Ein Krieg mit Ankündigung?

Nach dem Anschlag auf Madschdal Shams droht Israel der Hisbollah mit Gegenschlägen

Zwölf Kinder und Jugendliche kamen beim Angriff auf den Ort Madschdal Shams auf den Golan-Höhen ums Leben.
Zwölf Kinder und Jugendliche kamen beim Angriff auf den Ort Madschdal Shams auf den Golan-Höhen ums Leben.

Bei dem Einschlag einer Rakete in Madschdal Shams auf den Golan-Höhen sind am Samstagnachmittag zwölf Menschen ums Leben gekommen, elf weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Der 11 000 Einwohner zählende Ort ist die informelle Hauptstadt der 1981 von Israel annektierten Region und wird von der Minderheit der Drusen bewohnt. Nach internationalem Recht gehört der Golan zu Syrien, wird aber von der israelischen Armee kontrolliert.

Wie im gesamten israelisch-libanesischen Grenzgebiet schlagen in Madschdal Shams seit dem 7. Oktober immer wieder Raketen der libanesischen Hisbollah-Miliz und ihrer Verbündeten ein. Nur sieben Kilometer von Einschlagsort entfernt überwacht die israelische Armee in ihrer Basis auf dem Berg Hegmon die vom Iran unterstützten Milizen in Syrien und Libanon. Auch das »Auge Israels« war am Samstag das Ziel der Hisbollah. Ob Madschdal Shams durch eine fehlgeleitete Hisbollah-Katjuscha oder einer Falak-1-Rakete iranischer Produktion getroffen oder absichtlich beschossen wurde, ist noch unklar.

Hisbollah bestreitet Angriff auf Madschdal Shams

Am Samstagabend bestritt Hisbollah-Sprecher Mohamed Afif gegenüber der Nachrichtenagentur AP die Verantwortung der schiitischen Miliz. Zuvor hatten Hisbollah-Anhänger in sozialen Medien zunächst den »erfolgreichen Beschuss« von Einrichtungen des israelischen Raketenschutzschirms Iron Dome gefeiert. Als bekannt wurde, dass die meisten Opfer in Madschdal Shams fußballspielende Jugendliche sind, machten sie israelische Luftabwehrraketen für den Einschlag verantwortlich.

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Tatsächlich zeigen Handyvideos von Bewohnern den Einschlag von so genannten Tamir-Flugkörpern in den Hügeln am Stadtrand. Diese hatten offenbar aus dem Libanon kommende Geschosse verfehlt. Die Augenzeugen des Massakers berichten jedoch von einem zischenden Geräusch des herannahenden Geschosses, ähnlich wie bei vorigen Angriffen aus dem Libanon.

Gemeinderat sieht rote Linie überschritten

Für Israels Armeesprecher Daniel Hagari steht die Verantwortung der Hisbollah für das Massaker außer Zweifel. Die Rakete sei im südlibanesischen Ort Chebaa abgeschossen worden. Dies sei der blutigste Angriff auf Israel seit dem 7.Oktober, so Hagari.

Der Vorsitzende des Gemeinderates von Madschdal Shams, Beni Ben Muvchar, sieht mit dem Angriff auf die Zivilisten eine rote Linie überschritten. Die Kommandeure der Hisbollah müssten nun direkt zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Muvchar.

Wie ernst die Hisbollah die Gefahr eines massiven israelischen Gegenschlags nimmt, lässt sich aus den vielen Dementis ablesen, die seit Samstag auf verschiedenen Kanälen verbreitet werden. Der Beschuss des Hegmon-Bergs mit Katjuscha-Raketen sei nur eine Antwort auf die gezielte Tötung von drei Miliz-Kommandeuren in den Stunden zuvor gewesen, heißt es. Israelische Kampflugzeuge hatten am Samstagmorgen ein Waffenlager im libanesischen Weiler Kfar Kila bombardiert und drei Hisbollah-Kommandeure getötet.

Israel kündigt Antwort an

Israels Verteidigungsminister Joaw Galant kündigte bereits kurz nach dem Rakeneinschlag eine entschiedene Antwort der Armee an, die sich »im Ausmaß deutlich von den bisherigen Maßnahmen unterscheiden werde«. Am Sonntag evakuierte die Hisbollah bereits einige ihrer Stellungen und Einrichtungen in Beirut. In Juni hatte Galant damit gedroht, den Libanon wenn nötig in die Steinzeit zurückzubomben.

Israel könnte nun versuchen, die mit der UN-Resolution 1701 definierte Pufferzone durchzusetzen, laut der sich die dort stationierten 10 000 Hisbollah-Kämpfer eigentlich nicht in der Region aufhalten dürfen. Im Südlibanon stationierte UN-Truppen konnten das Gebiet zwischen der israelisch-libanesischen Grenze und dem 30 Kilometer entfernten Litani-Fluss jedoch nie vollständig überwachen. Aroldo Lázaro Sáenz, der Kommandeur der UNIFIL-Mission, forderte Israel und die Hisbollah am Samstag zu Zurückhaltung auf.

Die meisten glauben nicht an einen Zweifrontenkrieg

Militärisch ist Israel der Hisbollah zwar weit überlegen, doch in dem hügeligen und bewaldeten Grenzgebiet konnte die wie eine Armee organisierte Miliz zahlreiche Verstecke und Hinterhalte anlegen. Im Kriegsfall würde sie versuchen, israelische Soldaten zu entführen, um in israelischen Gefängnissen einsitzende Kampfgefährten freizupressen.

Faed Safad, ein geschockter Bewohner von Madschdal Shams, glaubt wie viele andere nicht daran, dass die israelische Armee wegen des Angriffs einen Zweifrontenkrieg gegen die Hamas und Hisbollah wagen wird. Auf dem von Blutlachen überzogenen Fußballplatz sagte der Druse einem Reporter des israelischen Fernsehsenders I24: »Sie werden keine Kampfflugzeuge über Beirut sehen, denn wir sind hier doch nur die Peripherie und es ist nur drusisches Blut. Anders wäre es, wenn es Tel Aviv getroffen hätte. Netanjahu lässt uns im Stich.«

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