• Politik
  • Immunitätsurteil in den USA

Freibrief für Donald Trump

Oberstes US-Gericht gesteht Präsidenten weitgehende Immunität für alle Amtshandlungen zu

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.
Am 6. Januar 2021 stürmte ein von Trump aufgehetzter Mob das Kapitol in Washington.
Am 6. Januar 2021 stürmte ein von Trump aufgehetzter Mob das Kapitol in Washington.

Die ultrakonservative Mehrheit der Richter am obersten US-Gericht hat mit einem Aufsehen erregenden Urteil dafür gesorgt, dass Donald Trump strafrechtlich kaum mehr zur Verantwortung gezogen werden dürfte. Mit sechs zu drei Stimmen entschied der Supreme Court, dass amtierende wie Ex-Präsidenten »absolute Immunität« für alle »offiziellen Amtshandlungen« genießen. Der Prozess wegen Trumps Versuch eines Staatsstreichs am 6. Januar 2021 wird nun keinesfalls mehr vor den Präsidentschaftswahlen am 5. November stattfinden.

Sollte der 78-Jährige die Wahlen gewinnen, könnte er das Justizministerium zur Einstellung dieser und weiterer Anklagen gegen ihn anweisen. Dies beträfe einen weiteren Fall vor einem Bundesgericht im Bundesstaat Florida, in dem es um seine Mitnahme geheimer Regierungsdokumente in sein Privatanwesen geht. Wegen seiner Wahl-»Interventionen« wurde er auch von der Justiz des Bundesstaats Georgia verklagt. Im New Yorker Prozess gegen Trump zu einer Schweigegeldzahlung an die frühere Pornodarstellerin Stormy Daniels gab es bereits Ende Mai einen Schuldspruch. Das Strafmaß für Trump will der New Yorker Richter am 11. Juli verkünden. Trumps Anwälte schickten unmittelbar nach Bekanntgabe des Supreme-Court-Urteils am Montag ein Schreiben an den Richter, um die Verurteilung aufheben zu lassen.

Befürworter des Urteils vom Montag glauben darin eine Stabilisierung der Exekutive und ein Austarieren der Gewaltenteilung zu erkennen. Es gebe andere Demokratien, die ähnliche oder weitergehende Regeln kennen, hieß es. Der Präsident könne auch in Zukunft belangt werden, wenn er etwa Bestechungsgelder annehme, versicherte der Vorsitzende des Supreme Court, John Roberts, in einer Fußnote des Urteils aus seiner Feder. Richter Samuel Alito beteuerte, das US-Militär würde keine politischen Gegner ermorden, schon weil ihr militärischer Ehrenkodex das Ausführen illegaler Befehle verbiete. Die Definition dessen, was als »offizielle« Amtshandlung anzusehen sei und damit unter »absolute Immunität« falle, überließ das Gericht allerdings bewusst den unteren Instanzen.

Die »New York Times« nennt das Urteil ein »Geschenk von unschätzbarem Wert« für »Donald Trump und alle künftigen Präsidenten, die beabsichtigen, das Gesetz und ihren Eid auf die Verfassung zu verletzen«. Die Gleichheit vor dem Gesetz für alle sei jetzt außer Kraft gesetzt. Formal bestehe weiterhin die Möglichkeit von Anklagen gegen Präsidenten wegen Verbrechen im Amt. In Wirklichkeit aber könne jetzt ein Präsident »einen Aufstand am US-Kapitol anschieben, ohne befürchten zu müssen, später ins Gefängnis zu gehen oder juristisch zur Verantwortung gezogen zu werden«.

Die drei liberalen Richter, die von Demokraten ernannt worden waren, äußerten in der von Richterin Sonia Sotomayor verfassten Gegenposition ihre »Angst um unsere Demokratie«. Die Richtermehrheit habe ein Urteil gefällt, das Trump »eine geladene Waffe« in die Hand gebe. Als Beispiele nannte Sotomayor einen vom Präsidenten in Auftrag gegebenen Mordanschlag auf einen Rivalen, einen Militärputsch des abgewählten Präsidenten oder den Nachweis von Bestechlichkeit. »Selbst wenn diese Albtraumszenarien nie eintreten sollten, und ich bete, dass sie es nie tun, ist der Schaden bereits angerichtet«, schrieb sie. »Bei jeder Ausübung seiner Amtsgewalt ist der Präsident jetzt ein König, der über dem Gesetz steht.« Das Gericht schaffe »faktisch eine rechtsfreie Zone um den Präsidenten und rüttelt am Status quo, der seit der Gründung der Nation existiert«.

Richterin Ketanji Brown Jackson, die vom Demokraten Biden ernannt worden war, kritisierte, jeder geschichtlich einigermaßen bewanderte Bürger wisse, dass die Gewaltenteilung nicht zur Effizienzsteigerung der Regierung eingerichtet wurde, sondern um Willkür zu verhindern, »die Menschen vor der Autokratie zu schützen«. Das Urteil entfache einen »Großbrand«, der die demokratische Selbstverwaltung gefährde. Der bekannte US-Historiker Timothy Snyder warnte am Dienstag: »Verliert Trump nicht, ist Amerika am Ende.«

Mit einem verzweifelten Aufschrei unter dem Titel »Der Präsident darf dich jetzt offiziell umbringen« reagierte die linke Publikation »The Nation«. Trump habe mit dem Urteil gewonnen, gegen das es keine rechtliche Handhabe gebe. Einziger Ausweg sei eine Vergrößerung der Zahl der Richter für eine andere Mehrheit. Doch »das wird nicht passieren«, so »The Nation«. Denn dazu müssten die Demokraten nicht nur das Weiße Haus, sondern auch den Senat und das Repräsentantenhaus gewinnen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.