Debakel für Titelverteidiger: Aus gegen die Schweiz

Die Eidgenossen waren für die Squadra Azzurra bei diesem Turnier eine Nummer zu groß

  • Miriam Schmidt, David Langenbein und Florian Lütticke
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Italiener spielten schwach und schieden aus.
Die Italiener spielten schwach und schieden aus.

Teammanager Gianluigi Buffon starrte minutenlang ins Leere, die Spieler des geschlagenen Titelverteidigers entschuldigten sich mit ausdruckslosen Mienen bei ihren enttäuschten Fans. Ein komplett unterlegenes Italien ist im EM-Achtelfinale völlig verdient an stark aufspielenden Schweizern gescheitert. Beim 0:2 (0:1) vor 68 172 Zuschauern in Berlin hatte die Auswahl von Trainer Luciano Spalletti Glück, nicht noch höher zu verlieren.

Remo Freuler (37. Minute) und Augsburgs Ruben Vargas (46.) entschieden die Partie für den deutschen Vorrundengegner, dessen Spieler nach dem Abpfiff wie ihre euphorischen Anhänger ausgelassen zum EM-Hit »Freed from Desire« hüpften. Die Schweiz trifft im Viertelfinale am 6. Juli in Düsseldorf auf den Sieger der Partie England gegen die Slowakei.

Für Italien steht dagegen die Heimreise an. »Uns haben der Rhythmus und die Frische gefehlt, die den Unterschied machen. Wir sind im Moment nicht in der Lage, mehr als das zu zeigen«, räumte Italien-Coach Spalletti nach der dürftigen Vorstellung ein und kündigte ein Gespräch mit Verbandspräsident Gabriele Gravina über seine Zukunft an. »Die Verantwortung liegt immer beim Trainer, ich habe die Entscheidungen getroffen«, sagte Spalletti.

Torwart Gianluigi Donnarumma redete ebenfalls Klartext. »So auszuscheiden tut weh. Das Aus ist verdient und die Art und Weise schwer zu verarbeiten. Es hat heute alles gefehlt, die Qualität, der Mut«, sagte der 25-Jährige und fügte niedergeschlagen hinzu: »Wir können uns nur bei unseren Fans entschuldigen. Das ist inakzeptabel, wir waren das ganze Spiel über schlecht. Das ist die Realität, das müssen wir akzeptieren.«

Ganz anders war die Gefühlslage bei den Siegern. »Wir haben wieder eine super Leistung gezeigt und sind verdient weitergekommen«, stellte Abwehrchef Manuel Akanji fest. Und Mittelfeldspieler Fabien Rieder frohlockte: »Wir haben als Team eine unglaubliche Leistung erbracht. Jeder ist für jeden gerannt. Die Mechanismen waren super, wir haben gut harmoniert, defensiv wie offensiv. Jetzt wollen wir den Sieg genießen, werden aber nicht in Euphorie verfallen.«

18 Jahre nach dem WM-Triumph von 2006 waren die Italiener voller Vorfreude nach Berlin zurückgekehrt – und erlebten eine riesige Enttäuschung. Die Squadra Azzurra war in allen Belangen schlechter und kassierte völlig verdient die erste Niederlage gegen die Schweiz seit 31 Jahren. Von dem begeisternden Fußball, mit dem Italien 2021 die EM gewonnen und die Schweiz in der Gruppenphase mit 3:0 besiegt hatte, war nichts mehr zu sehen.

Spallettis Wechsel verpuffen

Italien schaffte es damit erstmals seit 2004 bei einer EM nicht in die Runde der besten acht Teams und erlebte nach den verpassten Weltmeisterschaften 2018 und 2022 den nächsten Tiefpunkt. Die Schweiz überzeugte wie schon beim 1:1 gegen die DFB-Auswahl in der Gruppenphase und steht zum zweiten Mal in Serie im EM-Viertelfinale. Die Auswahl des Ex-Bundesliga-Profis Murat Yakin verdiente sich den Sieg vor den Augen von FIFA-Präsident Gianni Infantino und UEFA-Chef Aleksander Čeferin mit einer konzentrierten Leistung.

Spalletti änderte nach dem enttäuschenden 1:1 gegen Kroatien zum wiederholten Male das System und wechselte auf zahlreichen Positionen. Er begründete dies unter anderem mit der Hoffnung auf mehr offensive Durchschlagskraft. Doch seine Maßnahmen machten sich überhaupt nicht bezahlt – im Gegenteil.

Donnarumma verhindert Schlimmeres

Fehlpässe, Missverständnisse und viel zu schnelle Ballverluste prägten das Offensivspiel der Azzurri, ein geordneter Spielaufbau kam so gut wie gar nicht zustande. Die Schweiz dominierte das Spiel, nutzte die Hilflosigkeit der tief stehenden Italiener jedoch viel zu wenig aus. Einen Schuss von Breel Embolo nach Pass des Leverkuseners Granit Xhaka parierte Kapitän Donnarumma stark (24.). Der Keeper war wie im bisherigen Turnierverlauf erneut ein sicherer Rückhalt und trieb seine Mitspieler immer wieder gestenreich an.

Beim abgefälschten Schuss von Freuler gut zehn Minuten später war der 25-Jährige noch dran, konnte den Rückstand aber nicht verhindern. Einen Freistoß von Rieder (45.+1) lenkte Donnarumma dann gerade noch so an den Pfosten. Spalletti stemmte an der Seitenlinie ratlos die Hände in die Hüften und verfolgte das Geschehen regungslos.

Rückschlag nach der Pause

Spalletti wechselte zur Pause, doch besser wurde für Italien danach überhaupt nichts. 27 Sekunden nach Wiederanpfiff wurde Vargas vor dem Tor so gut wie gar nicht attackiert und schoss von der Strafraumkante wunderschön ins rechte obere Toreck. Nur bei einem Kopfball von Fabian Schär an den Pfosten des eigenen Tores (52.) und einem Pfostenschuss von Gianluca Scamacca (74.) mussten die Schweizer kurz zittern. Die Italiener hatten nun zwar mehr Ballbesitz, waren aber weit entfernt vom Anschlusstor. dpa/nd

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