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Gleichwertigkeitsbericht: Weniger abgehängte Regionen

Ampel-Regierung legt ersten Gleichwertigkeitsbericht vor

Alles eine Frage der Wahrnehmung: Mit Schaubildern demonstrierte Robert Habeck Unterschiede zwischen Realität und Zufriedenheit
Alles eine Frage der Wahrnehmung: Mit Schaubildern demonstrierte Robert Habeck Unterschiede zwischen Realität und Zufriedenheit

Die Lage ist unübersichtlich. Klar ist aber: Die Anbindung des ländlichen Raums in Deutschland an den Öffentlichen Nahverkehr und die medizinische Versorgung dieser Gebiete sind immer noch schlecht. Zu wenige Ärzte, schließende Kliniken, Kinder- und Geburtsstationen. Das alles trägt zum anhaltenden Bevölkerungsrückgang in Regionen bei, in denen die nächste Großstadt weit ist. Nachzulesen ist das im knapp 230-seitigen »Gleichwertigkeitsbericht« der Bundesregierung, den Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Mittwoch in Berlin präsentierten.

Insgesamt läuft es aber, anders als schlechte Stimmung und Zuspruch für Rechtsaußen-Kräfte es vermuten lassen, ziemlich gut im Land. Zu dieser Einschätzung kommen beide Regierungsmitglieder. Sie stützen sich dabei auf die Aussagen im Kapitel »Gleichwertige Lebensverhältnisse aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger«, die unter anderem auf 31 000 Interviews basieren. Demnach sind 63 Prozent der Menschen mit ihrem Leben und 83 Prozent mit ihrem Wohnort zufrieden bis sehr zufrieden. »Wir sollten auch gute Ergebnisse nicht aus den Augen verlieren«, mahnte angesichts dessen Elga Bartsch, Chefökonomin im Wirtschaftsministerium.

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Der Report soll analysieren, wie Regierung und Verwaltungen ihre aus der Vorgabe des Grundgesetzes resultierende Pflicht erfüllen, für »gleichwertige Lebensbedingungen« in allen Regionen zu sorgen. Dafür also, dass Alte wie Junge, Männer wie Frauen, Eltern und Kinder mit vergleichbarem Aufwand ihr Leben führen können.

Ein wesentlicher Beweggrund für die Etablierung des neuen Berichtsformats ist die Evaluierung der Wirksamkeit von Förderprogrammen, mit denen der Bund die genannten Aufgaben erfüllen will. Ein anderer dürfte sein, von der Fokussierung auf die Unterschiede zwischen Ost und West wegzukommen und stattdessen diejenigen eben zwischen Stadt und Land, Industrie- und Dienstleistungsregionen in den Mittelpunkt zu stellen.

Allerdings zeigen viele Daten unabweisbar die fortbestehende gravierende Ost-West-Differenz bei Einkommen, Steuereinnahmen und Jobs generierenden Industriestandorten – letztere gibt es nach der Deindustrialisierung der 1990er Jahre in Ostdeutschland nach wie vor nur in sehr geringer Zahl. Umgekehrt offenbaren sich auch die Folgen der wenigen beibehaltenen Errungenschaften aus der Zeit der DDR wie ein flächendeckend viel besseres zumindest quantitatives Angebot an Kitaplätzen oder geringere Geschlechterdifferenz bei Einkommen und Renten.

Habeck, Faeser und Bartsch zeigten sich wild entschlossen, die Ergebnisse des Berichts als Bestätigung für zielgenaue Förderpolitik und damit für das Handeln der aktuellen Regierung zu interpretieren, gestützt auf die Befunde des Hauptkapitels. Darin werden anhand von 38 »Gleichwertigkeitsindikatoren« wie kommunales Steueraufkommen, Arbeitslosenquote, Zahl der Straftaten, Geburtenrate und Lebenserwartung, Erreichbarkeit des nächsten Supermarkts und der Anteil der Waldfläche die Lebensverhältnisse in allen 400 Kreisen und kreisfreien Städten bewertet. 

27 dieser Indikatoren, sagte Habeck, »erzählen die Geschichte einer Nach-Oben-Bewegung«. Er ging damit auch auf Nachfragen ein, ob eine Angleichung der Verhältnisse in Ost und West sowie zwischen Stadt und Land nicht auch einem Abwärtstrend in bisher eher privilegierten Gebieten geschuldet sein könne. Für den Wirtschaftsminister ist klar: »Die Schere schließt sich.«

Die Einschätzungen der Bevölkerung stehen dem positiven Bild etwas im Weg. So sind 56 Prozent der Befragten mit den vorhandenen Mobilitätsangeboten zufrieden. Die Möglichkeiten, bezahlbaren Wohnraum zu finden, finden sogar acht von zehn Befragten sehr schlecht oder eher schlecht. Nur 43 Prozent fanden die Qualität der Schulen und 39 Prozent die der Kinderbetreuung gut.

Dass gerade in Ostdeutschland große Unzufriedenheit herrscht, erklärt Habeck mit teilweise lange zurückliegenden Erfahrungen mit Strukturbrüchen und Verlusten. Veränderung werde daher vielfach generell als Gefahr wahrgenommen. Es gebe oft auch einen Unterschied zwischen realer und »gefühlter« Entwicklung.

Faeser räumte indes ein, dass die »schlechtere medizinische Versorgung im ländlichen Raum real« sei. Das liege auch an den 2003 eingeführten Fallpauschalen für Operationen und Behandlungen, die vielfach die Kosten nicht deckten, insbesondere in der Kindermedizin, wo es eine starke Unterversorgung gebe. Das werde »jetzt von unserer Regierung angepasst«, so die Innenministerin mit Blick auf die Pläne zur Krankenhausreform. An der Etablierung des Fallpauschalensystems war der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) maßgeblich beteiligt.

Scharfe Kritik an der Darstellung Habecks und Faesers kam von der Linken. Heidi Reichinnek, Ko-Vorsitzende der Gruppe der Partei im Bundestag, monierte, sie betonten die in Prozenten positive wirtschaftliche Entwicklung in Regionen mit höchstem Förderbedarf, ließen aber außen vor, von welchem Niveau aus diese geschehe. Wenn die Bundesregierung mit ihrer Sparpolitik weitermache, würden »positive Entwicklungen im Keim wieder erstickt«, mahnt Reichinnek.

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