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Verschlossene Türen für Kinder in Not?

Jugendämter kritisieren Belegungsstopp beim Kinder- und Jugendnotdienst

Schon seit Jahren machen Beschäftigte der Jugendämter und des Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes auf die desolate Situation in der Kinder- und Jugendhilfe aufmerksam.
Schon seit Jahren machen Beschäftigte der Jugendämter und des Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes auf die desolate Situation in der Kinder- und Jugendhilfe aufmerksam.

»Wo sollen wir denn hin mit den Kindern?« Verena Bieler von der AG Weiße Fahnen, einer Arbeitsgruppe von Beschäftigten und Gewerkschaften aus der Jugendhilfe, stellt die verzweifelte Lage in den Berliner Jugendämtern dar. Denn seit Mitte Juni gibt es einen vom Senat angeordneten Belegungsstopp bei den Einrichtungen des Kinder- und Jugendnotdienstes, weil diese langfristig überbelegt sind. Ein entsprechender Erlass liegt »nd« vor, ebenso wie ein Schreiben der Jugendamtsleitungen an den Senat. Dort fordern sie, den Belegungsstopp in den Punkten, in denen stattdessen die Jugendämter in die Verwantwortung genommen werden, zurückzunehmen.

Der Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK) soll in Notfällen außerhalb der Öffnungszeiten der Jugendämter Kinder und Jugendliche aufnehmen. Laut Angaben der Senatsfamilienverwaltung betrifft das Minderjährige, die in der Nacht oder am Wochenende nach Feststellung einer Gefähdungslage aufgenommen werden müssen, und Minderjährige ohne festen Wohnsitz in Berlin. In der Realität aber kommt es immer wieder zu darüber hinausgehenden Aufnahmen von Kindern durch den Notdienst.

»Was sollen wir denn machen, wenn wir zum Beispiel eine Inobhutnahme angekündigt haben, aber keinen Platz für das Kind finden? Wir können ja nicht mit den Kindern im Büro übernachten.«

Verena Bieler AG Weiße Fahnen

Das soll der bis zum 31. August verhängte Belegungsstopp unterbinden: Wer aus Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe entlassen wird, soll nicht vom BNK aufgenommen werden, sondern zurück in die Einrichtung geschickt werden. Wenn ein Kind während der Arbeitszeiten der Jugendämter aus einer Psychiatrie entlassen wird oder wenn das Jugendamt eine Inobhutnahme eines Kindes angekündigt hat, soll es nicht aufgenommen werden. Wer vom Jugendamt nach 18 Uhr an den BNK verwiesen wird, soll spätestens am Folgetag zurück ins Jugendamt geschickt werden.

»Was sollen wir denn machen, wenn wir zum Beispiel eine Inobhutnahme angekündigt haben, aber keinen Platz für das Kind finden? Wir können ja nicht mit den Kindern im Büro übernachten«, sagt Bieler. So müssten Kinder dann im Zweifelsfall in Familien bleiben, in denen sie Gewalt erfahren, bis eine andere Lösung gefunden wird. Das sei Bieler bereits von Kolleg*innen als Folge des Belegungsstopps berichtet worden.

Schon seit Jahren machen Beschäftigte der Kinder- und Jugendhilfe darauf aufmerksam, dass sie nicht ausreichend ausgestattet sind und eine bessere Finanzierung sowie mehr Unterbringungskapazitäten gebraucht werden. Laut Verena Bieler hat sich die Situation durch die Corona-Pandemie und andere Krisen zugespitzt, die Fälle häuslicher Gewalt und von Angststörungen bei Heranwachsenden nähmen zu und die Hilfestrukturen seien mit einem immer größer werdenden Bedarf konfrontiert. Im vergangenen Jahr haben Mitarbeitende des ebenfalls überlasteten BNK einen Brandbrief verfasst, um auf die Überlastung aufmerksam zu machen. Daraufhin wurden zwar vom Senat neue Stellen geschaffen, aber diese wurden laut Bieler noch nicht besetzt. Außerdem haben nach der Auseinandersetzung mit dem Senat um den offenen Brief viele Mitarbeiter*innen gekündigt. Etwa 49 Stellen seien deshalb unbesetzt, sagt Bieler. Die Senatsfamilienverwaltung erklärt auf nd-Anfrage, dass sie diese Größenordnung nicht bestätigen könne. Zwar stelle der Fachkräftemangel den Notdienst vor Herausforderungen, aber die Betreuung und Versorgung sei weiterhin dauerhaft gewährleistet.

Bieler sieht die großen Schwierigkeiten beim BNK, der nicht ausbaden könne, dass es nicht genug reguläre Plätze für Kinder in Krisensituationen gibt. »Die betten schon die Kinder auf Matratzen im Flur, die machen wirklich, was sie können«, sagt Bieler. Deshalb könne sie auch den Belegungsstopp nachvollziehen, hätte sich aber gewünscht, dass vorab versucht worden wäre, mit allen Beteiligten eine Lösung zu finden, bevor eine Entscheidung getroffen wird, die die Situation für die Jugendämter noch mehr verschärfe. Die AG Weiße Fahnen fordert einen sofortigen Krisengipfel mit allen fachlich und politisch Verantwortlichen und ruft zum Protest am kommenden Dienstag vor dem Roten Rathaus auf.

Die Familienverwaltung weist auf nd-Anfrage darauf hin, dass es sich bei dem Belegungsstopp nur um die irregulären Aufgaben des BNK handelt. Das Problem sei, dass die stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe wegen des Platzausbaus beim BNK nun vermehrt Menschen dorthin schickten, anstatt diese weiterhin bei sich unterzubringen, sagt Sprecherin Susanne Gonswa. »Wenn Kinder von dort aus disziplinarischen Gründen direkt oder über die Jugendämter in den Notdienst Kinderschutz entlassen werden sollen, ist nicht der Notdienst zuständig, sondern die Jugendämter, gemeinsam mit den Trägern eine Lösung zu finden.«

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Aus dem Schreiben der Jugendamtsleitungen an den Senat wiederum geht hervor, dass sie sich durchaus der Problematik bewusst sind, wenn Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in die Einrichtungen des BNK entlassen würden. Allerdings gehe der Auflagenbescheid »in den Festlegungen weit hierüber hinaus«. Weil die Jugendämter keine eigenen Möglichkeiten zur Unterbringung hätten, seien sie darauf angewiesen, dass im Zweifelsfall der Kinder- und Jugendnotdienst übernimmt. »Im Auflagenbescheid enthaltene Regelungen, die Jugenämter und insbesondere die ›Entlassung von Kindern und Jugendlichen in Jugendämter betreffend‹, müssen jedoch aus unserer Sicht umgehend zurückgenommen werden«, heißt es im Schreiben an den Senat.

Die Senatsfamilienverwaltung erklärt auf eine nd-Anfrage hin, dass der Notdienst für Notsituationen ausgelegt sei und für eine Unterbringung von Kindern und Jugendlichen, die bereits an anderer Stelle untergebracht seien. Daher führe die Senatsverwaltung die Unterbringung »befristet und differenziert« auf diesen Zweck zurück. So solle eine Überlastung verhindert werden.

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