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Görlitz-Zgorzelec: An der Grenze zur Legalität
Seit Oktober führt die Bundespolizei Grenzkontrollen durch – mit fragwürdiger Rechtsgrundlage. Die Folge: Geflüchtete werden gefährdet und entrechtet
Die Brücke zwischen Görlitz und der polnischen Stadt Zgorzelec ist nicht einfach nur eine Brücke – sie ist ein Symbol. 1945 wurde sie von den Nazis gesprengt, erst 2004 wieder neu errichtet: als Zeichen des Zusammenwachsens zwischen Görlitz und Zgorzelec, Deutschland und Polen – für ein offenes Europa. Derzeit zeichnet der Grenzübergang ein ganz anderes Bild. Seit Oktober finden hier auf Beschluss der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wieder Grenzkontrollen statt. Das »nd« hat die Linke-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger bei einer Inspektion dieser Maßnahmen begleitet.
Am 16. Oktober 2023 wurden erstmals stationäre Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz errichtet – vorerst für drei Monate. Eine dauerhafte Kontrolle würde das EU-Schengenabkommen verletzen. Temporäre Grenzkontrollen sind nach Artikel 25 des Schengener Kodex erlaubt, aber nur dann, wenn eine »ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit besteht«. Die »ernsthafte Bedrohung«, mit der das Bundesinnenministerium (BMI) die Kontrollen legal begründet: »Schleuserkriminalität«. Diese wolle man mit der Maßnahme bekämpfen.
»Erst hieß es monatelang, es soll nicht kontrolliert werden, dann sollte es ganz schnell gehen«, erinnert sich ein Beamter der Bundespolizei im Gespräch mit »nd«. Im Zuge der steigenden Einreisezahlen ukrainischer Geflüchteter hatten konservative und rechte Gruppen im Sommer vermehrt Druck auf Faeser gemacht, Grenzkontrollen einzuführen. Offenbar erfolgreich.
Im Dezember 2023 wurde die »temporäre« Maßnahme um drei Monate verlängert, dann hieß es im Mai wieder aus dem BMI: Die Kontrollen bleiben bis zum kommenden Dezember. »Unsere Maßnahmen wirken«, begründete Faeser den Schritt. Die Bundespolizei habe seit Oktober im Rahmen der Binnengrenzkontrollen etwa 920 Menschen als »Schleuser« festgenommen.
Auch bei den drei Grenzübergängen bei Görlitz habe es entsprechende Festnahmen gegeben, sagt der Bundespolizist. »Die, die wirklich damit Geld verdienen, die kriegst du hier aber nicht.« Beim Großteil der als Schleuser verfolgten Personen handele es sich nicht um »Professionelle«. Etwa zwei Drittel seien »Familienmitglieder von Schleusern« oder polnische Bürger, die spontan angeheuert wurden.
Die Migrationsforschung unterstützt diese Beobachtungen, die dem weit verbreiteten Bild von »Schleuserkriminellen« widersprechen: Bei vielen als »Schleusergruppen« verfolgten Zusammenschlüssen handelt es sich demnach eher um lose und zufällig gebildete Strukturen, die aus entfernten Bekannten oder Flüchtenden selbst bestehen. Oft werden Menschen durch finanzielle Not zu »Schleusern«, arme Menschen aus der lokalen Bevölkerung übernehmen Fahrerdienste.
Auf der Brücke nach Zgorzelec stockt der Verkehr. Eine Bundespolizistin steht an der Straße und hält immer wieder Fahrzeuge an. Ihr Blick ins Auto und ein kurzer Wortwechsel entscheiden, wer zur Seite fahren muss, um kontrolliert zu werden. Dieses Vorgehen nennt sich Schleierfahndung und ist in der Anwendung bei stationären Kontrollen rechtlich umstritten. Denn: Nur eine Auswahl von Einreisenden wird angehalten. Aber nach welchen Kriterien entscheidet die Polizei, wer kontrolliert wird? Nach Geschlecht oder Aussehen, nach vermuteter Herkunft?
