Bosniaken in Berlin: »Wir können uns dem Trauma nicht entziehen«

Bosniaken in Berlin erinnern an das Massaker in Srebrenica vor 29 Jahren

  • Interview: Günther Piening
  • Lesedauer: 3 Min.
»Das Trauma bleibt«: Trauernde Angehörige in Srebrenica
»Das Trauma bleibt«: Trauernde Angehörige in Srebrenica

Was bedeutet es, 29 Jahre nach dem Krieg hier im Garten zusammenzukommen und des Massakers von Srebrenica zu gedenken?

In Srebrenica geschahen vor den Augen der Weltöffentlichkeit schlimmste Verbrechen. Alle Gärtnerinnen in dem Interkulturellen Garten hatten im Krieg schwere traumatisierende Erlebnisse. An diesem Tag hören wir Berichte von Betroffenen, reden über unsere Erfahrungen und wie wir versuchen, daraus das Beste zu machen. Dieses gemeinsame Erinnern ist für die Seele sehr wichtig. Wir wollen aber auch die Öffentlichkeit aufmerksam machen, wie schlimm Kriege und Genozide sind.

Hilft Gartenarbeit, das Erlebte zu verarbeiten?

Wegen all der schrecklichen Dinge, die wir im Krieg erlebt haben, hatten wir den Glauben an die Menschlichkeit verloren. Als wir in der Therapiegruppe vom Verein Südost merkten, dass die Frauen im Frühjahr besonders deprimiert waren und sich nach ihren verlassenen Rosen sehnten, kam die Idee mit dem Garten. Etwas zu pflanzen, zu pflegen, zu sehen, wie etwas wächst, das man selbst geschaffen hat – all das lässt ein wenig die Trauer vergessen und schafft Selbstbewusstsein. Wir reden hier nicht mehr über den Krieg, wir pflanzen und gießen, wir trinken Kaffee und sprechen über das jetzige Leben. Auch das hilft, sich wieder zu öffnen und in die Zukunft zu sehen obwohl das Trauma bleibt, wir können uns dem nicht entziehen, da es nicht vorbei ist. Es gibt weiter Kriege, es gibt Vertreibung und Genozid. Wenn ich die Bilder aus Palästina und Ukraine sehe, dann kommt die Erinnerung wieder hoch. Ich kann das kaum ertragen.

Interview


Begzada Alatović floh 1993 mit ihrem dreijährigen Sohn zu Fuß aus Bosnien, als die Angriffe der Serben stärker wurden. Als Bürgerkriegsflüchtling bekam sie in Berlin nur eine Duldung. Bereits drei Tage nach dem Abkommen von Dayton (1995) begann Berlin
mit der Abschiebung. Alatović war in einer Therapiegruppe und konnte darum nicht abgeschoben werden. Erst 2002 gewährte Berlin als eines der letzten Bundesländer den verbliebenen Bosniak*innen einen Aufenthaltstitel. Alatović ist heute Leiterin des Interkulturellen Gartens »Rosenduft«. Dessen Träger ist der Verein »Südost Europa Kultur«, in dem seit 30 Jahren Geflüchtete aus Ex-Jugoslawien unterstützt werden. Bei dem Massaker in Srebrenica wurden 1995 etwa 8000 Bosniaken durch Einheiten der Armee der serbischen Teilrepublik Bosniens sowie Milizen ermordet.

Was bedeutet die Verurteilung des bosnisch-serbischen Milizenführers Ratko Mladić im Jahr 2017 und den anderen Kriegsverbrechern durch den Internationalen Gerichtshof Den Haag für Sie?

Natürlich finde ich das richtig und wichtig. Es ist auch gut, dass alles möglichst genau öffentlich behandelt wird. Aber es hat viel zu lange gedauert und geändert hat sich nichts. Die Serben geben weiter keine Ruhe, wir haben neue Kriege und neue Massaker in anderen Teilen der Welt. Manchmal bin ich wirklich verzweifelt.

Reden Sie mit Ihren Kindern über den Genozid?

Wir versuchen, die Kinder zu schützen, solange sie klein sind. Sie haben trotz der vielen Hürden, die sie überwinden mussten, ihren Weg gefunden, haben eine gute Ausbildung, unter ihnen sind Ärzte, Professoren, Direktoren. Aber es gibt Anlässe, bei denen man in der Familie darüber reden muss. Zum Beispiel wenn der Ehemann identifiziert wird und beerdigt werden muss. Es werden ja immer noch Massengräber gefunden. In der Gartengruppe ist eine Frau aus Srebrenica, deren Sohn man jetzt in einem Massengrab gefunden hat. Aber ihm fehlt der Kopf. Wir haben in der Gruppe mit der Therapeutin lange darüber geredet, ob er so begraben werden soll. Inzwischen ist er begraben – aber die Frau träumt immer wieder von seinem Kopf.

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Auch Schulklassen besuchen den Interkulturellen Garten. Reden sie mit denen über die Erlebnisse oder nur über Botanik?

Manchmal kommen Klassen mit vorbereiteten Fragen zum Krieg in Jugoslawien, dann reden wir darüber. Wenn ich in Grundschulen bin, zeige ich Bilder von Krieg, aber ich versuche auch, mutmachende Entwicklungen aufzuzeigen, damit die Kinder das verarbeiten können.

Gibt es im Garten eine Pflanze, die besondere Erinnerungen weckt?

Unser Garten heißt »Rosenduft«. Die ersten Rosen haben wir aus Bosnien geholt. Der Duft der Rosen ist lebendige Erinnerung wie der Rosensirup, den wir am Gedenktag trinken. Inzwischen haben wir auch Okraschoten, Flaschenkürbisse und fast 30 Bohnensorten, deren Ursprungssamen ich allesamt aus Bosnien mitgebracht habe. Alles, was hier wächst, ruft Erinnerungen wach, macht aber auch Hoffnung auf ein normales Leben.

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