- Kultur
- Country Music
Why the Hell not
Kinky Friedman galt als Reaktionär in progressiven Zirkeln und als Progressiver in konservativen Zirkeln
»Es ist keine Schande, aus Texas zu kommen, es ist nur eine Schande, dahin zurückzukehren«, lautet eine der grandiosen Sottisen von Kinky Friedman. Und das ist auch eine schöne Selbstironie, denn den »jüdischen Cowboy«, Country-Sänger und Krimiautor verschlug es nach langen Jahren on the road wieder nach Texas, weil er in New York inzwischen jeden kennengelernt hatte, den er hatte kennenlernen wollen, und weil er im November 2006 als unabhängiger Kandidat bei den texanischen Gouverneurswahlen ins Rennen gehen wollte.
Wenn er damals auch nur Vierter wurde, konnte er doch immerhin knapp 13 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. Kinky Friedman hatte keine Chance, aber er nutzte sie. Trotz seiner internationalen Berühmtheit war Kinky den Texanern nicht ganz geheuer. Sie misstrauten seiner schnurrenden Versicherung, die an die Schlange Kaa aus dem »Dschungelbuch« erinnerte: »Wählt mich! Mir könnt ihr vertrauen, ich bin Jude.« Abgesehen davon jedoch dürfte der gewöhnliche texanische Wähler nichts an ihm auszusetzen gehabt haben, denn Friedman war mit allen Insignien ausgestattet, die einen Cowboy ausmachen: Er hatte einen Cowboyhut auf, trug einen Cowboyschnurrbart und Cowboystiefel, und auch dass er für legalisiertes Glücksspiel eintrat, war okay. Weniger aus dem Grund, weil Kinky die staatlichen Erlöse in das marode Bildungssystem stecken wollte, sondern vielmehr wegen der Begründung Kinkys, dann nicht mehr extra nach Las Vegas fahren zu müssen, um seiner Spielleidenschaft zu frönen.
Gegen die Homo-Ehe hatte er nichts einzuwenden, weil die Schwulen das gleiche Recht auf das Elend der Zweisamkeit haben sollten wie die Heteros. Dass der alte Kiffer Willie Nelson in Kinkys Schattenkabinett zuerst Chef der Texas Rangers werden sollte und später Umweltminister – »energy czar«, wie Kinky sagte –, weil er seinen alten Tourbus mit Bio-Diesel tränkte und weil es schließlich darum ging, mit gutem Beispiel voranzugehen, dürfte einem eingeborenen Texaner allerdings nicht geheuer gewesen sein. Denn für diesen gehört ein Sprit fressender Highwayschlitten immer noch zum Way of Life.
Und schließlich machte dieser zwielichtigte Bursche keinen Hehl daraus, Fans zu haben, die in Deutschland gänzlich untendurch waren, nämlich Laura und George W. Bush. »Sie unterstützen mich, wenn auch im Untergrund. George W. ist ein guter Mensch, eingeschlossen im Körper eines Republikaners. Laura ist eine Freundin. Sie hat mir einen Brief geschrieben; darin steht, dass sie beide mein T-Shirt tragen, wenn sie ins Fitness-Studio des Weißen Hauses gehen. Aber falsch herum, damit keiner meinen Slogan sieht: ›Why the Hell not?‹«
Vielleicht muss man konzedieren, dass selbst einer der größten Bösewichte der neueren Geschichte manchmal eine nette Seite hat, was nicht heißt, dass man sein Urteil über dessen Politik revidieren muss, und wenn, dann nur in diesem einen Fall, als er versprach, den Wahlkampf von Kinky zu unterstützen.
Das alles machte Kinky für die Konservativen noch lange nicht zu einem hoffähigen und ernstzunehmenden Kandidaten, denn er machte sich über die konservative Seite noch lustiger als über die Linken. Kinky fühlt sich dabei in seiner Rolle als Außenseiter wohl, »als Jude in Texas, als Texaner in New York, als Reaktionär in progressiven Zirkeln und als Progressiver in konservativen Zirkeln« (»New Yorker«). Oder wie es der Journalist Larry Sloman, aus Kinkys Krimis auch als »Ratso« bekannt, ausdrückte: »Too smart for country, too country for the intelligentsia.«
Ein wenig war Kinky ein Anarchist, der nach dem Thron greift. Auf die Frage »Mr. Friedman, warum sollte man Sie zum Gouverneur wählen?« antwortete er: »Das frage ich mich auch. Keine Ahnung. Als ich die Bewerbung bekanntgab, sagte ich: ›Ich brauche eine größere Kleiderkammer.‹ Jetzt muss ich mir eine bessere Begründung ausdenken.« So eine Antwort bekäme man bestimmt nicht von einem deutschen Politiker.
