Krieg gegen Drogen oder Krieg mittels Drogen?

In Afghanistan haben die Taliban offenbar für einen drastischen Rückgang des Opiumanbaus gesorgt.

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 5 Min.

In den letzten Monaten sorgte eine Nachricht aus Afghanistan immer wieder für Aufsehen: Der Drogenanbau im Land habe sich seit der Machtübernahme der Taliban drastisch verringert. Das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung berichtete Ende 2023 von einem Rückgang von 95 Prozent. Demnach wurden seit April 2022 nur noch 333 Tonnen Schlafmohn im Land produziert. Zuvor waren es noch 6200 Tonnen.

Dass Afghanistan seit vielen Jahren zu den wichtigsten Opiumproduzenten der Welt gehört, ist allgemein bekannt, ebenso wie dass der Anbau vor allem in den zwei Jahrzehnten der Nato-Besatzung florierte. Es waren nicht nur die Taliban, sondern auch mit dem Westen verbündete Warlords und Politiker, die stark vom Anbau profitierten. Ein prominentes Beispiel hierfür ist etwa Ahmad Wali Karzai, der 2011 getötete Halbbruder des afghanischen Ex-Präsidenten Hamid Karzai. Er gehörte zu den wichtigsten Drogenbaronen des Landes und stand gleichzeitig auf der Gehaltsliste der CIA. »Ahmad Wali Karzai konnte mit seinem Schmuggelnetzwerk frei agieren und missbrauchte staatliche Ressourcen, etwa Milizen der Armee, für seine persönlichen Zwecke«, erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter des afghanischen Parlaments. Aus Sicherheitsgründen zieht er es vor, anonym zu bleiben. Ähnlich wie mit Karzai verhielt es sich auch mit anderen Protagonisten des amerikanischen »War on Terror« am Hindukusch. Währenddessen ließen die Taliban in den von ihnen kontrollierten Regionen den Anbau weiterlaufen, um mit den erhobenen Steuern ihren Krieg gegen die Nato-Truppen und ihre afghanischen Verbündeten zu finanzieren. Hier galt unter anderem auch die Devise, dass man (als frommer Muslim) Drogen zwar nicht konsumieren dürfe. Allerdings sei es erlaubt, sie im »Zustand des Krieges« gegen »ungläubige bzw. nicht-muslimische Besatzer« und deren Gesellschaften zu benutzen, um ihnen zu schaden.

Die gegenwärtige Anti-Drogen-Politik der Taliban soll hingegen an ihren einstigen Kampf gegen den Mohnanbau anknüpfen. Kurz vor dem Sturz des Taliban-Regimes setzte der damalige Gründer und Führer der Bewegung, Mullah Mohammad Omar, ein rigoroses Verbot durch, das innerhalb kürzester Zeit zu einem Einbruch des afghanischen Opiumanbaus führte und den internationalen Drogenmarkt erschütterte. Damals wie heute rechtfertig(t)en die Taliban ihr Vorgehen mit islamischen Geboten, die den Konsum und Anbau von Rauschmitteln untersagen. In diesem Kontext lassen sich auch andere Schritte ihrer Drogenpolitik deuten, etwa das Aufsammeln von Suchtopfern auf den Straßen Kabuls, die Errichtung von Suchtzentren, in denen – unter meist schlimmen Bedingungen – ein kalter Entzug stattfindet, sowie das Verbot jeglicher Drogenverarbeitung und jeglichen Verkaufs.

Obwohl nicht wenige Afghanen diese Schritte begrüßten, wurden sie auch zahlreich kritisiert. So hieß es etwa, dass auch vermeintliche Drogenopfer von den Taliban inhaftiert und verschleppt wurden. In den Kliniken seien Patienten körperlich misshandelt oder getötet worden. Fakt ist, dass keine unabhängige Kontrolle stattfindet und die Taliban nach eigenem Belieben handeln. Ähnliches scheint auch bei den jüngsten Verboten der Fall zu sein. Ein genauer Blick ins Land lässt die vermeintliche Frömmigkeit der Extremisten nämlich bröckeln. »Ich habe einen guten Freund aus Helmand. Dort floriert der Opiumanbau weiterhin – und er ist ein gutes Investment geworden«, erzählt Elias Shah, ein Student aus Kabul. Sein besagter Freund stammt aus einem der wichtigsten Anbaugebiete des Landes. In den letzten Jahren wurde dort teils mehr Schlafmohn erwirtschaftet als in ganz Kolumbien. »Ich denke nicht, dass sie wirklich effektiv gegen den Anbau vorgehen. Dafür sind sie zu abhängig davon«, meint Shah.

