Union für Obdachlosenrechte Berlin: Unterstützen statt vertreiben

Kundgebung zur Überarbeitung des »Leitfadens Obdachlosigkeit« vor dem Rathaus Neukölln

Uwe Mehrtens (links) fordert vor dem Rathaus Neukölln einen besseren Umgang mit wohnungslosen Menschen.
Uwe Mehrtens (links) fordert vor dem Rathaus Neukölln einen besseren Umgang mit wohnungslosen Menschen.

»Statt Verbotszonen und Vertreibung fordern wir mehr Unterstützung für obdachlose Nachbar*innen«, sagt Uwe Mehrtens von der Gruppe Union für Obdachlosenrechte (Ufo) Berlin. Er steht mit seinen Mitstreiter*innen vor dem Rathaus Neukölln, vor ihm Pappschilder mit Aufschriften wie »Wohnen ist Menschrecht«. Ufo und weitere Unterstützer*innen von wohnungslosen Menschen protestieren gegen den »Leitfaden Obdachlosigkeit«, den der Bezirk Neukölln im März 2023 veröffentlicht und nach scharfer Kritik in einen Überarbeitungsprozess gegeben hatte. Am Donnerstagnachmittag fand ein Treffen mit den entsprechenden Akteur*innen im Rathaus Neukölln statt, um die Vorschläge der Gruppen zu diskutieren. Anlässlich dessen organisierte Ufo eine Kundgebung vor dem Rathaus.

Thema des Leitfadens sind »Nutzungskonflikte« im öffentlichen Raum, die durch den Aufenthalt von obdachlosen Menschen entstünden. Der Bezirk sieht das im Besonderen bei Friedhöfen, Schulen, Kitas und Kinderspielplätzen, die als »besonders schützenswerte Orte« definiert wurden. »An diesen Orten ist ein zweckwidriger Aufenthalt in der Regel unverzüglich zu beenden«, so steht es im Leitfaden. Räumungen, etwa von Schlafplätzen obdachloser Menschen, sind daher als reguläres Vorgehen festgehalten. Eine »gesonderte Begründung« könne im Regelfall entfallen.

Für Ufo wie für andere Gruppen bedeuten diese Vorgaben eine Vetreibung von obachlosen Menschen von diesen öffentlichen Orten, gerade auch wegen mangelnder Alternativen im Bezirk wie Notunterkünfte und Wohnraum. »Solche Maßnahmen verschieben das Problem in andere Bezirke, was wiederum den Druck für ähnliche Verordnungen überall in Berlin erhöht«, sagt Mehrtens auf der Kundgebung. Stattdessen sollte sich Neukölln der »Unterstützung wohnungsloser Nachbar*innen widmen«, etwa durch eine Verstärkung der Sozialen Wohnhilfe und niedrigschwelliger Hilfsangebote wie Straßensozialarbeit oder Suchthilfe.

Neuköllns Sozialstadtrat Hannes Rehfeldt (CDU) widerspricht der Darstellung, dass es sich um »Verbotszonen« handele. Obdachlose Menschen könnten Friedhöfe oder Spielplätze weiterhin nutzen, nur nicht »zweckwidrig«, also zum Schlafen oder zum Konsumieren von Drogen, sagt er. »Das durften sie aber vorher auch nicht.« Laut Leitfaden muss an solchen Orten eine Einzelfallprüfung von Maßnahmen zur Beendigung »zweckwidriger Nutzung« nicht in dem Maße stattfinden wie an anderen öffentlichen Orten. »In der Nähe schützenswerter Orte überwiegt die Vermutung, dass eine Abwägung für eine Räumung ausfällt«, erläutert Rehfeldt.

Als Reaktion auf die Kritik am Leitfaden entschied Rehfeldt im Juni 2023, das Papier zusammen mit den Kritiker*innen zu überarbeiten und die Perspektive von Menschen, die Erfahrungen mit Wohnungslosigkeit haben, in den Überarbeitungsprozess einzubringen. »Wir befürchten eine fehlende Ergebnisoffenheit und dass wir lediglich als Feigenblatt für ein kaum verändertes Vorgehen des Bezirks dienen«, sagt Mehrtens nun auf der Kundgebung.

»Wir befürchten eine fehlende Ergebnisoffenheit.«

Uwe Mehrtens Union für Obdachlosenrechte

Schon Ende April hatte Ufo zusammen mit dem Arbeitskreis Wohnungsnot einen offenen Brief an den Sozialstadtrat verfasst. »Wir haben bis heute keine Rückmeldung darauf bekommen«, sagt Uwe Mehrtens. Die Erfahrungen von vergangenen Treffen der vom Bezirk gebildeten Arbeitsgruppe zur Überarbeitung des Leitfadens hatten Ufo aber pessimistisch gestimmt ob einer grundlegenden Änderung. »Wir gehen davon aus, dass vielleicht an einigen Stellen die Wortwahl geändert wird, der Leitfaden im Großen und Ganzen aber so bleibt.« Dem werde Ufo nicht zustimmen.

Rehfeldt kennt die Forderungen von Ufo, merkt aber an, dass die Gruppe sich nicht in der vereinbarten Form am Überarbeitungsprozess beteiligt habe. Bis April hätten die verschiedenen Akteur*innen in einem bearbeitbaren Dokument Vorschläge für Änderungen machen können. »Dann hätten wir aber zwei Drittel des Leitfadens löschen müssen«, so ein Mitglied von Ufo zu »nd«. Ufo nimmt dennoch am Treffen der Arbeitsgruppe teil, und auch Rehfeldt sagt, die »öffentlich kommunizierten Positionen der Union für Obdachlosenrechte werden dabei ergänzend einbezogen«. Grundsätzlich könne der Bezirk im Leitfaden nicht »Maximalforderungen von Interessenvertretungen« einbringen, sondern müsse »die Interessen aller Betroffenen – von Obdach- und Wohnungslosigkeit Betroffene, Wohnbevölkerung und andere Nutzergruppen wie Familien und Kinder« – berücksichtigen.

Nach dem nicht öffentlichen Treffen im Rathaus zeigt sich Rehfeldt optimistisch, dass alle Beteiligten miteinander eine Lösung finden. Wichtig sei dabei vor allem gewesen, dass es sich um eine Vorgabe für die Verwaltung handele, die deren Ermessensspielraum einschränke, sagt Rehfeldt. Nun hätten Ufo und andere soziale Akteur*innen erneut einige Monate Zeit, um Vorschläge für die Überarbeitung zu machen. Danach soll dann ein weiteres Treffen stattfinden.

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