Linksbündnis in Frankreich: Antifaschistischer Regenbogen

Die »Neue Volksfront« in Frankreich will die Kräfte gegen den drohenden Faschismus bündeln

  • Volkmar Wölk
  • Lesedauer: 6 Min.
Im Regen stehen für den Regenbogen: Die »neue Volksfront« in Frankreich ist der Hoffnungsschimmer gegen den Rechtsruck.
Im Regen stehen für den Regenbogen: Die »neue Volksfront« in Frankreich ist der Hoffnungsschimmer gegen den Rechtsruck.

Manche Episoden der Geschichte hinterlassen Spuren. Sie können nur oberflächlich sein oder sie graben sich tief ein. Manchmal verblassen sie wieder und scheinen völlig verschwunden zu sein, nur um an unerwarteter Stelle erneut aufzutauchen. Sie überwinden Zeit und Raum als Teil einer großen Erzählung des Kampfes um Emanzipation.

Die Geschichte der Rainbow Coalition gehört zweifellos zu dieser Erzählung. Eigentlich war jener Zusammenschluss progressiver Bewegungen nur ein lokales Ereignis im Chicago Ende der 60er Jahre. Und doch war sie viel mehr. Gegründet von dem Aktivisten der Black Panther Party Fred Hampton entwickelte sie sich zu einem sozialrevolutionären Netzwerk, das marginalisierte junge Leute diverser Communities vereinte, die bis dahin isoliert gekämpft hatten. Es ging um einen grundlegenden sozialen Wandel, den Kampf gegen den Rassismus im Staat und in der Gesellschaft. Hampton selbst proklamierte: »Nichts ist wichtiger, als den Faschismus zu stoppen, denn der Faschismus wird uns alle stoppen.« Am 4. Dezember 1969 wurde Hampton vom FBI im Schlaf erschossen.

Von Nupes zur Neuen Volksfront

Die Agrarwissenschaftlerin und langjährige Sprecherin von Attac Frankreich, Aurélie Trouvé, brachte diesen Ansatz 2021 mit ihrem Buch »Der Regenbogen-Block. Für eine politisch radikale und inklusive Strategie« wieder ins Spiel. Eine solche Strategie, so Trouvé, verdeutliche sich in den Sätzen von Hampton: »Wir müssen Feuer mit Wasser bekämpfen. Wir dürfen Rassismus nicht mit Rassismus bekämpfen, sondern müssen ihm mit Solidarität entgegentreten. Wir dürfen den Kapitalismus nicht mit einem Kapitalismus auch für Schwarze bekämpfen, sondern mit der Forderung nach Sozialismus.« Heutzutage, da der Neoliberalismus an seinen Widersprüchen erstickt, schlussfolgert Trouvé, sei es unverzichtbar, die diversen Kräfte der organisierten Linken zu bündeln und die feministischen, sozialen, radikaldemokratischen, ökologischen und antifaschistischen, außerparlamentarischen Kräfte zum festen Bestandteil eines Bündnisses zu machen. Es geht um die Zusammenführung sowohl der unterschiedlichen Kampffelder wie auch der Kampfformen.

Aurélie Trouvé ist seit 2022 Parlamentsabgeordnete von La France Insoumise (LFI). Ihr Ansatz der »Regenbogen-Koalition« hatte zur Gründung des Wahlbündnisses Nupes (Neue ökologische und soziale Volksunion) beigetragen, das dem neoliberalen Status quo wie dem Rechtsruck etwas entgegensetzen sollte. Das Linksbündnis hatte keinen Bestand und scheiterte auch an inneren Widersprüchen. Mittlerweile hat sich die Lage nochmals deutlich zugespitzt: Das Lager des neoliberalen Präsidenten Emmanuel Macron ist offensichtlich heruntergewirtschaftet und verfügt spätestens seit der Niederlage bei der Europawahl über keine eigene Mehrheit mehr. Die Regierungsübernahme durch die extreme Rechte um Marine Le Pen erscheint als realistisches Szenario.