Und Rauchen, Trinken und Fluchen gehören nicht gerade zu den Eigenschaften, die das normale Wahlvolk an jemandem schätzt, der Gouverneur von Texas werden will, schon gar nicht, wenn der Mann für die Legalisierung von Marihuana eintritt und gegen Abtreibung nichts einzuwenden hat. Und tatsächlich sanken Kinkys Umfragewerte, als er auf einer Parade in Dallas im Cabriolet als Gast mitfuhr und vor unschuldigen Kinderaugen gesetzeswidrig eine Dose Bier leerte. Da nützte es ihm auch nichts, mit der Begründung, er sei durstig gewesen, auf verminderte Schuldfähigkeit zu plädieren.
Kinky war als Showmensch und Entertainer, der lange Zeit mit seiner Country-Band The Texas Jewboys auf der Bühne stand, erstaunlich unprätentiös. »Die Kleiderfrage bringt mich nochmal um«, beklagte er sich einmal wie eine Präsidentengattin, die jeden Morgen vor dem Problem steht, aus 200 Paar Schuhen das richtige für den Tag zu finden. »Ich habe zwei Outfits. Meine Waylon-Jennings-Weste mit dem Popel hier, den Waylon mir schenkte, und mein Prediger-Jackett, und jeden Morgen brauche ich den halben gottverdammten Tag, mich zu entscheiden, was ich anziehen soll.«
So stand er häufig auch auf der Bühne und sang gotteslästerliche Songs wie »Men’s Room, L.A.«. Kinky sitzt auf dem Klo, hat kein Toilettenpapier, sondern nur ein Bildnis des Herrn, und sagt: »Lord, what would you do / If you were me and I were you / Take a Chance, save your pants or your soul?« Das war ziemlich harter Stoff für Gläubige aller Art. Und auch sein ironischer Song darüber, dass man keine Drogen nehmen müsse, denn schließlich könne man auch »High on Jesus« werden, ganz zu schweigen von »Proud to be an Asshole from El Paso«, das waren die blasphemischen Hits, mit denen die Texas Jewboys bei dem eher konservativ gesinnten Country-Publikum nicht gut ankamen.
Aber Kinky teilte nach allen Seiten aus. Die Jewboys wurden in San Francisco von Indianern angegriffen, weil sie sich als solche verkleidet und einen lustigen kleinen Indianersong zum Besten gegeben hatten: »We are the red man tall and qaint«, also groß und malerisch, wunderlich, kurios, was die Ureinwohner offensichtlich nicht so komisch fanden. Die Jewboys wurden von Feministinnen für den Song »Get your biscuits in the oven and your buns in the bed« von der Bühne gejagt, ein Song, der Kinky den Titel »männliches Chauvinistenschwein« eintrug. In Denver waren es Schwarze und in Nacogdoches in Texas waren es die Rednecks, die sich von den Jewboys so provoziert fühlten, dass sie sich die Show nicht bis zu Ende ansehen wollten. Aber auch liberale Juden in New York waren not amused und nannten die Jewboys eine »Schande«.
Im Troubadour in L.A. kam Rod Stewart mit einer aufgetakelten Begleitung voller L.A.-Glitzer, um Kinky zu sehen. Nach dem dritten oder vierten Song sagte er: »What the bloody hell is this?«, und zog beleidigt mit seinem »high-dollar date« wieder ab. Aber im New Yorker Lone Star Club, wo er wöchentlich auftrat, bekam Kinky Besuch von Robin Williams und John Belushi. Damals allerdings nahm er zu viele Drogen, weshalb ihm Tom Waits riet, damit aufzuhören. Er zog sich in einen alten Wohnwagen auf der Farm seiner Eltern zurück und schrieb 17 Krimis mit sich selbst in der Hauptrolle. Eine Therapie, die wirkte und ihm viele neue Fans zuführte wie zum Beispiel Wiglaf Droste, Franz Dobler und Denis Scheck, der ihn in seine Sendung »Druckfrisch« einlud.
In den vergangenen Jahren wurde es ruhig um Kinky Friedman. Wie jetzt zu erfahren war, litt er an Parkinson. Am 26. Juni starb er mit 79 in Texas. Mit ihm starb die Idee von Freiheit, die Kinky in seinem unsteten Leben auslebte, ein Leben, das heutzutage nicht mehr möglich ist.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.