Second-Hand-Laden: Honecker an der Wand, Schnäppchen auf die Hand

Der Hamburger Gebrauchtwarenladen »Stilbruch« ist so erfolgreich, dass eine dritte Filialie geplant ist. Was den Ort so besonders macht

  • Volker Stahl
  • Lesedauer: 7 Min.
Das »Stilbruch« ist voll mit Secondhand-Schätzen. Das Portrait von Erich Honecker hat der Geschäftsführer für sich beansprucht.
Das »Stilbruch« ist voll mit Secondhand-Schätzen. Das Portrait von Erich Honecker hat der Geschäftsführer für sich beansprucht.

Ein städtisches Gebrauchtwarenkaufhaus, das sich schon seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreich am »Markt« behaupten kann? Ja, das gibt es! Das vor 23 Jahren als Tochterunternehmen der Hamburger Stadtreinigung (SRH) gegründete »Stilbruch« ist mit seinen beiden Filialen so erfolgreich, dass der »Sprung über die Elbe« nach Harburg geplant ist. Das Gute dabei: Wenn »Stilbruch« wächst, verkleinert sich der Müllberg, weil die Dinge in Hamburgs größtem Secondhand-Kaufhaus ein neues Leben bekommen.

Derzeit gibt es zwei Niederlassungen des Gebraucht- und Schnäppchenmarkts – in Altona und Wandsbek. Obwohl die letztgenannte Filiale etwas abseitig in einem Gewerbegebiet liegt, herrscht dort an allen Wochentagen rege Betriebsamkeit. Wer mit dem Auto anreist, findet auf dem betriebseigenen Gelände an der Helbingstraße meist nur schwer einen Parkplatz.

Im Verkaufsraum begrüßt mich Geschäftsführer Dieter Zimmer, der auch die Leitung der zwölf Hamburger Recyclinghöfe innehat, mit einem kräftigen Handschlag und bittet in das Büro. Dort, im ersten Stock, prangt – stilecht – das Konterfei des ehemaligen Generalsekretärs der SED Erich Honecker an der Wand. Eine Uhr aus den 50er Jahren baumelt etwas verloren wirkend an einem edel verarbeiteten Holzschrank mit Fenstern aus gelbem Glas; rechts daneben prangt ein Werbeplakat, das aus dem Stadion des FC St. Pauli stammt und am Millerntor ausgemistet worden ist.

Man merkt sofort: Die Mitarbeiter sitzen direkt an der Quelle und haben ihren Arbeitsplatz mit skurrilen und etwas aus der Zeit gefallenen Utensilien geschmückt.

Auch die Kundschaft darf sich freuen. Die Auswahl aus nützlichen, günstigen oder bisweilen seltsamen Dingen ist bei »Stilbruch« groß. In Wandsbek lockt Ausgemustertes – vom Fahrrad bis zur Blumenvase, vom Kartenspiel bis zum Abendkleid – täglich Hunderte Besucher. Die verlassen das 1900 Quadratmeter große Kaufhaus nur selten mit leeren Taschen – der Kaufimpuls ist angesichts der meist niedrigen Preise groß. »Was uns auszeichnet, ist die sinnstiftende, nachhaltige Tätigkeit«, sagt Dieter Zimmer, »bei ›Stilbruch‹ bekommen die Dinge ein drittes oder viertes Leben. Dabei bieten wir für jedes Portemonnaie etwas an.«

In den beiden Niederlassungen gingen im letzten Jahr 428 000 Artikel über die Tresen. Die meisten Dinge stammen aus privaten Anlieferungen (55 Prozent) und Sammlungen der ein Dutzend Hamburger Recyclinghöfe (39 Prozent) sowie der »schonenden Sperrmüllabfuhr« (6 Prozent), zu der auch Haushaltsauflösungen zählen. Aber auch ausgemistete Ausstattungen von Kreuzfahrtschiffen finden den Weg zu »Stilbruch«.

