Kampf gegen Bayer - 18 Agrogifte im Leitungswasser

Umweltaktivistin Sabrina Ortiz über ihren juristischen Kampf gegen Bayer wegen Glyphosat

  • Interview: Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.
Glyphosat-Einsatz in der Region Pergamino im Osten Argentiniens
Glyphosat-Einsatz in der Region Pergamino im Osten Argentiniens

Frau Ortiz, warum wurde Ihre Heimat Pergamino als Beispiel für Argentinien ausgewählt?

Von der industriellen Landwirtschaft beherrscht, werden hier jedes Jahr über drei Millionen Liter Agrochemikalien auf die Felder rund um die Stadt gesprüht. Wir könnten hier problemlos die »Fiesta Nacional« der Sprühfahrzeuge veranstalten. Auch meine Geschichte wird in der Beschwerde gegen Bayer ausführlich geschildert. Ich hoffe, sie bewirkt ein breiteres öffentliches Bewusstsein über die Problematik.

Woher kommt die positive Einstellung zu Agrochemikalien in Pergamino?

Es herrscht eine Wagenburgmentalität, nach der die Landwirtschaft nicht nur das Beste ist, was uns passieren konnte, sondern auch alles immer richtig macht. Jeder hält den Mund, aus Bequemlichkeit, aus Feigheit, aus Desinteresse, selbst wenn sie oder ihre Kinder schon krank sind. Beim jährlichen Marathon laufen alle in Trikots, auf denen »Bayer« steht und der Werbespruch des Konzerns in Argentinien lautet: »Si es Bayer, es bueno – Ist es Bayer, ist es gut.« Auch ich bin mit dieser Mentalität aufgewachsen.

Aber Sie haben die durchbrochen?

Ja, aber es war ein schmerzhafter Weg. Meine erste Fehlgeburt hatte ich mit 27 Jahren. Ich weiß nicht, was an diesem Tag auf den Feldern versprüht wurde. Der Gestank war unerträglich, und man konnte kaum atmen. Meine Nase, mein Mund, meine Kehle, alles begann zu brennen. In der folgenden Nacht habe ich mein Kind verloren. Im Krankenhaus wurde bei mir eine Vergiftung diagnostiziert. Aber der Arzt sagte, wenn er das als Grund für meine Fehlgeburt angibt, würden sie ihn umbringen. Deshalb steht auf der Bescheinigung nur Schwangerschaftsabbruch in Woche X. Meinen ersten Schlaganfall hatte ich mit 30 und meinen zweiten mit 31. Beide Male begannen meine Arme zu zittern und die Sehkraft auf meinem rechten Auge schwand. Letztes Jahr hatte ich eine zweite Fehlgeburt.

Damals wohnten Sie in einem Viertel, das an die Felder grenzt. Wann ist Ihnen der Zusammenhang bewusst geworden?

Bei einem der vielen Arztbesuche habe ich erwähnt, dass unser Haus ganz in der Nähe von Sojafeldern liegt, die ständig besprüht werden. 2018 haben wir eine Analyse machen lassen. Bei meiner Tochter Fiama wurde ein Wert von 9,20 Mikrogramm Glyphosat pro Liter Urin festgestellt, bei meinem Sohn Ciro sogar 10,20 Mikrogramm. Bei mir waren es 4,10 Mikrogramm. Die Toleranzgrenze liegt aber bei 0,1 Mikrogramm pro Liter Urin. Als ich dann unsere Ergebnisse der Öffentlichkeit vorstellte, sagte die damalige Gesundheitssekretärin, es handele sich um »betrügerische Analysen«.

Warum leugnen die Ärzte einen Zusammenhang?

Es gibt keinen einzigen medizinischen Toxikologen in Pergamino, und die Antwort der anderen Ärzte war immer dieselbe: »Nein, das hat nichts damit zu tun.« Schließlich gingen wir zu einem Toxikologen im 170 Kilometer entfernten Pilar. Während der Pandemie mussten wir wieder zu der Kinderärztin in Pergamino gehen. Bei unserem zweiten Besuch sagte sie mir, dass sie uns nicht mehr behandeln könne. Sie konnte uns kein Attest ausstellen, weil sie mit der Person, die für die Kontrolle der Versprühung in Pergamino zuständig war, sehr gut befreundet war.

War das der Moment, in dem es Klick gemacht hat?

Wenn ich zurückblicke, sehe ich eine besorgte, aber naive Mutter, die mit ihren Analysen und Unterlagen verzweifelt nach Rat und Unterstützung suchte. Selbst eine Anwältin, die ich gut kannte, sagte, sie könne mir nicht helfen, weil sie auch landwirtschaftliche Unternehmen berate. Dabei war sie Vorsitzende des Instituts für Agrar- und Umweltrecht bei der Anwaltskammer von Pergamino und zuständig für die Ausbildung von Juristen in diesem Bereich.

Haben Sie deshalb Jura studiert?

Ich bin seit 2004 Gesundheitspädagogin, habe erst Medizin und dann Pädagogik studiert. Ich unterrichte Pharmakologie an Schulen und Universitäten. Aber als ich begriff, dass es keine Ärzte und keine Anwälte gab, die mich unterstützen würden, sah ich nur diesen Ausweg. Also habe ich fünf Jahre Jura studiert und 2017 meinen Abschluss gemacht.

Und als Rechtsanwältin gingen Sie dann in die Offensive?

Ja, ich habe eine Strafanzeige beim Bundesgericht in der Stadt San Nicolás eingereicht. Sie wurde nach nur einer Woche angenommen, und gleichzeitig wurden sieben Untersuchungen angeordnet. Unter Polizeischutz wurden damals Boden- und Wasserproben in vier Stadtvierteln entnommen. Das Leitungswasser in unserem Viertel enthielt 18 Agrogifte. In den Bodenproben wurden sogar 19 toxische Substanzen gefunden. 2018 wurde die erste einstweilige Verfügung erlassen, die das Sprühen auf den Feldern in einem Abstand von 600 Metern zu den Wohnvierteln verbietet.

Aber der Abstand wurde erweitert.

Im September 2019 wurde eine Studie in der Nachbarschaft durchgeführt, die zeigte, dass viele Kinder bereits genetische Schäden haben. Sie zeigte aber auch, dass diese Schäden ab einem Abstand von 1950 Metern zu den Feldern deutlich abnahmen. In einer Petition forderten wir daher, den Radius für das Sprühverbot von 600 auf 1950 Meter zu erweitern. Dies ging bis vor den Obersten Gerichtshof, der uns letztlich recht gab.

Interview

Sabrina Ortiz (39) ist Juristin und lebt in der 115 000 Einwohner*innen zählenden Stadt Pergamino in der Provinz Buenos Aires. Pergamino liegt in der Pampa húmeda, die zum Kernland der argentinischen Landwirtschaft gehört. 

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