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Javier Milei und seine rechten deutschen Freunde

Argentiniens Präsident wird vom rechten Rand der FDP und der AfD hofiert und von Bundeskanzler Olaf Scholz empfangen

  • Ute Löhning und Sophia Boddenberg
  • Lesedauer: 8 Min.

Freiheit – das ist der Begriff, an dem der rechte Rand der FDP, die AfD und der rechtslibertäre Präsident von Argentinien, Javier Milei, sich treffen. Die Hayek-Gesellschaft zeichnet Milei bei seinem ersten Besuch in Deutschland am Samstag in Hamburg mit einer Medaille für seine »Verdienste um die Idee der Freiheit« aus. Milei gebe der Welt »ein leuchtendes Beispiel für die Kraft liberaler Ideen« und sei ein »ambitionierter Reformer im Sinne Hayeks«, gab die wegen fehlender Abgrenzung zur AfD kritisierte Gesellschaft bekannt. Der österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek gilt als einer der wichtigsten Theoretiker des Neoliberalismus und des Libertarismus. Eine seiner zentralen Ideen: Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft müssen so weit wie möglich reduziert werden.

Am Sonntag empfängt Bundeskanzler Olaf Scholz Milei in Berlin. Der extrem rechte Präsident, der Argentinien seit Dezember regiert, kam mit der Unterstützung der traditionellen Rechten und einem Netzwerk von rechtslibertären Thinktanks an die Macht. Er bezeichnet sich selbst als »Maulwurf«, der den Staat von innen zerstören will. Im Mai trat er in Madrid bei dem von der ultrarechten spanischen Partei Vox initiierten Treffen »Viva 2024« der internationalen extremen Rechten als Starredner auf.

Milei will den »Systemwechsel«

Milei wolle »den Staat, die Wirtschaft und die Gesellschaft komplett umbauen«, sagte Paula Litvachky, Leiterin der argentinischen Menschenrechtsorganisation CELS, zu »nd« . Einen solchen »Systemwechsel« zu erreichen, werde nicht ohne den Einsatz massiver staatlicher Gewalt möglich sein. Die konservative Rechte habe Mileis Aufstieg erst ermöglicht, sagt Litvachky. Obwohl Milei während seines Wahlkampfs die Politiker*innen traditioneller Parteien als »politische Kaste« beschimpfte, ernannte er einige anschließend zu Minister*innen.

Der Soziologe Andreas Kemper lehnt im Gespräch mit »nd« den Begriff »libertär« ab, »weil das eigentlich einen feministischen und sozialpolitischen Impetus hat«. Er schlägt die Bezeichnung »antisozial« vor, im eigentlichen Wortsinn würde das genau auf die libertäre Ideologie und die sogenannten Libertarians zutreffen.

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Der Mann mit der Kettensäge

In Argentinien hat Javier Milei die Kettensäge als Symbol für die Beschneidung des Staates und der öffentlichen Ausgaben etabliert. Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit bezeichnet er als »Attentat gegen die Freiheit und das Privateigentum«. Seit seinem Amtsantritt im Dezember hat er elf Ministerien geschlossen – darunter das Arbeits-, Frauen- und Umweltministerium –, zehntausende öffentliche Angestellte entlassen, staatliche Subventionen für Strom und Transport verringert, die Mietpreisbremse abgeschafft und das Bildungsbudget um 70 Prozent gestutzt.

Als der Senat am 12. Juni über ein umstrittenes Gesetzespaket abstimmte und tausende Menschen vor dem Kongressgebäude protestierten, bezeichnete Regierungssprecher Manuel Adorni die Gegner*innen von Mileis neoliberalem Schockprogramm als »Terroristen«, die »die Demokratie abschaffen wollen«.

Anti-Milei-Proteste

Der rechtslibertäre argentinische Präsident Javier Milei ist auf Europareise. Drei Thinktanks (Instituto Juan de Mariana in Spanien, Hayek-Gesellschaft in Hamburg, Liberales Institut in Tschechien) werden ihm einen Preis verleihen, ebenso die rechte Madrider Stadtregierung von Isabel Díaz Ayuso.
Bundeskanzler Olaf Scholz wird Milei am 23. Juni im Kanzleramt zu einem Arbeitsbesuch empfangen. Es wird keine Fragemöglichkeit für die Presse geben – aber nach letztem Stand auch keine militärischen Ehren. Wichtiger ist jedoch, dass beide Seiten an der Umsetzung des geplanten EU-Mercosur-Handelsabkommens arbeiten. NGOs wie Powershift befürchten, dass es zur Ausweitung von Monokulturen und Landvertreibung, zur Schwächung der lokalen Lebensmittelproduktion, zu mehr Pestizideinsatz und Entwaldung führen wird.
Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen appellierte in einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, die Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen auszusetzen. Die argentinische Menschenrechtsorganisation CELS zielt in Briefen an Scholz beziehungsweise an Baerbock in eine ähnliche Richtung. Im Rahmen eines Anti-Milei-Monats ruft das Bündnis am Wochenende zu Protesten in Hamburg und Berlin auf, wo am 22. Juni ab 13 Uhr ein Demokratiefestival gegen Milei am Marx-Engels-Forum stattfindet.  ulo