»Diese Volksfront wird umso schlagkräftiger sein, je weniger sie sich auf ein Wahlbündnis politischer Apparate reduzieren lässt.«

Didier Eribon Soziologe und Philosoph

Auf diese Gefahr reagierte die Linke mit der Gründung einer »Neuen Volksfront« (NFP), die jedoch mehr ist als nur eine aus der Not geborene Reaktion. Das Bündnis lasse Hoffnung schöpfen, urteilt Didier Eribon im Interview mit der Tageszeitung »Libération«. »Diese Volksfront wird umso schlagkräftiger sein, je weniger sie sich auf ein Wahlbündnis politischer Apparate reduzieren lässt. Es handelt sich um eine viel breitere Sammlungsbewegung, die im Entstehen begriffen ist: mit Gewerkschaften, Verbänden, ökologischen und antirassistischen Bewegungen, LGBT, Jugendorganisationen, Intellektuellen und Künstlern.« Eribon scheint richtig zu liegen mit seiner Einschätzung. Die Gewerkschaften, die in Frankreich traditionell nicht in Wahlkämpfe eingreifen, mobilisieren in großem Stil für das Linksbündnis. An einer Kundgebung am Donnerstag in Paris, zu der über 100 Organisationen – von der Liga für Menschenrechte bis hin zu Oxfam und Greenpeace – aufgerufen hatten, nahmen Zehntausende teil.

Vieles wird möglich

Aus dem Zusammenschluss, meint Eribon, könnte sich eine umfassende Dynamik entwickeln, die neue Perspektiven eröffne, besonders durch die kollektive Neudefinition eines Linksprojekts der sozialen Transformation. »In einem solchen Moment, wie wir ihn gerade erleben, werden viele Dinge möglich.« Ansätze zu einer wirklichen Veränderung sind erkennbar, wie etwa der Versuch, in und mit einem Wahlbündnis über ein reines Wahlbündnis hinauszuweisen und außerparlamentarische Bewegungen zu berücksichtigen.

Einige bisherige Abgeordnete des LFI wurden nicht erneut aufgestellt. Stattdessen kandidieren nun durchaus prominente Gewerkschafter*innen. Die nachvollziehbare Maßnahme hat allerdings auch einen schalen Beigeschmack, da es sich bei den nicht mehr Berücksichtigten durchweg um interne Kritiker*innen von Jean-Luc Mélenchon handelt. Andere Kandidaturen sind deutliche Zeichen an die außerparlamentarischen Bewegungen. So nominierte LFI einen der Wortführer der Bewegung gegen die umstrittene Schnellbahn-Neubaustrecke Lyon nach Turin in den Savoyen.

Und in Avignon wurde mit Raphaël Arnault ein bekannter Aktivist der antifaschistischen Jeune Garde aufgestellt – eine Entscheidung, die sofort zu heftigen Attacken führte. Denn Arnault ist durch den französischen Inlandsgeheimdienst mit dem »fiche S« markiert, einer Einstufung, die in Deutschland der eines »Gefährders« entspricht. In Frankreich sind schätzungsweise knapp 30 000 Personen von diesen Einträgen betroffen.

Bruchlinien

Vom LFI prallen solche Angriffe bisher ab. Mathilde Panot, Fraktionsvorsitzende des LFI im Parlament, konterte entsprechende Vorwürfe mit den Worten: »Ich bin stolz darauf, antifaschistische Kräfte in unserer Neuen Volksfront zu haben.« Allerdings zeigt der Fall auch mögliche Bruchlinien innerhalb des NFP auf. Fabien Roussel, Chef der französischen Kommunisten, forderte LFI umgehend im Fernsehen auf, die Kandidatur von Arnault rückgängig zu machen.

Ein deutlicher Bruch zeichnet sich mit dem Verhältnis zum Antisemitismus ab. Die Zerwürfnisse darum sind kein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Linken. Serge Klarsfeld, als Nazijäger bekannt, erklärte wegen Äußerungen von Funktionären des LFI, er würde im zweiten Wahlgang, »ohne zu zögern«, Le Pens Rassemblement National wählen, wenn der Gegenkandidat vom LFI komme. Bernard-Henri Lévy stützte diese Position in einem Gastbeitrag in der »Süddeutschen Zeitung« und warnte vor Frankreichs »antisemitischer Linken«. Zur entgegengesetzten Einschätzung kommt der konservative Philosoph und Historiker Emmanuel Todd, ebenfalls jüdischer Herkunft. Er urteilte kategorisch: »Wenn die Wehrmacht wieder in Paris einmarschiert, dann werde ich mich eher bei einem Aktivisten des LFI verstecken als bei einem Konservativen oder jemandem vom Front National.«

Linke Sozialwissenschaftler wie Geoffroy de Lagasnerie sehen nicht nur in diesem Fall eine umfassende Kampagne sowohl der Kreise um Macron als auch der extremen Rechten, um das neue Bündnis zu verunglimpfen. Er zitiert die US-Bürgerrechtlerin Bernice Johnson Reagon: »Wenn du Teil eines Bündnisses bist und dich darin wohlfühlst, dann ist das Bündnis noch nicht breit genug.« Welche Zukunft das Regenbogen-Bündnis haben wir, steht spätestens am 7. Juli fest.

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