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NGG-Gewerkschafter: »Die latente Drohung war da«
NGG-Gewerkschafter Mark Baumeister über Tarifflucht und zu niedrige Löhne in der Systemgastronomie
Die erste Runde der Tarifverhandlungen in der Systemgastronomie endete Mitte Juli ergebnislos. Was fordern Sie?
In der Branche herrscht Fachkräftemangel, das wissen auch die Arbeitgeber vom Bundesverband der Systemgastronomie (BdS). Deshalb müssen wir bei den Löhnen mit dem regulären Gastgewerbe mithalten, an die wir uns mit der Forderung nach 3000 Euro für Fachkräfte und einen Einstiegslohn von 15 Euro und mehr orientieren. Auch wollen wir wieder einen festen Abstand zum gesetzlichen Mindestlohn haben, diesmal von 50 Cent. Und ein großes Problem ist, dass sich die Entgeltgruppen nicht richtig unterscheiden lassen. Da muss sich etwas ändern.
Wie soll das aussehen?
Der Unterschied zwischen den Tarifgruppen muss sich vergrößern und automatisch anpassen. Und eine Kernforderung ist, dass die untere Entgeltgruppe, die nur knapp über dem Mindestlohn liegt, nach drei Monaten und nicht erst nach einem Jahr hochgruppiert wird. Eigentlich gehört da keiner rein. Wer so wenig Geld kriegt, von dem kann ich nicht verlangen, dass er die Toiletten putzt, Burger oder Fischbrötchen belegt und dann noch abkassiert. Aber die Arbeitgeber argumentieren, dass sie die Gruppe brauchen, um Arbeitskräfte zu holen und zu integrieren. Da geht es vielfach um Leute mit Migrationshintergrund, auch geflüchtete Menschen. Die sagen mir, ich komme nicht weiter, das System ist nicht durchlässig. Wenn die Arbeitgeber es ernst meinen mit der Integration, braucht es mehr Geld für sprachliche Förderung und Schulungen, damit sie erfahren, welche Rechte sie haben. Wir wollen einen Vertrag abschließen, der Diskriminierung verhindert.
Mark Baumeister ist bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Referatsleiter für das Gastgewerbe und Verhandlungsführer in der laufenden Tarifrunde der Systemgastronomie mit ihren rund 120 000 Beschäftigten.
Sie wollen auch eine pauschale Erhöhung von 500 Euro für alle. Von dem würden prozentual gesehen eher untere Lohngruppen profitieren. Wozu dann noch der Einstiegslohn von 15 Euro?
Wir können mit der Forderung nach 500 Euro mehr Lohn sicherstellen, dass Fachkräfte nach ihrer Ausbildung direkt die 3000-Euro-Marke reißen. In der untersten Entgeltgruppe würde das einen Einstieg von fast 16 Euro bedeuten. Das kriegen wir vielleicht nicht durch. Der Einstieglohn bedeutete für sie aber immerhin ein Plus von 404 Euro im Monat.
In der Chemiebranche wurde ein freier Tag für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart. Sie zielen auf eine Einmalzahlung in Höhe von 500 Euro, weshalb?
Es ist eine plakative und nachvollziehbare Forderung, und unsere Leute brauchen in erster Linie Geld wegen der vergleichsweise niedrigen Löhne. Aber wenn die Arbeitgeber sagen, wir machen das wie bei der IGBCE, und sie bieten einen oder zwei Erholungstage, dann wird unsere Kommission darüber reden.
Wie laufen denn die Verhandlungen?
Mit dem BdS haben wir eine gute Zusammenarbeit. Allerdings hat sich nach der ersten Verhandlungsrunde herausgestellt, dass sie am aktuellen Tarifgefüge festhalten und dieses Jahr noch keinen Cent mehr geben wollen. Danach soll es eine aus unserer Sicht unzureichende Lohnerhöhung geben. Außerdem haben sie eine Laufzeit von 54 Monaten vorgeschlagen, wir fordern maximal 12 Monate. Da habe ich direkt gesagt, dass sie damit gar nicht erst ankommen brauchen.
Die Arbeitgeber haben nach der ersten Tarifrunde die Bedeutung einer guten Tarifbindung betont. Das klingt nach einer Drohung.
Die latente Drohung war da. Die Arbeitgeber haben die Tarifbindung von 16 Prozent an die Wand geschmissen, die fürs Gastgewerbe allgemein gilt. Damit sind wir natürlich nicht zufrieden. Daran ist vor allem der andere Sozialpartner Deutscher Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) schuld, weil er in neun Bundesländern Mitgliedschaften ohne Tarifbindung anbietet. Beim BdS sieht das anders aus. McDonald’s zum Beispiel ist zu 100 Prozent tarifgebunden. Das trifft aber nicht für alle zu, und einige Unternehmen sind zu Dehoga geflohen.
Sie sprechen davon, dass 120 000 Beschäftigte die Forderungen aufgestellt haben. Der Organisationsgrad wird kaum so hoch sein.
Der Organisationsgrad ist bei Weitem nicht so hoch, auch wenn wir ihn in jeder Tarifrunde steigern konnten. Die Leute kriegen mit, was wir machen, und respektieren das. Ich gehe also davon aus, dass es uns wieder gelingen wird, die Zahlen zu steigern. Auch weil wir Fehler aus der Vergangenheit vermeiden wollen: Wir sind zwar dank guter Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich gefahren, aber danach haben wir die Arbeit runtergefahren. Diesmal wollen wir eine dauerhafte Betriebs- und Branchenbetreuung erarbeiten.
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Welche Schwierigkeiten gibt es da?
Studien zeigen, dass zwei Drittel der Beschäftigten in der Branche nicht lange bleiben, vor allem Beschäftigte mit Migrationshintergrund. Wir wollen die Kolleginnen und Kollegen explizit als Zielgruppe ansprechen, müssen ihre Probleme verstehen und verändern. Vielleicht bleiben sie dann länger im Unternehmen und in der Gewerkschaft.
Verdi und die NGG blicken insbesondere im Osten auf ein erfolgreiches Jahr zurück. Da war die Strategie klar: kämpferisch und beteiligungsorientiert. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Ich bin Fan davon, wie beteiligungsorientiert Verdi vorgeht. Auch wir wollen uns weiter öffnen und haben eine große Tarifkommission mit 29 Mitgliedern und einer sogenannten Jobrotation. Das heißt: Fehlt jemand, bestehe ich darauf, dass ein Ersatz geschickt wird. Und wir haben in der Tarifkommission eingeladen, weitere Interessierte mitzubringen. Gerade arbeiten wir daran, Multiplikatoren besser einzubinden, die unsere Augen und Ohren in den Betrieben sind. Und wir experimentieren mit Videokonferenzen, um die Menschen direkt anzusprechen.
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