- Kommentare
- Amnesty International
Nach Amnesty-Bericht: Zivilen Ungehorsam verstehen
Anton Benz über den neuen Bericht von Amnesty International, der die Unterdrückung von friedlichem Protest in Europa anprangert
Mehr Berechtigung für radikalen Klimaprotest gibt es kaum: Gerade wurde bekannt, dass die globale Durchschnittstemperatur erstmalig zwölf Monate lang 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau lag. Das Mindeste, was ein demokratischer Staat angesichts dessen tun sollte, ist, die Dringlichkeit von friedlichem Protest anzuerkennen und ihn zu schützen.
Doch wie der am Dienstag veröffentlichte Bericht von Amnesty International zeigt, ist das Gegenteil der Fall. Nicht nur Klimaaktivismus wird demnach in weiten Teilen Europas systematisch eingeschränkt und unterdrückt. Von Italien bis Finnland, von Spanien bis Slowenien werden verschiedene soziale Bewegungen kriminalisiert und Aktivist*innen werden verunglimpft; Klimaaktivisten werden dann zu gewalttätigen Ökofaschisten oder Klima-Terroristen in Warnwesten – wer kennt sie nicht?
Es bleibt nicht bei rhetorischen Verhärtungen: Angehörige der Letzten Generation landen gerne mal in Präventivhaft, Pressehandys werden angezapft und wer es, wie Ende Gelände, wagt, den Kapitalismus überwinden zu wollen, der ist ohnehin ein Fall für den Verfassungsschutz.
All das offenbart ein falsches Verständnis von zivilem Ungehorsam. Dieser ist nicht nur seinem Wesen nach gewaltfrei, oft stehen Aktivist*innen zu ihren Taten und akzeptieren Gerichtsurteile – sie sind also weit entfernt davon, demokratische Institutionen zu missachten. Mehr noch: Wer sich mit seinem Protest an den Staat wendet, wie es etwa die Letzte Generation tut, der erkennt ihn damit gleichzeitig an. Denn was ist demokratischer als ein Appell an die Regierung? Der Philosoph John Rawls bescheinigte zivilen Ungehorsam Ausübenden deshalb eine »tiefere Gesetzestreue«. Ergo: Hört auf, Klimaaktivist*innen zu beschimpfen – hört auf sie!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.