BVG: »Stadler kriegt Software nicht auf die Reihe«

Probleme mit neuen Wagen befeuern Krise bei der Berliner U-Bahn

Schon bei der Vorstellung des ersten neues U-Bahn-Zuges im Januar 2024 gab es Zweifel an einem baldigen Einsatz.
Schon bei der Vorstellung des ersten neues U-Bahn-Zuges im Januar 2024 gab es Zweifel an einem baldigen Einsatz.

Die Beschaffung seit Jahren dringend benötigter neuer U-Bahnzüge für das Netz der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) erinnert ein bisschen an das Theaterstück »Warten auf Godot«. Zwar wurden feierlich bei eiskaltem Wetter Anfang Januar die ersten neuen Züge am U-Bahnhof Olympia-Stadion der Öffentlichkeit vorgestellt. Doch den zum damaligen Zeitpunkt spätestens für diesen Juli angestrebten Testbetrieb mit Fahrgästen wird es vorerst nicht geben.

»Ich halte es für vollkommen unrealistisch, dass noch in diesem Jahr überhaupt ein Fahrgast-Probebetrieb mit den neuen Zügen beginnen könnte«, sagt ein BVG-Insider zu »nd«. »In meinen Augen hat sich Stadler mit dem Auftrag übernommen«, so die Person, deren Name »nd« bekannt ist.

Der Vertrag zwischen BVG und dem Hersteller Stadler mit seinem Werk in Pankow sieht eine Lieferung von bis zu 1500 Wagen für beide Teilnetze der Berliner U-Bahn vor: zum einen für das sogenannte Kleinprofil der Linien U1 bis U4 mit engeren Tunneln, zum anderen für das Großprofil der restlichen Linien.

»Es gibt keinen Termin, keine Perspektive, wann der erste Zug tatsächlich an die BVG übergeben werden kann. Es werden vom Hersteller Stadler zwar Fahrzeuge ohne Ende produziert, die Hallen dort stehen voll damit. Wegen verschiedener grundlegender Probleme ist aber nicht abzusehen, wann überhaupt erste Tests im U-Bahnnetz sinnvoll möglich wären«, sagt der Informant.

Die Ablieferung der Serienfahrzeuge ist an einen erfolgreichen, mindestens zwölfwöchigen Testbetrieb mit Fahrgästen geknüpft. Dieser kann erst beginnen, wenn die Tests ohne Fahrgäste die Tauglichkeit und Betriebssicherheit der Züge bestätigen. Die BVG stellt auf Anfrage von »nd« die Aufnahme erster Fahrgastfahrten mit den neuen Zügen im Herbst in Aussicht. »Inzwischen ist auch der zweite Testzug angekommen«, heißt es. Der Zeitplan für die Ablieferung der Großprofilzüge werde »aktuell abgestimmt«, heißt es weiter. Man wolle dem nicht vorgreifen.

Allerdings erklärt die BVG am Montag in einer Mitteilung auch, dass »die Serienlieferung der nächsten Fahrzeuggeneration leider erst ab dem Jahr 2025 beginnen« werde. Gleichzeitig kündigt das Landesunternehmen wegen Wagenmangels Ausfälle und weniger Angebot auf allen Linien außer der U5 an. Hersteller Stadler ließ weitergehende Fragen von »nd« bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Ursprünglich hätte Stadler die ersten Fahrzeuge für das Kleinprofil Ende 2022 liefern sollen, am 7. Juli 2023 hätte der erste Zug der neuen Generation für das Großprofil der Linien U5 bis U9 bei der BVG eintreffen sollen. »Schon die Ablieferung der Kleinprofilzüge der Baureihe JK hatte sich lange verzögert, weil sie überhaupt nicht den Qualitätserwartungen entsprachen. Diese Fahrzeuge sind zu fast 90 Prozent baugleich mit dem Typen J für das Großprofil«, so der Informant.

Das Hauptproblem: »Stadler kriegt die Software nicht auf die Reihe.« Bei Schienenfahrzeugen sei es inzwischen nicht anders als bei Flugzeugen und Autos. Ohne fehlerfrei funktionierende Software könne man das Fahrzeug nicht in Betrieb setzen, erläutert er. »Türen, Antriebe, Bremsen – alles ist von der Software gesteuert.« Es gebe noch weitere Probleme, die im Vergleich dazu nachrangig seien.

Damit werde es »spannend, wie der U-Bahn-Verkehr im aktuellen Umfang in ein, zwei Jahren noch aufrecht erhalten werden soll«, erklärt der Insider. Denn die Bestandszüge näherten sich rapide einem Alter, in dem eine weitere Aufarbeitung und Ertüchtigung nicht mehr möglich sei. »Die Wagenkästen sind aus Aluminium und das fängt irgendwann einmal an zu zerbröseln – in der Regel nach 35, 40 Jahren«, erläutert der Experte. Man könne Schadstellen zwar schweißen, aber eigentlich nur einmal, weil das die Struktur rund um die Schweißung weiter schwäche.

60 Prozent der für das Großprofil gebauten Wagen, die noch fahren, sind zwischen 30 und 50 Jahren alt. Die Züge der jüngsten Großprofil-Baureihe sind 22 bis 29 Jahre alt. Dazu kommen noch einige nur auf der U5 fahrende Züge, die eigentlich für das Kleinprofil konstruiert, aber angepasst wurden. Sie sind vier bis sieben Jahre alt.

Im Kleinprofil sind die Züge durchschnittlich jünger, die ältesten Fahrzeuge feiern jedoch inzwischen ihren 60. Geburtstag. Sie wurden noch aus Stahl gefertigt. Eine Aluminium-Bauserie von 1982 musste inzwischen komplett ausgemustert werden, ebenso die ersten Wagen eines Typs von 1992.

»Da hätten wir uns gefreut, wenn wir die neuen Züge deutlich früher hätten bestellen können«, sagt BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt. Doch zunächst haderte der Berliner Senat viele Jahre mit der Beauftragung der kostspieligen Investition und schließlich klagte der unterlegene Hersteller Alstom gegen die Vergabe an Stadler. Das kostete weitere wertvolle Zeit. Dann folgten noch Lieferkettenprobleme.

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