Die Achtsamkeits-Antifa

Sheila Mysorekar vermisst die Themen Diskriminiserung und Rassismus in Gesundheitszeitschriften

Urlauber trainieren am Morgen beim Aerobic-Kurs am Sportstrand in Ahlbeck auf Usedom.
Urlauber trainieren am Morgen beim Aerobic-Kurs am Sportstrand in Ahlbeck auf Usedom.

Ich bin gestresst. Total gestresst. Naja, viel Arbeit und so weiter; ich sollte auch definitiv früher schlafen gehen, schon klar. Aber was mich am meisten stresst, sind die Höhenflüge rechtsextremistischer Parteien europaweit. Italien sowieso, Deutschland ziemlich scheiße, Österreich noch beschissener, Frankreich wirklich sehr merde, Belgien und Niederlande ebenfalls kut, und danach habe ich schon keine Lust mehr, irgendeine Zeitung aufzuschlagen.

Für Menschen mit internationaler Biografie, wie ich zum Beispiel, sind die hohen Umfragewerte der AfD absolut stressig, so wie auch der europaweite Trend zum Gucken-wir-doch-mal-ganz-vorurteilsfrei-wie-das-so-wäre-wenn-Faschisten-regieren. Rechtsextremismus ist ein massiver Stressfaktor, und das meine ich nicht im übertragenen Sinn: Zu wissen, dass viele meiner Mitbürger*innen eine Partei wählen, die für rassistische Politik steht, und dass ich diesen Leuten tagtäglich begegne, belastet mich ungemein. Zu beobachten, wie sich die AfD bereit macht, mitzuregieren; zu fürchten, dass man in paar Jahren seine Staatbürgerschaft entzogen bekommt und dann irgendwohin »remigrieren« soll, wo man noch nie gewohnt hat, ist psychisch ungeheuer bedrückend. Zum Glück leide ich nicht an Bluthochdruck. Aber ich merke, dass ich dies permanent im Kopf habe, wie die meisten migrantischen Menschen in Deutschland auch.

Sheila Mysorekar

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem Netzwerk postmigrantischer Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Schwarz auf Weiß«. Darin übt sie Medienkritik zu aktuellen Debatten in einer Einwanderungsgesellschaft.

Psychische Gesundheit ist ein Dauerthema in den Medien. Vielleicht liegt es daran, dass tatsächlich viele Leute nahe am Durchdrehen sind. Oder es liegt daran, dass man mit Wellness-Ratgebern viel Geld verdienen kann. Wie auch immer: Zeitschriftenstände, Bücherregale und das Internet sind voll davon. Einschlaf-Tees, Anti-Stress-Atemübungen und Aufenthalte in Wellness-Oasen, bei denen man als entspannter Mensch wieder rauskommt.

Doch all die unzähligen Sendungen und Artikel, die sich mit dem Thema befassen, beschäftigen sich vor allem um Linderung der Symptome und nur selten um Ursachenbekämpfung. Manchmal geht es um Stress bei der Arbeit – wo allerdings nie ausbeuterische Arbeitsbedingungen als Stressfaktor benannt wird – oder Schwierigkeiten in der Beziehung, was man aber bestimmt mit Übungen zur Selbstoptimierung wieder hinbiegen kann. Das, was mich wirklich stresst, ist nicht dabei.

Die »Apotheken-Umschau« schreibt im April dieses Jahres immerhin, für (Paar-) Beziehungen seien Erhebungen einer Online-Partnervermittlung zufolge vor allem »menschenverachtende oder gefährliche Einstellungen wie Rechtsradikalismus, Rassismus, Antisemitismus oder die Leugnung des Klimawandels« belastend». Für wen diese Themen im Besonderen belastend sind, wird nicht weiter aufgeführt.

Bei diversen Wellness-Portalen, die sich in epischer Breite über Wohlbefinden und Entspannung auslassen, bekommt man bei der Suchanfrage nach Rassismus regelmäßig den Satz «Suche ohne Treffer». Alles andere gibt es: Vorbeugung gegen Burnout, Achtsamkeitsübungen und Yoga für die «innere Mitte». Nur woher der Stress rührt, weswegen ich entspannen soll, darüber wird nicht gesprochen.

Dabei gibt es Ursachenforschung und Studien zur psychosozialen Belastung aufgrund von Diskriminierungserfahrungen. Die «tageszeitung» veröffentlichte vor einigen Jahren einen Artikel dazu und schrieb, dass «der Zusammenhang zwischen Rassismus und psychischer Gesundheit in Deutschland bislang kaum untersucht» worden sei. «Der Hashtag #selfcare umfasst bei Instagram knapp 50 Millionen Beiträge. Yoga, Meditation oder Smoothies, all das können Auszeiten sein, die Menschen helfen können, abzuschalten. Für Menschen, die im Alltag Stress ausgesetzt sind, ist das sicherlich hilfreich, doch kratzt es letztendlich nur an der Oberfläche. Denn bei der ständigen Konfrontation mit Diskriminierung hilft ein bisschen Yoga nur bedingt», konstatierte die «taz» nüchtern.

«Wie Rassismus krank macht» titelte die Deutsche Welle im Januar dieses Jahres und zog einen Bogen von sogenannten Mikroaggressionen («abschätzige Blicke, dumme Sprüche oder Sticheleien – rassistische Diskriminierungen dieser Art akkumulieren sich und können krank machen») bis zu der neuesten Studie im Medizin-Fachmagazin «Lancet Psychiatry», welche besagt, dass Diskriminierung die Sterblichkeit erhöht. Das müsste doch eigentlich unser Gesundheitsministerium interessieren?!

Oder auch das Innenministerium: Von Neonazis ermordet zu werden, erhöht die Sterblichkeit ebenfalls. Just saying.

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