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Hasso-Plattner-Institut sucht nach Whistleblower
Nach Betriebsrat-Verhinderung: Prozess von möglicher Informantin endet mit Vergleich
Nur selten werden vor dem Arbeitsgericht Potsdam derart kontroverse Fälle behandelt wie am Donnerstag. Das sieht man schon am Andrang: Journalisten und Unterstützer der Klägerin drängen sich in den Gängen vor dem Gerichtssaal. Die Gerichtsverhandlung müssen einige Medienvertreter im Stehen verfolgen.
Was ist geschehen? Anna B. klagt gegen ihre außerordentliche Kündigung durch das Hasso-Plattner-Institut. Die private Forschungseinrichtung hatte der Buchhalterin gekündigt, weil sie sie für einen folgenschweren Leak verantwortlich hält: Im März hatten »Correctiv« und »Tagesspiegel« Recherchen veröffentlicht, die zeigen, dass das Institut einer Anwaltskanzlei 200 000 Euro bezahlt hatte, um es dabei zu unterstützen, einen Betriebsrat an dem Forschungsinstitut zu verhindern. Zusätzlich zahlte das Institut der Recherche zufolge 20 000 Euro an eine Kommunikationsagentur, die das Vorgehen gegen die betriebliche Mitbestimmung mit »Narrativen und Botschaften« unterstützte. Mit Erfolg: Die Einrichtung des Betriebsrats scheiterte, dafür gibt es nun einen arbeitergebernahen »Institutsrat« als Mitbestimmungsgremium.
Die Geschäftsleitung des Hasso-Plattner-Instituts wirft Anna B. vor, die vertraulichen Rechnungen für die Anwaltskanzlei an die Medien weitergeleitet zu haben. »Wir können nur mit Indizien arbeiten«, sagt Tobias Pusch, der Anwalt des Instituts. Seine Kanzlei war es auch, die die umstrittenen 200 000 Euro Honorar erhalten hatte. »Aber wenn man die Puzzleteile zusammensetzt, liegt der Schluss nahe.«
Gesichert sei, dass B. drei Rechnungen aus dem IT-System ihres Arbeitsgebers heruntergeladen habe und an ihre private E-Mail-Adresse weitergeleitet habe. Anschließend habe sie die Mails gelöscht. Dass sie die Dokumente daraufhin an Medien weitergegeben habe, ließe sich allerdings nicht nachweisen. »Es gibt aber keine Erklärung, warum sie sich das selbst zugeschickt habe«, so Pusch.
»Das ist alles andere als eindeutig«, sagt Rojat Akay, der Anwalt von Anna B. Das IT-System des Hasso-Plattner-Instituts falle regelmäßig raus, daher sei es nicht unüblich, dass die Mitarbeiter Dokumente runterladen, um mit ihnen im Homeoffice zu arbeiten. Akay sieht auch andere Stellen, an denen ein Whistleblower stecken könnte: Etwa bei der zahlungsempfangenden Anwaltskanzlei. Oder ein anderer Institutsmitarbeiter könnte die Rechnungen abfotografiert haben, ohne sie herunterzuladen. »Man kann auch auf anderem Wege da rangekommen sein«, so Akay.
»Es ist nicht einfach zu beurteilen, was vorgefallen ist, wenn man nicht dabei war«, sagt die Richterin. »Eigentlich kann das nur Anna B. selbst wissen.« Sie fügt augenzwinkernd hinzu: »Und vielleicht noch einige der anwesenden Journalisten.« Im Rahmen des grundgesetzlich garantierten Informantenschutzes müssen diese allerdings keine Aussagen dazu machen, woher sie die Dokumente bezogen haben.
Weil nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, ob Anna B. für den Leak verantwortlich war, steht am Ende des Verfahrens ein Vergleich: Das Hasso-Plattner-Institut zieht die ursprüngliche außerordentliche Kündigung vom März zurück, dafür akzeptiert B. eine ordentliche Kündigung zum Mai – zwei Monatsgehälter erhält sie also noch. Dazu kommt eine Abfindung in Höhe von 10 000 Euro.
Eigentlich hätte sich B. mehr gewünscht. 40 000 Euro Abfindung war die erste Forderung in den Verhandlungen um den Vergleich. »Ich will kein Taschengeld mitnehmen«, zitiert sie ihr Anwalt. B. insistiert weiter darauf, dass ihr kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Zumindest in dieser Hinsicht gelingt ihr ein kleiner Erfolg. Im Vergleichstext ist festgehalten, dass »die Parteien erklären, dass sich nicht feststellen lässt, ob eine Pflichtverletzung vorlag«. Auch in der Kündigung selbst findet sich nun keine Schuldzuweisung mehr. Ein schwacher Trost dafür, dass B. nun mit fünf Prozent dessen abgespeist wird, was die Antragskanzlei erhielt, um gegen die Betriebsratsgründung am Hasso-Plattner-Institut vorzugehen.
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