Ein zweiter Bundespolizist reagiert auf die Frage des »nd« sichtlich genervt – wohl weil er nicht des Racial Profiling bezichtigt werden will. Seine Kollegin antwortet: Man berufe sich auf Erfahrungswerte. Es gehe um »ein Gesamtbild« und nicht nur um das Aussehen einer Person. Etwa kontrolliere man Autos, deren Fenster verdunkelt sind, oder Fahrzeuge mit großen Ladeflächen. Ob es irgendwelche Konzepte gibt, die Kontrolle diskriminierungsfrei zu gestalten? Nein, davon wisse man nichts.
»Alles deutet darauf hin, dass die Bundespolizei nach rassistischen Kriterien entscheidet, welche Personen sie kontrolliert«, kommentiert die Abgeordnete Bünger später gegenüber »nd«. Verdächtigt würden Menschen, die vermeintlich nicht deutsch aussehen, was die Beamten an Merkmalen wie der Haut- und Haarfarbe oder anderen äußeren Merkmalen festmachten. »Ein solches Vorgehen verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes.«
Die Schleuser, so der Beamte, hätten von den Kontrollen schnell Wind bekommen und suchten dann andere Wege. An der polnischen Grenze sei es eher schwierig, die Polizei zu umgehen, da die Grenze entlang der Neiße nur an bestimmten Stellen überquerbar ist. »In Tschechien kann ich aber jeden Wald- und Wiesenweg nehmen.«
Für Bünger belegt das: Flucht wird noch gefährlicher. »Schutzsuchende müssen auf noch unsicherere Routen ausweichen, um die Polizeikontrollen zu umgehen. Oder sie müssen mehrere Versuche unternehmen, um die Grenzen zu überwinden, was die Kosten – etwa für Fluchthelfer – in die Höhe treibt.« An den Gründen, die Menschen zur Flucht zwingen, ändere das nicht das Geringste, so die Linke.
Grundsätzlich könnten Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, dies an der Grenzkontrolle anmelden, erklärt ein Bundespolizist. Wenn im Gespräch mit einem irregulär Einreisenden der Eindruck entstehe, es könne ein Asylgrund vorliegen, werde die Person dann alleine mit dem Zug nach Dresden geschickt, um dort einen Asylantrag zu stellen. Ob die Beamten dafür geschult wurden? Vertreter des Bundesamts für Migration seien hergekommen und hätten einen »Halbtagsvortrag« gegeben, dann habe es geheißen: »Macht mal!« »Wir müssen hier die Vorarbeit des Asylverfahrens machen«, klagt der Polizist.
Aber: Auffällig viele irregulär Einreisende werden an der Grenze schon abgewiesen, laut BMI knapp jeder Dritte. Dass unter ihnen Menschen sind, die eigentlich Asyl suchen wollen, ist wahrscheinlich. Denn solche »legalen Pushbacks«, wie sie unter Fluchtaktivisten genannt werden, sind an den deutschen Außengrenzen längst gängige Praxis: Im ersten Halbjahr 2022, also vor Einsatz der stationären Kontrollen, wurden an der deutsch-polnischen Grenze 46 Fälle erfasst.
Statt ein Asylverfahren zu ermöglichen, werden Geflüchtete nach Eingestehen des Tatbestandes einer »illegalen Einreise« wieder hinter die Grenze gebracht und erhalten ein Einreiseverbot. Dabei ist das Asylrecht eindeutig: Ein Asylantrag muss geprüft werden, auch dann, wenn die Einreise illegal erfolgt. Wenn keine Eintrag in der Eurodac-Datenbank vorliegt, die eine Einreise in ein anderes EU-Land bestätigt, ist Deutschland laut Dublin-Verfahren zuständig.
Seit Beginn der Kontrollmaßnahmen im Oktober dürfte die Zahl solcher Pushbacks drastisch gestiegen sein. Einzelne Zurückweisungen konkret zu belegen, ist allerdings schwierig.
Görlitz-Zgorzelec bleibt trotz der halb-dichten Grenzen eine »Europastadt« – aber in einem neuen Europa: In diesem Europa sind offene Binnengrenzen keine Selbstverständlichkeit mehr. Eine schrittweise Entrechtung von Flüchtenden – die an den europäischen Außengrenzen viel weiter fortgeschritten ist – wird dafür billigend in Kauf genommen.
»An den Gründen, die Menschen zur Flucht zwingen, ändern die Verschärfungen nichts.«
Clara Bünger Linke-Abgeordnete
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