Gleichberechtigung der Geschlechter bleibt ein unerreichtes Ideal

In Paris starten erstmals bei Olympia gleich viele Frauen und Männer, Genderneutralität ist aber nicht gegeben

  • Felix Lill, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Frauenturnen betont die stereotype Weiblichkeit, bei den Männern stehen Kraft und Stärke im Vordergrund.
Frauenturnen betont die stereotype Weiblichkeit, bei den Männern stehen Kraft und Stärke im Vordergrund.

Wer die Website des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) besucht, könnte denken, die Mission wäre endlich erfüllt: »Lernen wir diese Frauen kennen und erfahren wir, wie sie vor über einem Jahrhundert begannen, die Welt zum Besseren zu verändern«, heißt es da in einem Artikel, der diverse Athletinnen auflistet, die Gendergleichheit im Sport eingefordert haben. »Sie starteten den Wettlauf bis 2024 – den letzten Schritt hin zur historischen Gleichberechtigung der Geschlechter bei den Olympischen Spielen.«

Heute, so wird es vom IOC suggeriert, sei das Ziel einer Sportwelt, die nicht mehr nach Geschlecht diskriminiert, endlich erreicht. Die Zeiten hätten sich geändert, und mit ihnen die Einstellungen von Menschen und Verbänden: »Bei den Spielen 2024 in Paris werden 10 500 Athleten teilnehmen, darunter ebenso viele Frauen wie Männer.« Insofern ist Olympia also erstmals in der Geschichte kein vor allem männlich geprägtes Sportereignis mehr.

Das lange Verbot

Der Weg dahin war lang: Wie bei Olympia in der Antike waren Frauen auch noch bei den ersten Spielen der Neuzeit 1896 in Athen verboten. 1900 in Paris durften dann neben knapp 1000 Männern erstmals 22 Frauen mitmachen – in den Sportarten Tennis und Golf sowie den gemischten Wettbewerben im Segeln, Krocket und Reitsport.

Seitdem ist die Anzahl von Frauen bei Olympia stetig gewachsen. Das IOC erklärte aber erst vor zehen Jahren mit seiner »Agenda 2020« offiziell zum Ziel, dass die größte Sportveranstaltung der Welt künftig für Geschlechtergleichheit stehen solle. Dafür hielt der Dachverband die internationalen Sportverbände an, die Beteiligung von Frauen und Mädchen zu ermöglichen sowie gemischtgeschlechtliche Wettbewerbe zu fördern. Doch bei genauerem Hinsehen ist das Ideal der Gleichheit bis heute nicht erreicht. So werden einige Wettkämpfe im Ringen weiterhin nur für Männer ausgetragen, in der Rhythmischen Sportgymnastik treten ausschließlich Frauen an. Insgesamt gibt es in Paris mit 157 Medaillenwettbewerben auch weiterhin mehr Gelegenheiten auf Gold für Männer als für Frauen.

»Parität ist nicht dasselbe wie Gleichheit«, resümierte Michele Donnelly, Professorin für Sportmanagement an der kanadischen Brock University, im Frühjahr gegenüber dem Sender Eurosport. Hinzu komme, dass Männer und Frauen in Sportarten oft nicht gleichen Regeln unterliegen. Beim Kunstturnen etwa müssen Frauen sich zu Musik bewegen, Männer aber nicht. »Frauenturnen wird so durchgeführt, dass es stereotype Weiblichkeit betont«, schreibt Donnelly in einem Aufsatz. »Im Gegensatz dazu werden die Wettkämpfe der Männer so organisiert, dass Kraft und Stärke im Vordergrund stehen.« In vielen Sportarten unterscheiden sich auch die Ausrüstung oder die Länge der Wettkämpfe je nach Geschlecht.

Die schwächere Version

»In Fällen, in denen eine Sportart eine geschlechtsspezifische Differenzierung vornimmt, wird der Frauensport als eine schwächere Version des Männersports konzipiert«, urteilt Donnelly. Zu jenen Sportarten, wo Regeln und Ausrüstung gleich sind, zählen etwa Bogenschießen oder Badminton. Beim Reiten treten Männer und Frauen gar direkt gegeneinander an.

Sobald sich aber der Blick vom Feld der Teilnehmenden abhebt, kann von Geschlechtergleichheit keine Rede mehr sein. Der Job des Trainers ist nämlich weiterhin überwiegend männlich – egal, ob die betreute Person ein Mann oder eine Frau ist. Bei den letzten Sommerspielen 2021 in Tokio waren nur 13 Prozent der Coaches weiblich. Und dies markierte schon eine Zunahme gegenüber voherigen Jahren.

In Sozialen Medien wirbt das IOC dennoch mit dem Hashtag #GenderEqualOlympics. Das aber ist noch nach einem weiteren Kriterium strittig: Diejenigen, die weder als Mann noch als Frau antreten dürfen, bleiben auf ganz andere Weise diskriminiert. Transpersonen mussten zuletzt meist ihren Testosteronspiegel anpassen, womit sie sich geschwächt sahen. Nach Rechtsstreits sind sie in Paris de facto oft ausgeschlossen. So kann ein weiterer Teil des Sports von Genderneutralität nur träumen.

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