Aktivisten schließen Rassismus als Motiv nicht aus

Initiativen aus NRW warnen Polizei und Medien nach mehreren Anschlägen vor eiligen Schlüssen

20 Jahre nach dem NSU-Anschlag in der Keupstraße ist dort wieder ein Sprengsatz detoniert.
20 Jahre nach dem NSU-Anschlag in der Keupstraße ist dort wieder ein Sprengsatz detoniert.

Nachdem die Polizei vor zwei Wochen eine brutale Geiselnahme beendet hat und den Tätern weitere Anschläge der letzten Wochen anlastet, üben acht Organisationen und Gruppen aus Nordrhein-Westfalen (NRW) scharfe Kritik an den Behörden. In einer vergangene Woche veröffentlichten Stellungnahme warnen sie davor, »dieselben Fehler wie beim NSU zu wiederholen und Rassismus als Motiv beiseitezuschieben«.

Unterschrieben haben die Intervention das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die ebenfalls aus Köln stammenden Gruppen Antifa AK, Interventionistische Linke und Migrantifa, das Dortmunder Radio Nordpol sowie die Initiative »Herkesin Meydanı – Platz für alle«.

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Über den Stand der Ermittlungen hatte das Kölner Landeskriminalamt vor zwei Wochen in einer Pressekonferenz informiert. Verdächtigt wird eine vorwiegend aus Marokkanern bestehende Gruppe aus den Niederlanden, der eine andere Gruppe aus NRW 300 Kilogramm Cannabis mit einem Marktwert von 1,5 Millionen Euro entwendet haben soll.

Von den Geiseln wollte das niederländische Kartell mithilfe von Folter offenbar den Verbleib der Beute erfahren. Sieben Tatverdächtige wurden anschließend festgenommen. Mitglieder der Gruppe sollen außerdem in Köln drei Häuser mit »pyrotechnischen Gegenständen« angegriffen haben, zwei weitere in Engelskirchen und in Duisburg.

Auch ein Haus in der Kölner Keupstraße von einem Sprengsatz getroffen. In derselben Straße war am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) detoniert. Bis zur Selbstenttarnung der rechten Terrorgruppe hatten Ermittler die Täter damals in migrantischen Milieus verortet.

Vor der Wiederholung dieses Fehlers warnen nun die Initiativen. »Wir appellieren an Medienschaffende, Narrative kritisch zu hinterfragen und eine rassismussensible und rassismuskritische Berichterstattung zu gewährleisten«, heißt es in der Stellungnahme. Auch dass die Behörden von einer »Mocro-Mafia« sprechen, wird darin kritisiert. Die abwertende Bezeichnung für Marokkaner stammt aus den Niederlanden.

Als Beleg für ein »rassistisches Narrativ« der Polizei erwähnen die Unterzeichner auch den Brandanschlag in Solingen, bei dem im April eine bulgarische Familie getötet wurde. Dieser wird von den Ermittlern aber nicht den Verdächtigen aus den Niederlanden angelastet – dafür ein für einen 17-Jährigen tödlicher Versuch, Ende Juni einen Sprengsatz vor einer Shisha-Bar in Solingen zu zünden.

Eine von den Initiativen konstatierte »Opfer-Täter-Umkehr« weisen die Behörden auf Anfrage des »nd« zurück. Ermittlungen seien »von Beginn an ergebnisoffen und hinsichtlich eines Tatverdachts beziehungsweise eines Tatmotivs unvoreingenommen geführt« worden, heißt es von der Polizei, die für den Kontakt mit den betroffenen Hausbewohnern auch mit der Interessengemeinschaft Keupstraße zusammengearbeitet haben will. Auch »Kontaktbeamte für interkulturelle und religiöse Angelegenheiten« seien eingesetzt worden.

Dass die Täter »mit einem streitbehafteten Drogengeschäft« in Verbindung stehen, glaubt auch die Staatsanwaltschaft in Köln. Dies belegten unter anderem die »Art der Durchführung der Explosionen und genutzten Sprengkörper«, sagte eine Sprecherin. Bislang hätten sich keine Hinweise auf ein politisches Motiv ergeben, es werde jedoch »in alle Richtungen ermittelt«.

Das Grundrechtekomitee ist mit den Erklärungen der Behörden nicht zufrieden. Die Zusammenhänge seien »konstruiert«, die Thesen zu den Tätern »werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten«, sagte eine Mitarbeiterin zum »nd«. Dass diese »dennoch überall abgedruckt werden«, führe wie bei den Taten des NSU zu einer Stigmatisierung der Betroffenen.

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