Berlin: Bubatz-Behördenchaos

Senat und Bezirke streiten sich über Zuständigkeit für Cannabis-Clubs

Bis diese Setzlinge legal gepflanzt werden können, kann noch etwas Zeit vergehen.
Bis diese Setzlinge legal gepflanzt werden können, kann noch etwas Zeit vergehen.

Berlins Kiffer müssen sich weiter gedulden: Obwohl es nach dem bundesweiten Cannabisgesetz eigentlich seit Monatsbeginn möglich sein sollte, dass Anbauvereinigungen – sogenannte Cannabis-Clubs – Anträge auf den legalen Anbau des grünen Rauschmittels stellen können, ist noch völlig offen, wer für die Genehmigung zuständig ist. Zu Monatsbeginn hatte die Gesundheitssenatsverwaltung erklärt, dass die Bezirksämter als »Auffangzuständigkeit« für die Genehmigung der Anträge zuständig ist. Dies soll, so die Gesundheitsverwaltung, auch langfristig gelten.

Die Bezirksämter jedoch sehen sich dieser Aufgabe nicht gewappnet. »Mit Sorge beobachten die Bezirke die öffentlich geäußerten Pläne, die Zuständigkeit in den Bezirken zu verankern«, heißt es in einem Brief, mit dem sich die Bezirke an die Senatsverwaltung unter Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) wenden. Mit Ausnahme von Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf wurde der Brief von allen Gesundheitsstadträten in den Bezirken unterschrieben.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Den Bezirksämtern fehle demnach sowohl das Personal als auch die Expertise, um die Genehmigungsverfahren durchzuführen. Die Bezirke äußern zudem grundsätzliche Bedenken gegen eine dezentrale Lösung: »Der Koordinationsaufwand für den aus Sicht der Bezirke notwendigen einheitlichen Vollzug des Bundesgesetzes wäre enorm und von unnötigen Herausforderungen geprägt«, heißt es in dem Brief, der »nd« vorliegt. Stattdessen solle diese »gesamtstädtische Aufgabe« von einer zentralen Stelle, die etwa beim Landesamt für Gesundheit und Soziales angebunden werden könnte, übernommen werden.

Ein »absurder Gedanke« sei es, dass die bezirklichen Gesundheitsämter die Aufgabe übernehmen könnten, sagt Carolin Weingart (Linke), Gesundheitsstadträtin in Treptow-Köpenick. In ihrem Gesundheitsamt, in dem etwa 130 Mitarbeiter beschäftigt sind, gebe es schlicht niemanden, der die nötige Kompetenz mitbringe, um die Genehmigungsverfahren durchzuführen. Denn bislang kümmere sich das Gesundheitsamt um Themen wie Suchtprävention oder Infektionsschutz – die Genehmigung und Kontrolle von Abgabestellen für legale Rauschmittel gehöre nicht dazu. »Das ist unschlüssig«, so die Bezirkspolitikerin.

Neue Stellen im Gesundheitsamt zu schaffen und passende Mitarbeiter zu finden, sei zeitaufwendig, so Weingart. Sie wünscht sich, dass die Genehmigungsprozesse in Landesbehörden behandelt werden. »So wie es in 14 anderen Bundesländern auch gehandhabt wird.« Sollte die Verantwortung am Ende doch bei den Bezirken liegen, sollte ihnen zumindest entsprechendes Personal zugewiesen werden, so Weingart. Sie will die Schuld für das Behördenchaos aber nicht allein dem Senat geben. »Die Vorgaben im Cannabisgesetz waren von vornherein unklar«, sagt Weingart. Entsprechende Bedenken der Bundesländer habe die Bundesregierung nicht aufgegriffen.

Unterstützung für eine zentrale Lösung kommt auch aus der Opposition: »Das Cannabisgesetz ist klar«, sagt Vasili Franco, Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus für Drogenpolitik. »Das Land ist für die Umsetzung in der Pflicht.« Der Senat entziehe sich seiner Verantwortung. »Jetzt zwölf Doppelstrukturen in den Bezirken aufzubauen, ist Quatsch«, sagt Franco. Bei der Gesundheitsverwaltung liege die größte Kompetenz für das Thema. Wichtig sei, dass die Genehmigungsverfahren »zügig und bürokratiearm« ablaufen.

Franco stört vor allem, dass sich die Umsetzung des bereits vor drei Monaten in Kraft getretenen Cannabisgesetzes weiter verzögert. »Es ist ein Skandal, dass das Land Berlin es nicht schafft, die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen«, sagt er. Er spricht von einer »mutwilligen Verzögerung« der Genehmigungsprozesse. Betroffen sei davon nicht nur die Frage der Zuständigkeiten, sondern auch die Rechtsverordnung, die vom Senat erlassen werden muss. Dort sollen etwa die Regeln für Cannabis-Clubs und Dokumentationspflichten geregelt werden.

Auf »nd«-Anfrage erklärt ein Sprecher der Senatsgesundheitsverwaltung, dass inzwischen ein Entwurf für die Verordnung vorliege. An dem Vorhaben, die Genehmigungsverfahren auf Bezirksebene zu verlagern, hält die Senatsverwaltung demnach fest. Offene Fragen sollen im Austausch mit den Bezirksämtern geklärt werden. »Dazu gehören auch Fragen der Finanzierung und des benötigten Personals für diese Aufgaben«, so der Sprecher. Die Zeit, die der Bundesgesetzgeber den Ländern für die Umsetzung des Cannabisgesetzes gegeben habe, sei angesichts der völlig neuen Augabe »mehr als ambitioniert« gewesen. Entsprechende Mahnungen seien nicht gehört worden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.