Interventionistische Linke: Revolution in kleinen Brüchen

Größtes postautonomes Netzwerk veröffentlicht neues Strategiepapier

  • Anton Benz
  • Lesedauer: 4 Min.

2014 veröffentlichte die Interventionistische Linke (IL), die zu den bundesweit größten linksradikalen Organisationen gehört, ihr erstes Strategiepaper. Seitdem ist viel passiert. Und so beginnt das am Mittwoch veröffentlichte Nachfolgedokument mit einer Analyse dieser Veränderungen: Kriege, Klimakrise und das Scheitern des kapitalistischen Erfolgsversprechens seien verantwortlich dafür, dass sich der Fokus der sozialen Bewegungen verändert habe. Während der globale Bewegungszyklus der frühen 2010er Jahre von der Forderung nach wirklicher Demokratie geprägt war, gehe es für soziale Bewegungen heute um Fragen des Lebens und Überlebens.

Eine zentrale These der IL ist, dass weder das rechts-autoritäre noch das grün-progressive Lager eine Antwort auf diese Krisen der Gegenwart hätten. »Beide würden am Ende die Festung Europa weiter ausbauen«, heißt es in einer Pressemitteilung. Stattdessen sei es für die Überwindung des Kapitalismus notwendig, eine linke Gegenmacht von unten zu entwickeln und die linksradikale Organisierung fortzusetzen.

Weit entfernt von linker Gegenmacht

Doch von solch einer Gegenmacht ist die radikale Linke derzeit weit entfernt, geht die Analyse weiter. Neben einer individualistischen Identitätspolitik seien gegenwärtig vor allem »rote Gruppen« im Vormarsch, die einen engstirnigen Klassenkampf führen wollten. Beiden Ansätzen linker Politik falle es jedoch schwer breite Bündnisse einzugehen. Genau das aber ist der Kern der Interventionistischen Linken, die sich als Zusammenschluss linksradikaler Gruppen und Einzelpersonen aus der undogmatischen und emanzipatorischen Linken betrachtet. Und so heißt es im zweiten sogenannten Zwischenstandspapier: »Wir setzen darauf, linke Bewegungen in ihrer Gesamtheit zu stärken, zu verbinden und Vertrauen untereinander zu schaffen.«

»Wir setzen darauf, linke Bewegungen in ihrer Gesamtheit zu stärken, zu verbinden und Vertrauen untereinander zu schaffen.«

Aus dem zweiten »Zwischenstandspapier«
der Interventionistischen Linken

Die Vision der IL: eine Revolution in kleinen Brüchen. »Wir begreifen Revolution als einen Prozess, in dem der bürgerliche Staat und seine Institutionen schrittweise überwunden werden«, schreibt die Organisation. Kleine Brüche seien die Grundlage eines erfolgreichen revolutionären Kampfes, denn sie »verschieben den Horizont des Möglichen«, »erreichen eine reale Verbesserung« und erzeugen »handlungs- und durchsetzungsfähige Strukturen«, in denen sich Menschen organisieren können.

Ein Beispiel, das »in die Richtung eines kleinen Bruchs weist«, sei die Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen, an der die IL maßgeblich beteiligt ist. Diese habe Vergesellschaftung vorstellbar gemacht: Eine Umsetzung würde das Leben der Mieter*innen verbessern, und die Arbeit habe dazu geführt, dass sich Mieter*innen und Aktivist*innen dauerhaft organisiert hätten.

Vergesellschaftung für die Revolution

Doch auch über den Kampf um bezahlbares Wohnen hinaus führt die IL Vergesellschaftung als den zentralen Hebel einer linken Gegenmacht an; nicht zuletzt könne man dadurch zeigen, wie sie sich die Gesellschaft nach der Revolution ausmalt: nämlich eine, in der Eigentum kollektiv und demokratisch verwaltet wird und nicht der Profitmaximierung dient, sondern der Bedürfnisbefriedigung.

Die IL schlägt in der Veröffentlichung auch selbstkritische Töne an, vor allem was die konkrete Umsetzung ihrer Strategie angeht. Zu häufig habe die Bündnisarbeit darin gemündet, dass Mitglieder der IL eine »Projektmanager*innen-Rolle« einnahmen – zu oft sei es darum gegangen, Bündnisse am Leben zu halten, statt linksradikale Politik auf die Straße zu tragen. Und auch wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams stattgefunden hätten, seien diese in den letzten Jahren bisweilen zu großen Choreografien verkommen, die sich oft auf Sitzblockaden und deren möglichst reibungslosen Ablauf beschränkten.

Mit dieser Kritik ist ganz explizit auch die Letzte Generation gemeint, eine Klimagruppe, die erst viele Jahre nach dem ersten Strategiepapier 2014 entstand. Den Alltag vieler Menschen zu unterbrechen, reiche schlichtweg nicht aus, um die Politik zum Einlenken zu bewegen. Dafür brauche es die »gleichzeitige Organisation massenhaften Rückhalts und eine politische Vermittlung, die dem Status quo eine linke Alternative entgegensetzt«.

Eine Absage an den zivilen Ungehorsam also? Im Gegenteil: Künftige Aktionen sollten noch stärker auf die Unterbrechung des Betriebsablaufs oder Alltags ausgerichtet werden, heißt es in dem Papier, doch es müsse eben ein wirklich massenhafter Ungehorsam sein. Konkret wird die IL dabei nicht. Nur so viel: »Wir wollen nicht mehr nur vor dem Kraftwerk oder der Fabrik sitzen, während die kapitalistische Katastrophe weitergeht. Gemeinsam mit den Vielen gilt es zu unterbrechen, anzueignen und unschädlich zu machen.«

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