Serie »Supacell«: Die Elenden als Superhelden

Die Netflix-Serie »Supacell« ist eine eigenwillige Mischung aus Science-Fiction, Superhelden-Geschichte und rassismuskritischem Sozialdrama

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
»Supacell«, wo die Superhelden fast normale Menschen mit normalen Problemen sind
»Supacell«, wo die Superhelden fast normale Menschen mit normalen Problemen sind

Eigentlich soll der junge Marihuana-Dealer Rodney (Calvin Demba) nur möglichst schnell ein paar Blocks weit durch Süd-London laufen, um einem Kunden noch rechtzeitig sein Päckchen Cannabis zu bringen. Aber als Rodney erst einmal losrennt, befindet er sich plötzlich ein paar Sekunden später im schottischen Edinburgh. Was passiert da?, fragt er sich. Aber er ist nicht der Einzige, der in der Science-Fiction-Serie »Supacell« auf Netflix überrascht feststellt, dass er über Superkräfte verfügt.

Der Paketbote Michael (Tosin Cole) kann plötzlich durch die Zeit reisen, Krankenschwester Sabrina (Nadine Mills) lässt Gegenstände durch die Luft fliegen. Der arbeitslose Andre (Eric Kofi-Abrevfa) ist einfach nur extrem stark und Tazer (Josh Tedeku), Mitglied einer Jugendgang, kann plötzlich unsichtbar werden. Was diese fünf jungen Menschen, die mehr schlecht als recht mit ihrem Alltag zurechtkommen, prekäre Jobs machen und fast alle finanziell ums Überleben kämpfen, gemein haben: Sie sind schwarz und ihre Eltern leiden an Sichelzellenanämie. Diese Erbkrankheit ist hauptsächlich in schwarzen Communitys verbreitet, weswegen vor allem in den USA seit Jahren um die Frage gestritten wird, inwieweit die Zwei-Klassen-Medizin hier auch strukturellen Rassismus befördert. Denn geforscht wird zu der Krankheit vergleichsweise wenig.

Der Sechsteiler des Musikers und Filmemachers Andrew Onwubolu, der selbst aus dem schwarz und jamaikanisch geprägten Süd-London stammt, konterkariert gängige Superhelden-Geschichten.

In »Supacell« erben die Nachkommen von Sichelzellenanämie-Patient*innen stattdessen Superkräfte. Diese wollen sie natürlich erst mal zu ihrem eigenen Vorteil einsetzen. Michael, der bei einer Reise in die Zukunft erfahren hat, dass und vor allem wann seine Verlobte Dionne (Adelayo Adedayo) sterben wird, möchte ihren Tod unbedingt verhindern. Rodney macht mit seinen Kräften à la »Roter Blitz« Kasse mit dem Drogenhandel. Andre plant mit einem Freund einen Überfall, um seine Miete und die Alimente für seinen Sohn zusammenzubekommen. Sabrina zeigt ihrem Geliebten, der sie betrügt, wo der Hammer hängt. Und Tazer will einen Krieg verfeindeter Straßengangs für sich zu entscheiden. Erst im Lauf der Zeit finden die fünf Superhelden zueinander, denen ihre Fähigkeiten zuerst einmal Angst machen, weil sie sie auch gar nicht kontrollieren können. Und natürlich gibt es auch eine staatliche Behörde, die darüber Bescheid weiß, das Phänomen kontrollieren und eigenen Nutzen daraus ziehen will. Deshalb ist den fünf Süd-Londonern bald eine Gruppe geheimnisvoller Kapuzenträger auf der Spur, während sie gleichzeitig feststellen, dass es immer mehr junge schwarze Menschen gibt, die vermisst werden.

Der Sechsteiler des 35-jährigen Hip-Hop-Musikers und Filmemachers Andrew Onwubolu aka Rapman, der selbst aus dem schwarz und jamaikanisch geprägten Süd-London stammt, konterkariert gängige Superhelden-Geschichten, wie sie in den Blockbustern von Marvel und DC Comics für ein Massenpublikum erzählt werden. Aber hier gibt es keine heldenhafte Selbstaufopferung, sondern eine vergleichsweise realistische Annäherung an die Frage, was massiv unter ökonomischem und sozialem Druck stehende Großstädter machen würden, wenn sie plötzlich über Superkräfte verfügten. Insofern ist die Serie über weite Strecken eher ein etwas zu stylisch geratenes Sozialdrama aus dem Stadtteil Brixton über Alltagsrassismus mit viel Hip-Hop, Soul, Popmusik, Gangkriminalität, wilden Club-Partys, jeder Menge Drogen und durchweg etwas zu attraktiven Schauspieler*innen.

Bei »Supacell« standen nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera mehrheitlich nichtweiße Menschen, was viele Mitwirkende sehr angenehm fanden, wie sie gegenüber der BBC erklärten. »Supacell« ist eine handwerklich gut gemachte Science-Fiction-Serie, die aber vor allem einen faszinierenden Blick auf das Superhelden-Genre bietet und mit einem Cliffhanger endet. Es steht noch nicht fest, ob der Kampf der schwarzen Superhelden in einer zweiten Staffel weitergeht.

Verfügbar auf Netflix

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