Kindergrundsicherung: Tod eines Scheinriesen

Kinderarmut wirklich zu beenden, war schon im Ampel-Koalitionsvertrag nicht das erklärte Ziel

Ihrem Kind die Teilnahme an Feriencamps und Klassenfahrten zu ermöglichen, ist für Eltern im Bürgergeldbezug und mit niedrigen Einkommen weiter ein schwieriges Unterfangen.
Ihrem Kind die Teilnahme an Feriencamps und Klassenfahrten zu ermöglichen, ist für Eltern im Bürgergeldbezug und mit niedrigen Einkommen weiter ein schwieriges Unterfangen.

Es klang nach einem geradezu erstaunlichen sozialpolitischen Aufbruch, was das Ampel-Bündnis da in seinen Ende 2021 besiegelten Koalitionsvertrag geschrieben hatte. Besonders das Projekt Kindergrundsicherung weckte Hoffnungen. Gleichwohl war schon in dem Vertrag klargestellt, dass es grundsätzlich nicht um zusätzliche Gelder für arme Kinder ging, sondern lediglich um »Entbürokratisierung« und »Zusammenführung« bereits bestehender Leistungen, also des Kindergelds, des Kinderzuschlags für Geringverdienende und der Beträge aus dem Bürgergeld für Kinder.

Schon das wäre aber ein Fortschritt, denn bislang wissen viele Geringverdiener zu wenig über ihnen zustehende Leistungen wie dem Kinderzuschlag, und die Mittel aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket für Familien im Bürgergeldbezug werden selten beantragt, da die bürokratischen Hürden besonders hoch sind.

Deshalb sah der ursprüngliche Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderarmut aus dem Bundesfamilienministerium den Aufbau einer zentralen Behörde vor, die für die Bündelung der Leistungen und die unkomplizierte Auszahlung hätte sorgen sollen. Doch dieser Plan scheint mit dem Haushaltsbeschluss des Kabinetts für 2025 endgültig vor dem Aus zu stehen.

Dabei hatte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bereits im vergangenen Jahr im Vergleich zu ihren ursprünglichen Plänen eine herbe Niederlage kassiert. Bei Veröffentlichung des Gesetzentwurfs ihres Hauses war sie von einem Finanzbedarf von zwölf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr ausgegangen. Nach diversen Verhandlungsrunden mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) sah der Kompromiss vom August 2023 zwischen den Häusern nur noch karge 2,4 Milliarden Euro vor – ab 2025.

Paus bemühte sich nach Kräften, dies schönzureden: Die Bundesregierung setze trotzdem die »umfassendste Sozialreform seit vielen Jahren« um, erklärte sie. »Bis zu 5,6 Millionen armutsbedrohte Familien und ihre Kinder bekommen dadurch die Leistungen schneller, einfacher und direkter«, rechnete sie vor. Ihr Ministerium war davon ausgegangen, dass für die zentrale Behörde bis zu 5000 neue Stellen geschaffen werden müssten, hatte das aber später nach unten korrigiert.

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) befand derweil anlässlich des Haushaltskompromisses, inzwischen nähmen ja schon deutlich mehr Menschen etwa den Kinderzuschlag in Anspruch. Allein damit sei ein wesentliches Ziel des Kindergrundsicherungsprojekts »quasi erreicht«. Die Zahl der Kinder, die dieses Geld bekommen, stieg von 800 000 Ende 2022 auf aktuell 1,24 Millionen.

Die Grünen-Bundestagsfraktion will dennoch weiter für mehr Geld für ärmere Kinder kämpfen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr erteilte dem jedoch eine Absage. »Mit der Einigung beim Bundeshaushalt haben alle drei Koalitionspartner festgelegt, dass es keine Leistungsausweitungen geben wird«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Und selbst SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hält die jetzt geplanten Gelder für ausreichend. Das Kindergeld sei vor zwei Jahren substanziell erhöht worden, und im Januar 2025 werde es nochmals angehoben, sagte Mützenich der Funke-Mediengruppe. Zudem gebe es einen angepassten Kinderfreibetrag.

Finanzminister Lindner verwies zudem darauf, dass auch der Kindersofortzuschlag für Familien mit geringem Einkommen ab Januar um fünf Euro steigen soll. Damit sollen Familien, die diese Hilfe erhalten, künftig monatlich 25 Euro erhalten. Die Bundesregierung hatte den Sofortzuschlag zum 1. Juli 2022 eingeführt. Mit ihm sollten bis zur Einführung einer Kindergrundsicherung die finanziellen Nöte Betroffener abgemildert werden.

Die nochmalige Anhebung dieses Kinderfreibetrags aber wird indes von der Linken, von Sozialverbänden und Gewerkschaften scharf kritisiert. Denn damit sorgt die Ampel für weitere Steuererleichterungen für Besserverdienende. Sie gehen ohnehin weit über das hinaus, was Familien mit geringeren Einkommen an Kindergeld erhalten. Derzeit liegt die Steuerersparnis durch die Freibeträge, die sich derzeit jährlich aktuell auf gut 9500 Euro summieren, pro Kind bei bis zu 368 Euro monatlich, rechnet das Bündnis Kindergrundsicherung vor.

Zum Vergleich: Das Kindergeld beträgt derzeit 250 Euro pro Kind und Monat und soll zum 1. Januar um lediglich fünf Euro erhöht werden. Dazu kommt: Um das Nachrechnen, ob sich der Kinderfreibetrag mehr lohnt als das Kindergeld, kümmern sich die Finanzämter. Die Begünstigten müssen also nichts weiter tun. Dagegen gibt es für einen entsprechenden Service bei den Leistungen für Ärmere voraussichtlich kein Geld.

Demgegenüber fordert das Bündnis Kindergrundsicherung, dem 20 Sozial- und Interessenverbände sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft angehören, für alle Kinder mindestens 368 Euro Kindergeld. Also auch für jene, deren Eltern Asylbewerber oder Bürgergeldbezieher sind. Das entspricht dem Betrag, der Besserverdienenden pro Kind maximal zugute kommt. Dazu sollen für ärmere Familien gestaffelt weitere Leistungen kommen, die sich auf bis zu 766 Euro summieren würden. Das Bündnis plädiert wie das Familienministerium für die Schaffung einer zentralen Behörde und für unbürokratische Auszahlung. Denn derzeit seien im reichen Land BRD drei Millionen Kinder arm, die Folgekosten schlechter Startchancen hoch.

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