Maaßen, Vosgerau und von Storch

In der 1998 gegründeten Hayek-Gesellschaft, die Milei in Deutschland mit einer Medaille ehrt, üben Rechtslibertäre aus verschiedenen politischen Parteien und Spektren den Schulterschluss. Darunter sind Persönlichkeiten wie die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, der frühere Verfassungsschutz-Chef und spätere Gründer der Werteunion, Hans-Georg Maaßen, und der Jurist Ulrich Vosgerau, der im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) sitzt, diese sowie die AfD anwaltlich vertritt und bei dem wegen »Remigrationsplänen« bekannt gewordenen Treffen in Potsdam dabei war. Oder auch Michael Limburg, AfD-Mitglied und Vizepräsident des EIKE-Instituts, das den menschengemachten Klimawandel leugnet, sowie Markus Krall und Thorsten Polleit, die dem Management der Degussa Goldhandel GmbH angehörten, das Unternehmen aber 2022 bzw. 2023 verlassen mussten.

Die Hayek-Gesellschaft finanziert sich durch die Familie Radmacher und aus Erträgen der 20 Millionen Euro schweren gemeinnützigen »Inge und Edmund Radmacher Stiftung für eine Gesellschaft freier Bürger«. Der verstorbene Edmund Radmacher knüpfte die Weitergabe von Geldern aus seiner Stiftung an die Hayek-Gesellschaft an die Bedingung, dass sein Vertrauter Gerd Habermann – derzeit geschäftsführender Vorstand der Gesellschaft – dort weiterhin den Ton angeben sollte.

Unter dem Dach der Hayek-Gesellschaft arbeiten mehr als 40 lokale Hayek-Vereine oder -Clubs daran, ihre Klientel in der Fläche zu erreichen. Der Vorstand des Dresdener Hayek-Vereins ist von AfD-Funktionären dominiert. In der Dresdener Öffentlichkeit sei der Verein bisher nicht stark in Erscheinung getreten, sagt Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen, das sich in Dresden für Demokratie und Menschenrechte einsetzt, zu »nd«. Der stellvertretende Vorsitzende Norbert Mayer und der Beisitzer Joachim M. Keiler, beide Abgeordnete im sächsischen Landtag, seien eher dem Höcke-Flügel in der AfD zuzuordnen. Rechtsanwalt Keiler ist außerdem stellvertretender Vorsitzender der DES.

Prominente Liberale kehren Hayek-Gesellschaft den Rücken

Viele prominente FDP-Mitglieder, denen es in der Hayek-Gesellschaft an Abgrenzung zur AfD fehlte, sind seit 2015 ausgetreten, darunter Finanzminister Christian Lindner, Linda Teuteberg und Frank Schäffler – Letzterer selbst Gründer des rechtslibertären Thinktanks Prometheus.

Andere sind geblieben und dominieren den Vorstand. Die durchgehende Konstante bildet der Radmacher-Vertraute und geschäftsführende Vorstand der Hayek-Gesellschaft, Gerd Habermann (FDP). Er ist auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des libertären Mises Institute Europe, des neoliberalen Netzwerks Mont Pelerin Society und des Verbands »Die Familienunternehmer«. Und er schreibt für das rechtslibertäre Magazin am äußerst rechten Rand »eigentümlich frei«, herausgegeben von André F. Lichtschlag, selbst Mitglied der Hayek-Gesellschaft und Autor der »Jungen Freiheit«.