Das Publikum im 2001 eröffneten Stammsitz Wandsbek ist älter als im hippen Altona, wo Schnäppchenjäger seit 2006 im heute 1400 Quadratmeter großen Kaufhaus frei nach dem »Stilbruch«-Motto »Finde Deinen Schatz« stöbern können. Dort befindet sich seitdem nicht nur eine Elektro-Werkstatt im Obergeschoss, sondern startete auch die Vermarktung von Alttextilien unter dem Slogan »Flotte Klamotte«. Auch eine echte Erfolgsgeschichte.

Reich werden kann man bei »Stilbruch« nicht, aber die sinnvolle Tätigkeit überzeugt die Belegschaft.

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Apropos Schatz: Den könnten Sparfüchse manchmal wirklich heben, sagt Dieter Zimmer: »Wir wissen nicht alles, richtige Schnäppchen sind also möglich.« Doch auch für kleine Freuden im Leben sorgt »Stilbruch«: »Einmal fand eine Frau bei uns zwei fehlende Teller für ihr Service.« Die Dame zog überglücklich von dannen.

»Insbesondere junge Leute nehmen den Nachhaltigkeitsgedanken heute sehr ernst«, sagt Dieter Zimmer. Eine Kundenbefragung bestätigt dies. Für 60 Prozent der Interviewten ist das Thema »Nachhaltigkeit« wichtig. 54 Prozent schätzen die »Flohmarkt-Atmosphäre«, für 40 Prozent steht der »soziale Gedanke« im Vordergrund und 39 Prozent kommen (auch) wegen der »günstigen Preise«. Mehrfachnennungen waren möglich.

Der Umsatz von »Stilbruch« hat sich 2023 gegenüber 2022 leicht erhöht und liegt nun bei rund 3,6 Millionen Euro. Das meiste Geld machen die beiden Gebrauchtwarenkaufhäuser mit Glas und Porzellan (20,1 Prozent), Möbeln (20 Prozent), Textilien (16,5 Prozent), Elektrogeräten (11,8 Prozent) und Büchern (7,5 Prozent).

Die Geschichte dieses besonderen Kaufhauses: Die »Stilbruch«-Filiale in Wandsbek wurde im Juli 2001 eröffnet. Ziel war es, die Müllproduktion zu verringern und nachhaltiger zu wirtschaften. Dafür wurde das Prinzip der »schonenden Sperrmüllabfuhr« erfunden, die zwischen Abfall und brauchbaren Dingen unterscheidet. Verwertbares wurde zunächst in den Lagerhallen der Stadtreinigung Bedürftigen und sozialen Einrichtungen zum Kauf angeboten. Doch weil zu viele Stücke zum Schreddern zu schade waren, gab es bald ein Platzproblem – die Gründungsstunde von Stilbruch hatte geschlagen.

Seinen einprägsamen Namen verdankt das Tochterunternehmen der Stadtreinigung übrigens dem pfiffigen Einfall einer Werbeagentur. Die damalige Geschäftsleitung entschied sich nach einer längeren Findungsphase für »Stilbruch«. Eine gute Wahl! Nach einer Anschubfinanzierung dauerte es nur 18 Monate, bis die schwarze Zahl stand. Nur einmal, während der Pandemie, geriet das Unternehmen in Schwierigkeiten, berichtet Zimmer: »Corona hat uns fast gekillt!« Nach fünf Monaten Kurzarbeit ging es wieder aufwärts, 2023 konnte ein sechsstelliger Gewinn verbucht werden.»

Die Zukunft: Aktuell sucht die Geschäftsleitung einen dritten Standort «südlich der Elbe». Vor einigen Jahren gab es schon mal einen Pop-up-Store in einem Harburger Einkaufszentrum, doch die zeitlich begrenzt existierende Location habe sich als zu klein erwiesen. Zu den Zukunftsplänen gehört auch die Erweiterung des Standorts in Altona von derzeit 1500 auf 2000 Quadratmeter.

Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern sind bei dem städtischen Unternehmen beschäftigt. «Unsere Kollegen kommen aus Chile, Russland, Thailand, Eritrea, Indonesien, Polen», sagt Antonio de Oliveira, Filialleiter der Wandsbeker Niederlassung. Derzeit hat «Stilbruch» 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, alle seit 2011 mit Arbeitsverträgen vom ersten Arbeitsmarkt ausgestattet.

«Stilbruch» zahlt Gehälter, die über dem Mindestlohn liegen, hat mit der Gewerkschaft Verdi einen Tarifvertrag abgeschlossen und kürzlich eine Erhöhung der Bezüge im zweistelligen Bereich ausgehandelt. Das Startgehalt beträgt rund 2300 Euro. Reich werden kann man bei «Stilbruch» nicht, aber die sinnvolle Tätigkeit überzeugt die Belegschaft.

«Bei uns sind viele Menschen mit Migrationshintergrund und gebrochenen Lebensläufen beschäftigt», erzählt Zimmer: «Ein halbes Jahr Leerlauf im Lebenslauf war damals noch ein Makel. Bei uns haben diese Menschen eine Chance bekommen – und genutzt.»

»Stilbruch« in Hamburg: Second-Hand-Laden: Honecker an der Wand, Schnäppchen auf die Hand

Einige hätten keinen Schulabschluss oder das Studium beziehungsweise eine Ausbildung abgebrochen. Doch alle Mitarbeiter brächten ein besonderes Talent mit, beschreibt der Geschäftsführer die bunte Truppe: «Der eine kennt sich mit Büchern aus, der andere mit Tonträgern. Das muss man nicht von der Pieke an gelernt haben, sondern ein Faible für die Dinge mitbringen.» Dann sei man bei «Stilbruch» genau richtig. Einmal stellte sich ein Mann mit Vinyl-Expertise vor und behauptete: «Wenn ihr mich einstellt, verdopple ich euren Schallplattenumsatz.» So kam es!

Einer, der sich besonders gut mit Büchern auskennt, ist Hannes Erxleben. Für den gebürtigen Magdeburger ist seine Tätigkeit, die er seit rund einem Jahrzehnt ausübt, ein Traumjob: «Ich habe seit meiner Kindheit viel gelesen und später in Buchläden gearbeitet.» In einer kleinen Buchhandlung habe er einen «Stilbruch»-Mitarbeiter kennengelernt, der ihn nach seinem Ausscheiden als Nachfolger empfahl. Erxleben, der sein Geschichts-, Politik- und Philosophie-Studium abgebrochen hatte, fing zunächst auf 400-Euro-Basis an und wechselte später in die Vollzeit.

Die Quellen der Schätze, die der «Bücherjunkie» sichtet, auspreist und in die Regale einsortiert, sind prall mit Lesestoff gefüllte Kisten, die bei den Recyclinghöfen landen. Sie stammen aber auch von privaten Spendern, die einen Beutel mit Büchern bringen oder aus Haushaltsauflösungen. «Kürzlich wurde uns die Büchersammlung eines Antiquariats aus Volksdorf angeboten», sagt der 45-Jährige, für den der Schauspieler Peter Sodann ein Vorbild ist.

Sodann rettete Massen an DDR-Literatur vor dem Schreddern. Ähnlich agiert Erxleben: «Ich kuratiere hier.» Seine Kunden seien Buchliebhaber, Händler, Journalisten, aber auch Durchschnittsleser, jedoch nur wenige junge Leute: «Wichtig ist, ein breites Spektrum an Literatur anzubieten.» Dreimal im Jahr findet ein Sonderverkauf mit seltenen, wertvollen oder skurrilen Einzelstücken statt.

Auch der soziale Gedanke wird bei «Stilbruch» großgeschrieben. Deshalb unterstützt das Unternehmen Kitas mit Sachspenden oder engagiert sich in der Flüchtlingshilfe, bei der Wohnungen für Asylsuchende ausgestattet werden. Das meiste aber landet in den Läden um dann den Weg in die zweite, dritte oder vierte Hand zu finden.

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