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Urmelchen Mao und Putinhitler geben sich die Ehre
Willkommen in der Dauerironieschleife! An der Deutschen Oper Berlin feierte »Nixon in China« Premiere
Die Ideen des 19. Jahrhunderts und ihre Umsetzungen im 20. – wer kennt sie nicht? Kapitalismus, Faschismus, Kommunismus, abstrakter Expressionismus, Neue Musik und Regietheater. Komponist John Adams erinnerte 1987 mit einer Oper daran, dass die Moderne passé ist. Er schrieb ein Singspiel über den ersten Staatsbesuch des 37. US-Präsidenten in China und ließ »Tricky Dick« wie Mao aufgeblasen daherschwafeln. Alles heiße Luft auf Kosten von Millionen also. Die Massen im Grab, die Ideen im Orbit. Am vergangenen Samstag war Premiere von »Nixon in China« an der Deutschen Oper Berlin.
Mit dem Lustig-sein-Wollen ist es so eine Sache in Berlin. Das Hauptstädtische hat sich seit 2012 auf australischen Klamauk von Barrie Kosky als kleinsten gemeinsamen Nenner des Apolitischen eingeschunkelt. Um des himmlischen Friedens willen. Von Kosky gilt es, alles nur im Ansatz Humorige tunlichst fernzuhalten. Mehr als Drag-Show fiel ihm nie ein: weder zu Brecht und Weill noch zu Bernstein. Die hohlste »Mahagonny«-Inszenierung der noch jungen Dekade pflanzte er in die Komische Oper. Bei »Candide« (an sich schon lahm) hopsten dann lahme Lederhosen.
Einzig der Musical-Profi Stefan Huber († 2023) zeigte 2014 in Dostals »Clivia« den Hochkulturstümpern wie es geht, steckte die Geschwister Pfister in ihre Fummel und ließ sie auf Timing spielen. Timing ist lustig. Kostüme und Gehampel sind nicht lustig. Das weiß jeder Clown, von Oleg Popow bis Jerry Lewis.
An der Deutschen Oper Berlin inszeniert nun das Regisseurinnenduo Hauen und Stechen alias Franziska Kronfoth und Julia Lwowski heiße Luft auf Kosten von Millionen. Ganz viel Verkleidung und Gehampel gibt es zu verkraften. Da wackeln Frauen als Handgranaten verkleidet neben Cowgirls und Rotarmisten und Wiener Würstchen. Da kommt ein Hitlerkopf auf die Bühne und zur richtigen Einordnung deutscher Geschichte analog ein KI-generierter Putinhitler auf die Leinwand. Mao ist ein Urmelchen aus dem Eis. Ein Sturmtrupp Totenkopf-Schnappis ermordet in einer außerirdischen Pimmellandschaft Richard Nixon. Dazwischen Show-Sequenzen, Animationen und Nahaufnahmen.
Was das alles soll? Frau Kronfoth erklärt es Ihnen im Programmheft: »Wenn das Kleine mithilfe der Kamera großgemacht wird, entsteht eine produktive Irritation. Denn bei dieser Intimität haben wir kein dokumentarisches Interesse, sondern behaupten eine neue Realität – schwindeln kreativ, um neue Warheiten herauszukitzeln.« Mao hätte es nicht schöner gedichtet.
John Adams komponierte mit »Nixon in China« das bestimmt hübscheste Medley seines Lebens. Neben der sehr verdaubaren Minimal Music, vergleichbar mit den Ansätzen des Kollegen Steve Reich, hört man immer wieder die Hollywood-Soundtracks von Erich Wolfgang Korngold durchschimmern. Bei den Massenszenen wird es so chaotisch wie sonst nur bei Hans Werner Henze (der allerdings die weitaus besseren Librettisten hatte). Außerdem wird stellenweise Maximalmusik wie von Wagner und Strauß imitiert.
Das Orchester unter Daniel Carter ist an der Deutschen Oper überfordert, schließlich lässt die permanente Reizüberflutung auf der Bühne keinerlei emotionale Ansätze zu. Thomas Lehman ekelt sich durch seine Rolle, darf die Nixon-typischen V-Handzeichen siegesgewiss dauerfeuern. Heidi Stober als Pat Nixon brilliert dauergrinsend. Kyle Miller als Premierminister Tschu En Lai und Ya-Chung Huang als Mao Tse-tung wechseln gekonnt zwischen Überzeichnung chinesischer Poesie und überzeichneter Überzeichnung.
Mit Pause dauert die Dauerironisierung aller Ironie dreieinhalb Stunden. Wer sich zuvor auch noch einführen ließ, braucht danach mindestens viereinhalb Bier. Und zwei Schnaps. Das kostet im Opernhaus mindestens 30 Euro Schmerzensgeld. Ganz ohne Witz und Schäkerei ermüdet das ständige selbstwichtige Gewusel auf der Bühne nämlich bis zum Zorn. Die Zuschauer im Saal danken es nach dem Vorhang mit milden Westberliner Buhrufen. Die Regie kann und will sich in jedem Fall sicher sein: ein voller Erfolg.
»Wir haben uns immer wieder gefragt, wie wir mit den historischen Schwergewichten in diesem Werk umgehen und wie viel Raum und Stimme wir ihnen geben können und wollen. Deren Präsenz relativiert sich durch die Anwesenheit unserer Performer*innen, weil es durch sie noch andere wichtige starke Rollen und Spielweisen auf der Bühne gibt.« (Franziska Kronfoth)
Adams Nachfolgewerk übrigens, »The Death of Klinghoffer«, wäre inhaltlich eine ernsthafte Herausforderung für Berlin. Die Oper beschäftigt sich mit dem Nahost-Konflikt, genauer mit der Entführung des Kreuzfahrtschiffs »Achille Lauro« im Jahr 1985. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) ermordete hierbei einen 69-jährigen Juden im Rollstuhl. Der Regisseur müsste in der Lage sein, folgende Frage zu beantworten: Was ist Geschwafel im Angesicht der Sonnenallee?
Nächste Vorstellungen: 28. Juni, 4. und 10. Juli
www.deutscheoperberlin.de
Ganz ohne Witz und Schäkerei ermüdet das ständige selbstwichtige Gewusel aufder Bühne bis zum Zorn.
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