Seeleute leben gefährlich

Wegen der Angriffe auf Schiffe wird der Arbeitsplatz an Bord noch unsicherer

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 9 Min.
Ein Seemann befestigt ein Tauende an einer Seilwinde.
Ein Seemann befestigt ein Tauende an einer Seilwinde.

Der »Tag des Seefahrers«, den die UN-Seeschifffahrtsorganisation IMO seit 2010 jährlich am 25. Juni begeht, soll Aufmerksamkeit für die weltweit 1,2 Millionen Seeleute und ihre Arbeit erregen. Ging es in den vergangenen Jahren unter anderem um Geschlechtergleicheit oder Seereisen, lautet 2024 das Motto »Safety at Sea« (Sicherheit auf See).

Über die Meere werden 90 Prozent des internationalen Handels abgewickelt. Doch Matrosen und Kapitäne leben auf hoher See zunehmend gefährlich: Unfälle an Bord, Schiffsunglücke, Piratenangriffe und in jüngster Zeit Drohnenattacken bedrohen Leib und Leben. Vorfälle im Roten Meer verdeutlichen die Gefahren und werfen zugleich ein Schlaglicht auf die Schattenseiten der Globalisierung. Im April beschlagnahmte die Marine der iranischen Revolutionsgarden die »MSC Aries«, ein unter der (Billig-)Flagge Madeiras fahrendes Containerschiff, in der Meerenge von Hormus und verhaftete seine Besatzung. Die Aktion gilt als Vergeltungsmaßnahme nach dem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf die iranische Botschaft in Syrien. Die 366 Meter lange »MSC Aries« wird von der in der Schweiz ansässigen Mediterranean Shipping Company (MSC) betrieben, die es vom Schifffahrtsunternehmen Zodiac Maritime mit Sitz in London geleast hat, das wiederum dem israelischen Milliardär Eyal Ofer gehört. Die 25 Besatzungsmitglieder stammen aus den Philippinen, Pakistan, Indien, Estland und Russland.

Dies war der jüngste einer Reihe von Vorfällen im Nahen Osten. In den vergangenen Monaten haben die jemenitischen Huthis Schiffe angegriffen, die in ihren Augen mit Israel und seinen Bündnispartnern in Verbindung stehen. Im März wurden bei einem dieser Angriffe drei Seeleute getötet. Zwei von ihnen waren philippinische Staatsangehörige, der dritte war Vietnamese.

Dass so viele verschiedene Staaten mit einem einzigen Schiff in Verbindung stehen, liegt daran, dass es den Schifffahrtsunternehmen und -betreibern nach den geltenden Vorschriften möglich ist, sich in unterschiedlichen Ländern zu registrieren und Besatzungen jeglicher Nationalität anzuheuern. »Natürlich wählen viele Unternehmen Staaten, in denen es nur wenige arbeits- und steuerrechtliche Vorschriften gibt und daher nur geringe Verantwortung für das Wohlergehen und die Sicherheit der Besatzungen an Bord der Schiffe besteht, die unter ihren Flaggen registriert sind«, beklagt die Internationale Transportarbeitergewerkschaft die Praxis der Billigflaggen, unter denen Schiffe registriert sind.

Vorfälle im Roten Meer verdeutlichen die Gefahren für Seeleute und werfen zugleich ein Schlaglicht auf die Schattenseiten der Globalisierung.

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Unternehmen stellten zudem vorrangig Besatzungsmitglieder aus Ländern ein, in denen gut bezahlte Arbeitsplätze rar sind, weshalb die Seeleute aus Angst, ihr Einkommen zu verlieren, als besonders willfährig gelten. Etwa 1500 bis 2000 Euro verdient ein Bootsmann – fünf Mal mehr als der Durchschnittslohn auf den Philippinen. Etwa eine halbe Million Filipinos arbeitet auf Ozeanschiffen, zu denen Frachtschiffe und Tanker, aber auch Passagier- und Kreuzfahrtschiffe mit ihrem besonders großem Personalbedarf zählen. Damit gehört das südostasiatische Land zu den führenden Entsendestaaten für Arbeitskräfte auf See.

Die Praxis der Billigflaggen begann während der 1920er Jahre in den Vereinigten Staaten. Als die US-Regierung die Einfuhr von Alkohol verbot, registrierten Schiffseigner ihre Pötte in Panama, um diese Restriktionen zu umgehen. Nach der Aufhebung der Prohibition wurde diese Praxis fortgesetzt, da Reedereien bald auch in Europa die Vorteile einer schwachen Regulierung erkannt hatten. Heute listet Paris MoU, eine internationale Dachorganisation der See-Berufsgenossenschaften, drei Dutzend Billigflaggen-Länder auf.

Von der deutschen Flotte werden diese nach Angaben des Reederverbandes DRV kaum genutzt. Die meisten Schiffe hiesiger Reedereien fahren unter einer europäischen oder außereuropäischen »Qualitätsflagge«. Daher meiden Schiffe von deutschen Eignern im Regelfall auch gefährliche Seegebiete und nehmen weite Umwege in Kauf. Es sind offenbar vor allem Billigflaggenschiffe, die etwa das Rote Meer durchfahren. Ihre Eigner profitieren doppelt: von der kürzeren Route und von den infolge solcher globalen Konflikte gestiegenen Frachtraten.

Anlaufstelle für Seeleute sind die Inspektor*innen der ITF, die auch von sich aus Schiffe kontrollieren. »Viele Seeleute haben mit Lohndiebstahl und Unterbezahlung zu kämpfen«, sagt eine Sprecherin des Dachverbandes, dem auch die deutsche Gewerkschaft Verdi angehört. Die Mindestheuer für Besatzungsmitglieder von Billigflaggenschiffen, für die Kollektivverträge gelten, beträgt rund 1700 US-Dollar im Monat. Seeleute auf Billigflaggenschiffen ohne Kollektivverträge arbeiten in manchen Fällen für 400 bis 600 Dollar pro Monat. Und selbst bei einer so niedrigen Bezahlung zahlen Unternehmen immer noch regelmäßig Heuern zu spät aus oder halten sie ganz zurück.

Ein philippinischer Seemann berichtete kürzlich: »Unser Unternehmen fährt immer noch durch das Rote Meer. Wir schlafen nicht gut, weil wir Angst um unser Leben haben.« Immerhin wurde die Besatzung der »MSC Aries« inzwischen freigelassen und die Seeleute konnten in ihre Heimatländer zurückkehren.

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