Afghanistan und Pakistan: Frostige Beziehung

Pakistan und Afghanistan liegen im Streit, seit die pakistanischen Behörden afghanische Geflüchtete in Massen zurückschicken

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.
Afghanische Flüchtlinge kommen aus Pakistan in der Provinz Kandahar im Süden Afghanistans an.
Afghanische Flüchtlinge kommen aus Pakistan in der Provinz Kandahar im Süden Afghanistans an.

Seit Herbst 2023 hat die pakistanische Regierung die Afghanen zu unerwünschten Personen erklärt. Zwar war es die Übergangsregierung, die seinerzeit die Weichenstellungen für eine Repatriierungskampagne vornahm. Doch auch der Regierungswechsel nach den Wahlen im Februar hat diesen Kurs nicht verändert. Gegenüber den Spitzenwerten vom November, als aus der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa gleich 161 000 Menschen ausreisten und weitere 100 000 aus Belutschistan, gingen die Zahlen zwar zum Jahresende 2023 deutlich zurück. Von Mai auf Juni stiegen sie aber nun wieder, verdoppelten sich zuletzt auf gut 10 000 pro Woche.

Schon bis zum Frühjahr hatten sich rund eine halbe Million Afghanen dem Druck zur Ausreise gebeugt und waren heimgekehrt – überwiegend jene, die über keine Aufenthaltstitel verfügten. Damit aber gibt sich Pakistan nicht zufrieden. Im April war auf der Webseite der Nachrichtenagentur »The New Humanitarian« zu lesen, die Regierung in Islamabad plane eine zweite Welle von Abschiebungen. Zuletzt verdichteten sich die Hinweise, dass die Umsetzung kurz bevorsteht. Nun sind auch jene in Bedrängnis, die sich bisher dank irgendwelcher Dokumente noch sicher wähnten.

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Nach Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) haben allein in der ersten Junihälfte über 22 000 Menschen aus Afghanistan das einst sicher erscheinende Zufluchtsland Pakistan verlassen. Dabei handelte es sich zu 91 Prozent um »undokumentierte« Flüchtlinge, lediglich knapp ein Zehntel verfügte über Papiere, heißt es in einem Bericht der Organisation, der auf dem Portal Reliefweb.int veröffentlicht ist. 43 Prozent waren demnach Senioren über 60, mehr als ein Fünftel verwitwete Frauen, jede*r Vierte ist von chronischen Erkrankungen geplagt. Und auch Schwangere nehmen trotz der oft schwierigen persönlichen Umstände den Weg in die Ungewissheit auf sich. Die meisten aus Angst vor einer Verhaftung.

»Pakistan wird seine Gesetze gegenüber Ausländern, die sich illegal im Land aufhalten, in Anwendung bringen. Wir hoffen außerdem, dass nun, da der Konflikt in Afghanistan beendet ist, die 1,4 Millionen registrierten afghanischen Flüchtlinge bald heimkehren – unter einem voll finanzierten UN-Plan, wie es vor zwölf Jahren bekräftigt wurde«, sagte kürzlich Munir Akram, der ständige Gesandte Pakistans bei den Vereinten Nationen. Schon seit einer Weile, berichten die afghanische Nachrichtenseite »Tolo News« und andere Medien, würden sich auch Geflüchtete mit Papieren über »verstärkte Schikanen der Polizei und der Behörden« beschweren, darunter die Nichtverlängerung von humanitären Visa.

Im September vergangenen Jahres hatte die Übergangsregierung ihre Rückführungspläne öffentlich gemacht und einen Termin bis 1. November zur freiwilligen Ausreise gesetzt, bevor Zwangsmaßnahmen ergriffen würden. Die Angst, im Gefängnis zu landen, war bei vielen offenbar größer als in ein Land zurückzukehren, in dem Hunger, Zerstörung und die radikalislamischen Taliban auf sie warten. Viele jüngere Erwachsene kommen in ein völlig fremdes Land. In manchen Fällen waren die Eltern schon vor zwei Jahrzehnten geflohen, die ganze Familie fühlte sich inzwischen eher als Pakistanis, wenngleich zweiter Klasse. »Mein Vater ging als Flüchtling nach Pakistan und startete bei Null – so wie wir jetzt«, zitierte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) den 23-jährigen Abdul. Überstürzt hätten er und seine Familie, eines der Kinder noch ein Baby, einen Tag vor Ablauf der freiwilligen Ausreisefrist ihre wenigen Habseligkeiten zusammengepackt und sich auf den Weg gemacht.

»Wir haben kein Haus, keinen Job, einfach nichts«, heißt es von Assadullah, der schon 1979 vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen aus Afghanistan geflohen war – und Ende 2023 nach 44 Jahren das einst sicher scheinende Pakistan verließ. Angesichts der Verfolgungen, darunter willkürlichen Hausdurchsuchungen und Nichtakzeptanz geltender Papiere, sei ihm keine Wahl geblieben. In der alten Heimat gebe es zwar keine Perspektive, man sei aber zumindest vor den verschärften Schikanen sicher, so Assadullah.

In Pakistan hinterlassen die Weggehenden aber auch Lücken. Zum Beispiel fehlten der Recyclingbranche in grenznahen Gebieten nun viele billige Arbeitskräfte, berichtete die Deutsche Welle im Dezember. Der Repatriierungsplan sei »eine Verletzung internationaler Menschenrechtsgesetzgebung und gefährdet die Leben aller afghanischen Flüchtlinge«, mahnte Amnesty International im April.

Die nicht abgestimmte Rückführung so vieler Geflüchteter ist nicht das einzige Thema, welches das Verhältnis zwischen Islamabad und Kabul belastet. Zur nochmaligen Verschärfung trägt die von Pakistan beschlossene neue Antiterrorkampagne bei, mit der man gegen die einheimischen Taliban (Taliban Tehreek-e-Pakistan/TTP), einen eher losen Zusammenschluss relativ autonomer radikaler Netzwerke, sowie den regionalen Ableger des »Islamischen Staates« (IS-Khorasan/IS-K) vorgehen will. Darauf hatte sich die Regierung im Juni verständigt, da Anschläge seit Monaten zunehmen. Auch die Rückzugsorte der Extremisten auf afghanischem Boden stehen im Visier, deutete Verteidigungsminister Khawaja Asif an.

»Jeder, der unter irgendeinem Vorwand unsere Grenzen verletzt, wird für die Konsequenzen verantwortlich sein«, warnte im Gegenzug der Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums Enayatullah Khwarizmi. Regierungssprecher in Islamabad waren daraufhin bemüht, zurückzurudern und »den Respekt der Grenzen« zu betonen. Doch das Regime in Kabul ist verstimmt. Zwar gibt es im Zuge des gerade wieder angelaufenen internationalen Dialogs mit den Taliban auch direkte Gesprächskanäle der Islamisten mit pakistanischen Gesandten, die Lage aber bleibt angespannt. Dabei war Pakistan früher einer von weltweit nur drei Staaten, die bis zum US-Einmarsch 2001 das Regime der ersten Taliban-Generation diplomatisch voll anerkannt hatten.

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