Massud Peseschkian: Ein Kind des Regimes

Irans neuer Präsident steht für viel Kontinuität, aber wenig Aussicht auf Wandel

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Kandidat zum Anfassen: Massud Peseschkian (m) umarmt bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Hauptstadt seine Enkeltochter.
Der Kandidat zum Anfassen: Massud Peseschkian (m) umarmt bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Hauptstadt seine Enkeltochter.

Die Wahl ist gelaufen, die Iranerinnen und Iraner kehren zu ihrem wenig hoffnungsvollen Alltag zurück. Nun muss der Sieger, der Herzchirurg Massud Peseschkian, zeigen, ob er auch als Präsident was drauf hat. Anfang August soll er den Amtseid schwören. Direkt nach seiner Wahl spuckte er große Töne: Er klebte sich selbst das Etikett »Hoffnungsträger« auf die Brust, dankte seinen Wählern, die trotz einer »Atmosphäre der Unzufriedenheit« an ihn glaubten, und betonte, er habe im Wahlkampf »keine falschen Versprechungen gemacht«; alles was er angekündigt habe, könne »morgen in die Tat umgesetzt werden«. Die Wahl sei der Beginn einer »Partnerschaft« mit dem iranischen Volk. Große Worte.

Nur unerfahrene Politiker würden so ambitionierte Versprechungen machen, oder größenwahnsinnige Visionäre à la Donald Trump. Auf Massud Peseschkian trifft weder das eine noch das andere zu. Er war zwar mal Gesundheitsminister unter dem Reformpräsidenten Mohammad Khatami, aber von 2001 bis 2005; seit 2008 ist er einfacher Parlamentsabgeordneter und vertritt die aserbaidschanische Millionenstadt Täbris. Regierungsverantwortung hat er seit 2005 nicht mehr innegehabt – ein Handicap bei allem, was er vorhat. Der ihm in der Machthierarchie übergeordnete Religionsführer, Ajatollah Ali Khamenei, übt seine Funktion dagegen ununterbrochen seit 1989 aus, kennt alle Tricks und Unwägbarkeiten der iranischen Bürokratie, hat Präsidenten und Minister kommen und gehen sehen. Es ist ihm ein Leichtes, Präsidenten unter Kontrolle zu halten, sofern nötig.

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Aber was, wenn das gar nicht nötig wäre? Wenn Peseschkian dem Obersten Führer Khamenei ergeben zu Diensten ist, ihm nur nach dem Mund redet? Dann hätten all die recht, die ihn ihm nur eine austauschbare Puppe der Islamischen Republik sehen. Die Protestbewegung »Frau-Leben-Freiheit«, die sich im Herbst 2022 nach dem gewaltsamen Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini gebildet hat, setzt keinerlei Hoffnung in den Herzchirurgen und erhebt schwere Vorwürfe: 2003, in seiner Zeit als Gesundheitsminister, habe er Mithilfe geleistet, um den gewaltsamen Tod der kanadisch-iranischen Fotojournalistin Zahra Kazemi in iranischer Haft zu vertuschen. Nach Angaben des in New York ansässigen Center for Human Rights in Iran gehörte Peseschkian als Gesundheitsminister einer Regierungskommission an, die den Tod von Kazemi untersuchte.

Viele junge Menschen, die 2022 und 2023 für den Sturz der Islamischen Republik auf die Straße gegangen sind, ihr Leben riskiert haben, ärgern sich über Peseschkians Darstellung in den Medien als »Reformer« oder »moderater« Politiker. »Wir fallen nicht auf die Fake-Propaganda herein, dass er gegen den Schleierzwang sei«, sagt eine Frau aus der Stadt Karadsch unter dem falschen Namen Ariana zur britischen Tageszeitung »The Guardian«. Daher haben sich viele für einen Wahlboykott entscheiden; in der Stichwahl erreichte die Wahlbeteiligung gerade mal 50 Prozent.

Für Khamenei ist es ein Leichtes, Präsidenten unter Kontrolle zu halten.

Die Aktivisten und Demonstranten fühlen sich vom Westen verraten. Der verbal scharfen Kritik am iranischen Regime und der brutalen Niederschlagung der Protestbewegung folgten keine Taten. Selbst wenn es darum geht, Verfolgten des iranischen Regimes zu helfen, zaudert die offizielle Politik. So sollten am Freitag zwei kurdisch-iranische Frauen – eine 17-Jährige, die an den Protesten teilgenommen hatte, und ihre 70-jährige Großmutter – vom Berliner Flughafen in die Türkei abgeschoben werden – und von dort weiter in den Iran. Ihr Asylantrag wurde als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt, heißt es in einer Pressemitteilung von Pro Asyl. »Da sie keine Pässe beziehungsweise Visa vorlegten, wurden sie dem sogenannten Flughafenasylverfahren zugewiesen.« In einem solchen Schnellverfahren dürfen die Asylsuchenden den Transitbereich des Flughafens nicht verlassen. »Es ist einfach zynisch, wenn Politiker in Deutschland die iranische Frauenrechtsbewegung mit Worthülsen unterstützen, aber eine junge Frau und ihre Großmutter genau diesem Regime wieder ausliefern wollen. Dabei sind es gerade die jungen kurdischen Frauen, die den Mullahs die Stirn geboten haben«, sagte Daniela Sepehri, Aktivistin für Frauenrechte im Iran.

Doch zurück zum neuen Präsidenten. Was kann, was darf Massud Peseschkian ändern an der Islamischen Republik Iran? Er kommt aus dem Establishment, ist ein Kind der Islamischen Republik. Das Zeug zum Vatermörder hat er nicht. Er kann allenfalls Akzente setzen, und genau das erwarten auch viele seiner Wähler, insbesondere in der Wirtschaftspolitik. Den meisten Iranerinnen und Iranern geht es notorisch schlecht, sie wissen, dass das Land reich ist an natürlichen Rohstoffen. Doch bei der Bevölkerung kommt das damit erlöste Geld nicht an, versickert, Gott weiß wo, in den mäandernden Gängen der Bürokratie und in den tiefen Taschen korrupter Beamter, die sich ihre Dienste bezahlen lassen.

Peseschkian glaubt, dass sich mit der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen »90 Prozent der wirtschaftlichen Probleme« lösen ließen. Dafür müsste sich der Iran zuerst mit dem Westen über das Atomprogramm einigen. »Dazu sind die USA im Moment nicht bereit«, konstatiert der französische Iran-Experte Bernard Hourcade, nicht zuletzt wegen des Nahostkonflikts. Peseschkian sei im Gegensatz zu Vorgängern »offen für eine Diskussion«, ein »ernsthafter Gesprächspartner«, aber weit davon entfernt, für den Westen ein Partner zu sein.

In der Tat überwiegt vor allem außenpolitisch die Kontinuität. In einer der ersten öffentlichen Erklärungen sagte Peseschkian, er werde am traditionellen Anti-Israel-Kurs festhalten. Sowohl der libanesischen Hisbollah-Miliz als auch der Hamas versicherte er die iranische Unterstützung: »Der Iran wird das unterdrückte palästinensische Volk weiterhin uneingeschränkt bis zur Verwirklichung ihrer legitimen Forderungen und Befreiung Jerusalems unterstützen«, schrieb Peseschkian an Hamas-Auslandschef Ismail Hanijeh.

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