Ungarn übernimmt EU-Ratspräsidentschaft: Mehr Trump wagen

Mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft will Ungarns Premier Viktor Orbán »Europa wieder großartig machen«

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Zwei, die sich nicht wirklich mögen, aber miteinander auskommen müssen: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán übernimmt am Montag, 1. Juli 2024, die rotierende Ratspräsidentschaft die Europäische Union.
Zwei, die sich nicht wirklich mögen, aber miteinander auskommen müssen: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán übernimmt am Montag, 1. Juli 2024, die rotierende Ratspräsidentschaft die Europäische Union.

Am 1. Juli übernimmt Ungarns Premier Viktor Orbán turnusgemäß den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft. Das Motto seiner Präsidentschaft ist eine Kampfansage: »Make Europe Great Again« – kurz MEGA. Nicht nur der Claim ist eine eindeutige Anspielung auf Donald Trump und sein »Make America Great Again«. Der US-amerikanische Ex-Präsident ist erklärtes Idol des ungarischen Rechtspopulisten Orbán, der in den vergangenen Jahren zum größten Störenfried innerhalb der EU avancierte. Immer wieder blockierte er Abstimmungen, vor allem zum Thema Ukraine, und nutzte sein Erpressungspotenzial, um die EU-Kommission dazu zu nötigen, die wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit eingefrorenen EU-Gelder freizugeben. Nun will der erfolgreiche Erpresser und selbsternannte illiberale Demokrat »Europa wieder großartig machen«.

In Brüssel blickt man mit leichter Sorge auf die kommenden sechs Monate – solange wird Ungarn die Ratspräsidentschaft innehaben und die EU-Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs leiten sowie die jeweiligen Ministerräte. Zudem treibt der jeweilige Vorsitzende Gesetzesinitiativen voran und setzt Themen auf die Agenda der Ratstreffen. Wie wichtig das sein kann, zeigte vor wenigen Tagen der scheidende Ratspräsident Alexander de Croo. Der Belgier machte Mitte Juni die Verabschiedung des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur zum Thema des EU-Umweltministertreffens in Luxemburg. Der Gesetzentwurf galt als chancenlos, weil viele Regierungen Angst vor der Wut der Bauern hatten, die laut Gesetz mehr Flächen naturnah bewirtschaften müssten. Trotzdem wurde es zur großen Überraschung aller auf den Weg gebracht, weil die österreichische Umweltministerin sich gegen die eigene Regierung stellte und dafür stimmte.

Ungarn ist der feuchte Traum eines jeden Konzernchefs: Niedrige Löhne und schwache Gewerkschaften locken nicht nur deutsche Autobauer, die Milliarden im Land investierten.

Doch viele Initiativen wird Orbán wohl nicht auf den Weg bringen. Zum einen ist der Rechtspopulist innerhalb der EU isoliert. Selbst ehemalige Fans wie Italiens Postfaschistin Giorgia Meloni zeigen ihm und seiner Partei Fidesz mittlerweile die kalte Schulter. »Außerdem hatten wir gerade EU-Wahlen. Parlament und Kommission müssen sich erst einmal finden. Da wird in den nächsten Monaten nicht viel passieren«, so ein Kommissionsbeamter gegenüber »nd«.
Auch die bestens vernetzte »Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik« kommt in ihrer Zeitschrift »Internationale Politik« zu dem Fazit: »Wenn es also einen Zeitraum gibt, in dem der ungarische Ratsvorsitz wenig Schaden anrichten kann, dann dieser.«

Dabei hat Orbán eine anspruchsvolle Agenda: »Mehr Wirtschaft, weniger Natur- und Klimaschutz« – so ließe sich sein Programm zusammenfassen. Wie sein Vorbild Trump spricht auch Orbán von Deals, oberste Priorität hat ein »Wettbewerbsfähigkeitsdeal«, den er voranbringen will.

Ungarn ist der feuchte Traum eines jeden Konzernchefs: Niedrige Löhne und schwache Gewerkschaften locken nicht nur deutsche Autobauer, die Milliarden im Land investierten. Das Kapital pfeift auf Orbáns autoritären Regierungsstil und die Aushöhlung der Demokratie, solange die Standortbedingungen stimmen. Man darf gespannt sein, welche neoliberalen Vorstöße Ungarn unternehmen wird. Ansonsten finden sich auf der Agenda von Orbáns Präsidentschaft die »Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik, eine konsequente und leistungsorientierte Erweiterungspolitik, die Eindämmung der illegalen Migration und eine an den Landwirten orientierte Agrarpolitik«. Der ungarische Minister für EU-Angelegenheiten, Janos Boka, verspricht: »Wir werden als ehrliche Makler mit allen Mitgliedstaaten und Institutionen loyal zusammenarbeiten«. Die Frage ist aber, ob die Staaten das überhaupt wollen.

Im Vorfeld gab es in Brüssel Überlegungen, ob und wie man verhindern könnte, dass Orbán die Präsidentschaft übernimmt. Das EU-Parlament hatte bereits 2023 in einer Entschließung bezweifelt, »dass Ungarn in der Lage sein wird, diese Aufgabe im Jahr 2024 glaubwürdig zu erfüllen, da es das EU-Recht und die in Artikel 2 (der EU-Verträge) verankerten Werte sowie den Grundsatz der aufrichtigen Zusammenarbeit nicht einhält«. Diese Entschließung wurde zwar mit großer Mehrheit verabschiedet, war aber rechtlich nicht bindend. Schon 2022 hatte das Parlament festgestellt, dass Ungarn keine voll funktionsfähige Demokratie mehr und stattdessen ein »hybrides Regime der Wahlautokratie« sei.

Doch Ungarn die Ratspräsidentschaft zu nehmen, hätte einen Präzedenzfall geschaffen. Dafür hätte sich im Rat wohl auch keine Mehrheit gefunden. Es gab auch keine ernstzunehmenden Versuche seitens der EU-Staats- und Regierungschefs, das zu tun. Stattdessen hofft man, dass die nächsten sechs Monate möglichst schnell und geräuschlos vorübergehen, bis Polen dann übernimmt.

Unterdessen hat Orbán ein Bündnis mit populistischen Parteien aus Österreich und Tschechien auf EU-Ebene angekündigt, um eine neue Rechtsaußenfraktion im Europäischen Parlament zu gründen. Die Gruppierung »Patriots for Europe« (»Patrioten für Europa«) zwischen der ungarischen Regierungspartei Fidesz, der österreichischen FPÖ und der tschechischen ANO solle bald weitere Mitglieder bekommen und zur »größten Fraktion der rechtsgerichteten Kräfte Europas« aufsteigen, sagte der Fidesz-Chef in Wien.

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