowattstunden.
Einfamilienhaushalte mit Solaranlage und Batteriespeicher würden dann im Schnitt einen Autarkiegrad von 70 Prozent erreichen. Tendenziell erhöht ein Batteriespeicher den Autarkiegrad sehr energiesparsamer Haushalte besonders. Einer der von den HTW-Fachleuten untersuchten Haushalte bezieht durch den Einsatz eines Solar-Speichersystems nur noch fünf Prozent seines Stroms aus dem Netz.
Neben einer Fortsetzung des Speicherbooms erwartet die Solarbranche vor allem deutlich mehr Photovoltaik auf Gewerbedächern sowie auf Freiflächen. Mit dem kürzlich beschlossenen Solarpaket der Bundesregierung und der darin verankerten gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung könne auch endlich der Knoten im Mietwohnungsbereich durchschlagen und die Realisierung von sogenanntem Mieterstrom deutlich erleichtert werden, ist sich BSW-Chef Körnig sicher. Die Branche rechnet damit, dass nunmehr auch Wohnungswirtschaft und Wohnungseigentümer stärker in die Photovoltaik einsteigen. Bis 2030 soll sich, so das Ziel, der Solarstrom-Anteil am Strombedarf in Deutschland in etwa verdoppeln – von derzeit zwölf Prozent auf rund 25 Prozent.
Das Wachstum bringt derzeit allerdings auch zunehmende Probleme auf dem Strommarkt mit sich. Gerade der Solarboom sorgt dafür, dass über die Mittagszeit besonders viel erneuerbarer Strom im Netz ist. Zunehmend auch mehr, als verbraucht werden kann. Das führt zu sogenannten negativen Strompreisen. 2023 gab es insgesamt 300 Stunden mit »negativen Strompreisen« in Deutschland. Wer bei negativen Marktpreisen Strom einspeist, erhält keine Erlöse, sondern muss für seinen eingepreisten Strom bezahlen. Das bereitet auch den erneuerbaren Energien Probleme, die dann weniger Erlöse erzielen.
Körnig forderte die Politik auf, für Reformen am Energiemarkt zu sorgen, damit die Einspeisung von Solarstrom künftig bedarfsgerechter erfolgt. Er verwies dabei auf den Vorschlag der Erneuerbaren-Branche, die EEG-Vergütung nicht für einen festen Zeitraum von bislang 20 Jahren zu gewähren, sondern für eine bestimmte Strommenge.
Anderenfalls, so Körnig, ließe sich das Problem durch konsequente Flexibilisierung lösen, durch Speicherausbau und eine intelligente Nachfragesteuerung mit der Verknüpfung mit Wärmepumpen. Die Politik müsse dafür sorgen, dass der massive Speicherausbau nicht nur zur Eigenoptimierung der Verbraucherhaushalte beitrage, sondern zum Ausgleich im gesamten Stromsystem.
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