TVO in Berlin: Nein von der Eisenbahn, nein vom Bund

Das Bündnis Schiene vor TVO erwartet ein Scheitern der aktuellen Planung der Straße Tangentiale Verbindung Ost

Lange Planung und lange Geschichte des Protests gegen die TVO: 2021 demonstrierten Berliner*innen gegen den Straßenbau.
Lange Planung und lange Geschichte des Protests gegen die TVO: 2021 demonstrierten Berliner*innen gegen den Straßenbau.

Der Berliner Senat will nicht von den Plänen der Tangentialen Verbindung Ost (TVO) ablassen. Die vierspurige Schnellstraße im Osten der Stadt zwischen Biesdorf und Köpenick soll gemäß der aktuellen Planung 22 Hektar Wald und 400 Millionen Euro verschlingen. Noch läuft das Planfeststellungsverfahren, bis zu einem endgültigen Beschluss kann es noch eine Weile dauern. Das Bündnis Schiene vor TVO sieht solch erhebliche Mängel in der Planung, dass es nicht damit rechnet, dass die TVO tatsächlich so beschlossen werden kann. Wenn doch, dann werde dagegen geklagt, sagt Tilmann Heuser vom Umweltverband BUND Berlin auf einer Pressekonferenz des Bündnisses.

»Wir können die TVO in existierender Planung nicht im Ansatz akzeptieren«, so Heuser. Er befürchtet, dass ein Großteil der Kosten das Land Berlin tragen müsse, nachdem das Bundeswirtschaftsministerium in einer Stellungnahme an den Fahrgastverband Pro Bahn mitgeteilt hat, dass nur einer von acht Bauabschnitten über Fördermittel des Bundes für die »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur« (GRW) finanziert werden könne.

Die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sieht in der drohenden Finanzierungslücke des TVO-Baus einen Grund, das Projekt zu »beerdigen«, wie deren verkehrspolitische Sprecherin Antje Kapek in einer Pressemitteilung sagt. Die aktuell veranschlagten 400 Millionen Euro könnten sich noch verdoppeln und verdreifachen. »Auf diesen Kosten würde Berlin sitzen bleiben«, so Kapek. Die Grünen fordern deshalb vom Senat, das aktuelle Planfeststellungsverfahren zu beenden und eine neue gemeinsame Planung für Straße und Bahnstrecke zusammen zu starten.

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Die Senatsverkehrsverwaltung verweist auf nd-Anfrage darauf, dass sich das Bauvorhaben TVO immer noch in der Planungsphase befinde und deshalb noch nicht gesagt werden könne, in welchem Umfang eine finanzielle Förderung durch die Bundesmittel zur Verfügung stehe. Es sei aber damit zu rechnen, dass die geplante Übernahme von 90 Prozent der Kosten nicht möglich sein werde und sich daher der Eigenanteil des Landes Berlin erhöhen könne, sagt Michael Herden.

Das Bündnis Schiene vor TVO fordert mehr öffentlichen Nahverkehr und eine Reduzierung des Autoverkehrs im Sinne des Klima- und Umweltschutzes. Eine S-Bahnstrecke als Nahverkehrstangente ist zwar ebenfalls von der Verkehrsverwaltung geplant, allerdings vermisst das Bündnis eine Priorisierung zugunsten der Bahnstrecke. Es gebe bereits eine Bahntrasse auf der Strecke, die für die S-Bahn ausgebaut werden könne, sagt Matthias Oomen, Sprecher von Pro Bahn Berlin/Brandenburg. Die aktuelle Planung der TVO sieht aber eine teilweise Nutzung dieser Trasse vor, was wiederum die Planung der Bahnstrecke gefährde.

Abgesehen davon teilte wiederum das Eisenbahnbundesamt mit, dass es die für die Straße eingeplanten Flächen nicht freigeben wolle. Oomen hält es auch nicht für realistisch, dass das Amt seine Haltung durch eine bessere Begründung der Verkehrsverwaltung ändert. »Die Frage ist, ob der Senat das Luftschloss TVO aufrechterhält, oder ob er sich der Realpolitik stellt.« Letzteres würde bedeuten, die Nahverkehrstangente auf der bereits existierenden Trasse zu bauen und damit Geld und natürliche Ressourcen zu schonen. »Wir müssen verantwortungsvoll mit den öffentlichen Mitteln umgehen«, so Oomen.

»Die Frage ist, ob der Senat das Luftschloss TVO aufrechterhält, oder ob er sich der Realpolitik stellt.«

Matthias Oomen
Pro Bahn Berlin/Brandenburg

Die Verkehrsverwaltung äußerte sich hinsichtlich der Ablehnung des Eisenbahnbundesamts bereits optimistisch, dass eine gemeinsame Lösung gefunden werden könne. Sollte das Amt allerdings bei seiner Ablehnung bleiben, dann bliebe den TVO-Gegner*innen eine Klage erspart, denn dann könne es gar keinen Beschluss über die aktuell vorliegende Planung geben, sagt Heuser vom BUND.

Es sprächen aber noch viele andere Punkte und offene Fragen gegen die Planung, sagt Heuser. Nach Angaben des Bündnisses Schiene vor TVO würden rund 36 Hektar Fläche dauerhaft versiegelt und 22 Hektar Wald für die Straße vernichtet werden, darunter drei gesetzlich geschützte Biotop-Typen, etwa drei Hektar trockener Eichenwald. »Solche Biotope sind nicht wieder herrichtbar«, sagt Melanie von Orlow, Geschäftsführerin des Naturschutzbundes Nabu Berlin. Ausgleichsflächen würden außerdem auf Teilen der Bahntrasse geplant werden, die dann wiederum der S-Bahnstrecke zum Opfer fallen würden. Das »setzt dem Verfahren die Krone auf«, sagt von Orlow.

Auch die Bürgerinitiative Wuhlheide spricht sich gegen die TVO aus. Katja Schulz bemängelt den Ablauf des Planfeststellungsverfahrens, vor allem die kurze Frist für Einwendungen von Anwohner*innen und Verbänden nach Auslage der Unterlagen. »Wir machen das alle ehrenamtlich, es ist nicht möglich, in so einer kurzen Zeit 45 Aktenordner durchzuarbeiten«, sagt sie. Dennoch habe die Bürgerinitiative Sammeleinwendungen erarbeitet, die mindestens 1000 Menschen eingereicht haben.

Die Frist für Einwände ist inzwischen verstrichen, das Bündnis Schiene statt TVO selbst hat zahlreiche Facheinwendungen eingreicht. Diese werden nun von der Verwaltung gesichtet und es werden Anhörungen mit den Einwender*innen stattfinden. Mit einem Baustart der TVO ist laut Verkehrsverwaltung nicht vor 2027 zu rechnen.

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