Macron hält an seinem Plan fest

Frankreichs Präsident weist Volksfront-Vorschlag mit Lucie Castets als Regierungschefin zurück

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.
Emmanuel Macron steht beim TV-Interview Rede und Antwort, während Lucie Castets, die linke Premierminister-Kandidatin, eingeblendet ist.
Emmanuel Macron steht beim TV-Interview Rede und Antwort, während Lucie Castets, die linke Premierminister-Kandidatin, eingeblendet ist.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron strebt auf Sicht eine Regierung der Republikanischen Front an, die von den Konservativen bis zur sozialdemokratischen Linken reicht – ohne das Unbeugsame Frankreich, wie die linke La France insoumise (LFI) auf Deutsch heißt. Allerdings soll die Regierungsbildung erst nach den Olympischen Spielen in Angriff genommen werden. Bis dahin plädiert der Staatschef für eine »politische Auszeit«.

In seinem ersten Interview nach Auflösung und Neuwahl des Parlaments hat Macron am Dienstagabend im Fernsehen eine baldige Einsetzung einer neuen Regierung ausgeschlossen. Die bisherige Regierung soll mindestens bis nach Ende der Olympischen Spiele Mitte August, möglicherweise auch bis nach Ende der Paralympischen Spiele Mitte September weiter amtieren.

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Neue Volksfront einigt sich auf Lucie Castets

Dass sich das Linksbündnis Neue Volksfront (Nouveau Front populaire, NFP) nach langem Tauziehen vor allem zwischen LFI und den Sozialisten nur eine Stunde vor Macrons Interview auf eine gemeinsame Kandidatin für das Amt der Regierungschefin einigen konnte, ändert für Macron offenbar nichts an der Situation. Die Auserkorene der NFP ist die Finanzdirektorin der Pariser Stadtverwaltung Lucie Castets.

»Ich bin bereit und bitte den Präsidenten, sich verantwortlich zu zeigen und mich zur Premierministerin zu ernennen«, sagte die 37-jährige Finanzexpertin, die in der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt war, am Mittwoch dem Sender France Inter. Dabei lehnte sie zugleich eine Zusammenarbeit mit dem Regierungslager ab. »Ich nehme politische Differenzen ernst. Eine Koalition mit dem Regierungslager ist unmöglich, und das wollen unsere Wähler auch nicht«, sagte sie. Das Wahlprogramm der Neuen Volksfront bleibe ihre Basis, betonte sie. Sie bekräftigte, dass sie für den Fall ihrer Ernennung die Rentenreform, mit der Macron das Rentenalter in Frankreich von 62 auf 64 Jahre angehoben hatte, rückgängig machen wolle.

Macron sieht die Sache anders. Das machte er im Interview einmal mehr klar. Bei der Wahl habe »niemand gewonnen«, auch nicht die Volksfront mit ihrer größten Zahl an Sitzen, denn keiner der drei politischen Blöcke verfüge über die fürs Regieren nötige absolute Parlamentsmehrheit. Um diese zustande zu bringen, fordert Macron die politischen Parteien auf, in Koalitionsverhandlungen einzutreten und durch Kompromisse die Voraussetzungen für ein gemeinsames Regieren im Interesse des Landes zu schaffen. Das sei neu für Frankreich, habe sich aber in anderen europäischen Ländern seit Langem bewährt. Positionen wie die von LFI, für die einzig das Programm der Volksfront Richtschnur des Regierens sein soll, bezeichnete Macron als »überholt und realitätsfremd«.

Dass die NFP vor Tagen bei der Wahl des Parlamentspräsidenten mit ihrem Kandidaten, dem Kommunisten André Chassaigne, mit 13 Stimmen Abstand zur schließlich wiedergewählten Parlamentspräsidentin Yael Braun-Pivet unterlag, ist für Macron Beweis dafür, dass das linke Parteienbündnis nicht über den fürs Regieren nötigen Rückhalt im Parlament verfügt. Dabei ließ er natürlich unerwähnt, dass er selbst durch die formaljuristische Entlastung der bisherigen Regierung am Vorabend des Votums den 17 bei der Parlamentswahl erfolgreichen Ministern ermöglicht hatte, sich am Votum für das Amt des Parlamentspräsidenten zu beteiligen. Diese 17 Stimmen waren mehr als die 13, die ihm für den Sieg fehlten, stellte André Chassaigne fest. »Damit ist das Votum des Volkes durch eine widernatürliche Allianz gestohlen worden.«

Präsident Emmanuel Macron begrüßte den zwischen der Regierungspartei Renaissance und der rechten Oppositionspartei der Republikaner geschlossenen »Gesetzgebungspakt«, der die Möglichkeit eröffnet, dass rechte Abgeordnete von Fall zu Fall der Regierung zu einer für die Annahme von Gesetzen nötigen Mehrheit verhelfen. Die Forderung, er solle angesichts der festgefahrenen innenpolitischen Situation zurücktreten und den Weg für die Wahl eines neuen Präsidenten frei machen, wischte Macron vom Tisch. Er sei von den Franzosen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt worden und werde bis zum letzten Tag seine Pflicht erfüllen.

Macron verhöhnt die Franzosen

Dass der LFI-Abgeordnete Thomas Portes unter Hinweis auf die Verbrechen Israels an der palästinensischen Bevölkerung des Gazastreifens erklärt hat, die israelischen Sportler seien bei den Olympischen Spielen »nicht willkommen« und sollten bestenfalls unter neutraler Flagge antreten, bezeichnete Präsident Macron als »empörend«. Er versicherte, die israelischen Sportler seien »willkommen wie alle anderen Sportler dieser Spiele« und Frankreich werde alles tun, um die bestmöglichen Bedingungen für die Wettkämpfe zu schaffen und die Olympischen Spiele zu einem Höhepunkt nicht nur des Sports, sondern auch der internationalen Verständigung zu machen.

Die Politiker der NFP haben die in dem Interview zum Ausdruck gekommene Haltung Macrons zur innenpolitischen Situation als einen »neuerlichen Beweis für die Negierung der elementarsten Regeln der Demokratie« verurteilt. »Der Präsident verhöhnt die Franzosen«, erklärte der Nationalsekretär der Kommunistischen Partei, Fabien Roussel. Dieses Gefühl verstärke sich immer mehr, und dabei werde »Empörung immer mehr zu Wut«, stellte er fest. »Trotz der zwei schweren Niederlagen bei der Europawahl und der vorgezogenen Wahl des Parlaments will das Regierungslager nichts von seiner Macht hergeben. Macron geht sogar so weit, das Rassemblement National und die Neue Volksfront als gleichermaßen extrem zu bezeichnen und damit auf eine Stufe zu stellen. So versucht er, seine politischen Winkelzüge zu rechtfertigen, mit denen er die Linke daran hindert, gemäß dem Wählerwillen Regierungsverantwortung zu übernehmen.«

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