Vorstandsvorsitzender der Hayek-Gesellschaft ist Stephan Kooths (FDP), Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Das IfW hat einen Beraterstatus beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und erhält eine institutionelle Förderung des Ministeriums von mehr als sechs Millionen Euro jährlich. Das geht aus einer Antwort des BMWK auf eine schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten der Linken Jan Korte hervor. Als Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft stellt Kooths seine Funktion im IfW heraus. Gegenüber dem »Handelsblatt« bezeichnet er Milei als »Glücksfall für den Liberalismus«, der ein »liberales Kontrastprogramm zum staatsgläubigen Mainstream« anbiete und dessen Maßnahmen in einer »Übergangsphase« zwar hart seien, »ähnlich wie bei einer Chemotherapie. Am Ende steht aber die Aussicht auf Gesundung.« Justiziar ist Carlos A. Gebauer, ebenfalls FDP-Mitglied und Autor bei »eigentümlich frei«. Schatzmeister ist Gerhard Papke, Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft und FDP-Mitglied.

Sascha Tamm referiert seit Jahren für die Hayek-Gesellschaft, im Februar erst im Berliner Hayek-Club über Milei. Gleichzeitig publiziert er bei »eigentümlich frei«, ist außerdem der Koordinator für Transatlantischen Dialog und Lateinamerika bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und in der FDP in Berlin-Zehlendorf. Er verbindet somit Welten.

Kampf auf der Straße

Zurück nach Argentinien. Während der Senat am 12. Juni über Mileis Gesetzespaket abstimmte und die Polizei die Proteste vor dem Kongressgebäude mit Wasserwerfern und Tränengas auflöste, trat Milei wenige Kilometer entfernt im Hilton Hotel im Reichenviertel Puerto Madero auf eine Bühne. Der Anlass: die zweitägige Konferenz »El Renacer de la Libertad« (Die Wiedergeburt der Freiheit), organisiert von der US-amerikanischen libertären Denkfabrik Cato Institute und dem argentinischen libertären Thinktank Libertad y Progreso. »Wir befinden uns an einer Weggabelung. Entweder wir verharren auf dem Weg der Dekadenz oder wir wagen es, den Weg der Freiheit zu gehen. Dieser Kampf wird sogar auf der Straße ausgetragen«, sagte er und erntete tosenden Applaus. Er kündigte weitere 3200 Reformen an, sie sollen Argentinien »zum freiesten Land der Welt machen, ob die Politik es will oder nicht.«

Bei der Konferenz sprachen außerdem Mileis Wirtschaftsminister Luis Caputo, der US-amerikanische neoliberale Ökonom James Heckman und der Leiter des Lateinamerika-Zentrums des globalen neoliberalen Atlas Network, Roberto Salinas-León. Auch Pinochets Arbeitsminister José Piñera, der das Rentensystem während der chilenischen Diktatur privatisierte, war als Sprecher beim Abendessen im Jachtclub in Puerto Madero eingeladen.

In den Vorträgen lobten die Sprecher*innen den Kapitalismus als »moralisch überlegen«, bezeichneten öffentliche Bildung als »Indoktrinierung« und sprachen sich für Freihandel und den Abbau staatlicher Regulierungen aus. Immer wieder wurde Chile als positives Beispiel für »ökonomische Freiheit« genannt. Friedrich von Hayek besuchte Pinochet in den 80er Jahren und sagte, er ziehe »einen liberalen Diktator einer demokratischen Regierung ohne Liberalismus« vor. 

Im Publikum der libertären Konferenz saß auch Hans-Dieter Holtzmann, der Leiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Argentinien. Die Stiftung Libertad y Progreso, die die Veranstaltung organisierte, ist eine der ältesten Partnerorganisationen der Friedrich-Naumann-Stiftung in Argentinien.

Die deutsche Stiftung organisiert Veranstaltungen und finanziert Publikationen gemeinsam mit Stiftungen und Thinktanks in Argentinien, die Milei beziehungsweise seine Regierung offen unterstützen. Dazu gehören die Stiftung Libertad y Progreso, in der Mileis akademisches Vorbild Alberto Benegas Lynch eine zentrale Figur darstellt, und das Instituto de Estudios Estratégicos, dessen Präsidentin Mileis Sicherheitsministerin Patricia Bullrich ist. Gegen das Institut wurden im April 2023 Ermittlungen wegen illegaler Wahlkampffinanzierung eingeleitet. Mehrere argentinische Organisationen, die die Friedrich-Naumann-Stiftung in Argentinien unterstützt, sind Mitglieder des globalen neoliberalen Atlas Network. Dort versammeln sich über 500 Organisationen – mit einer Ideologie der ökonomischen Freiheit und der konservativen Werte.

Dieser Text wurde an einer Stelle korrigiert: Markus Krall und Thorsten Polleit sind nicht mehr, wie es im Ursprungstext hieß, im Management der Degussa Goldhandel GmbH tätig, sondern mussten das Unternehmen Ende 2022 bzw. 2023 verlassen.

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