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Ähnlich sieht das auch der afghanische Analyst und Anthropologe Sayed Jalal Shajjan. »Viele Menschen sind der Ansicht, dass die Taliban mit ihrer Anti-Drogen-Politik nur die Preise in die Höhe treiben wollen, um im Anschluss mit deutlich weniger Opium mehr zu verdienen«, meint Shajjan und führt Gründe an, um seine These zu untermauern. So sei das Taliban-Regime, das auf internationaler Ebene weiterhin isoliert ist, von Drogenbaronen und deren Steuergeldern abhängig. Hinzu käme eine drohende Bauernrevolte, denn diesen würde anstelle des Schlafmohnanbaus weiterhin keine ernstzunehmende Alternative geboten werden. »Die obersten Führer der Taliban können ja Entscheidungen treffen, doch ihre Kommandanten vor Ort müssen sich mit den Realitäten herumschlagen«, so Shajjan.

Zu diesen Realitäten gehört auch Hajji Bashir Noorzai, der als einer der führenden Drogenbarone des Landes galt, bis er 2005 filmreif von der US-Drogenbehörde DEA verhaftet und in den USA zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Seit September 2022 befindet sich Noorzai infolge eines Gefangenenaustauschs auf freiem Fuß in Afghanistan. Er pflegt enge Verbindungen zur Taliban-Führung und gilt als wichtiger Mittelsmann zwischen dem Regime und China. Nach seiner Rückkehr nach Afghanistan wurde er von zahlreichen Taliban-Vertretern am Kabuler Flughafen auf dem roten Teppich empfangen. Die afghanische Nachrichtenwebseite Kabul Now bezeichnete Noorzai als den »Pablo Escobar der Taliban«. Dass er in Afghanistan seinen alten Geschäften aufgrund gegenwärtiger Verbote nicht mehr nachgeht, wagen viele Beobachter zu bezweifeln.

Deutlich eindeutiger fallen hingegen die Ergebnisse der Arbeit von David Mansfield aus. Der Wissenschaftler beschäftigt sich schon seit Jahren mit der afghanischen Kriegsökonomie und wertet im Kontext der Opiumproduktion des Landes Satellitenbilder aus, die er für mehr als nur aussagekräftig hält. 2022 wurde in Helmand noch auf 122 000 Hektar Land Schlafmohn angebaut. Im April 2023 waren es nur noch 740 Hektar. Zu ähnlichen Resultaten kam er auch in der östlichen Provinz Nangarhar, wo 2023 auf nur noch 865 Hektar (anstelle von über 7000 Hektar) angebaut wurde.

Mansfield zufolge sind die Taliban also recht erfolgreich bei ihrem Kampf gegen den Opiumanbau. Doch viele der daraus resultierenden Folgen würden dabei nicht bedacht werden. Laut dem United States Institute of Peace (USIP) sei das »erfolgreiche Opiumverbot der Taliban schlecht für die Afghanen und die Welt«. Der Thinktank, der einst vom US-Kongress gegründet wurde, spricht in diesem Kontext von gravierenden wirtschaftlichen und humanitären Folgen, die zu einer weiteren Migrationskrise führen könnten. Afghanistans Agrarsektor hätte aufgrund des Verbots bereits mehr als eine Milliarde US-Dollar Verlust erlitten. Viele der ohnehin schon verarmten Bauern würden sich bereits, mitsamt ihrer Familien, in Existenzkrisen befinden. Ob der Rückgang der Opium-Anbauflächen in Afghanistan wirklich eine gute Nachricht ist, muss bezweifelt werden.

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