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Grund zum Optimismus in Rangpur
Im Norden von Bangladesch stehen moderne Anbaumethoden in der Landwirtschaft und gesunde Ernährung auf der Agenda
Golapi Begum klingt froh: »Wir waren gerade in der Klinik, Subhana hat kein Untergewicht!«, strahlt die 30-Jährige auf ihrem kleinen Hof. Das erst 37 Tage alte Mädchen stillt sie an der Brust. Subhana ist ihr drittes Kind, aber das erste, bei dem die Mutter weiß, wie sie ihre Ernährung darauf abstimmt. »Ich achte jetzt darauf, viel Gemüse und Eiweiß zu essen«, erklärt Begum, richtet zuerst ihr rosafarbenes Kopftuch, dann den nuckelnden Mund der Tochter. »Subhana wird es gut haben im Leben.«
Golapi Begum kommt aus Rangpur, einer ländlich geprägten Region im Norden Bangladeschs, und damit aus einer Gegend, wo man solchen Optimismus nicht unbedingt erwartet. Ihr Land gehört zu den vom Klimawandel am stärksten betroffenen der Welt. Im Süden sind es häufig Überschwemmungen, die große Schäden und Fluchtbewegungen verursachen. Hier im Norden sind es vor allem unregelmäßige Regenfälle und lange Hitzeperioden, die das Leben schwer machen.
Aber fragt man die stillende Mutter Golapi Begum nach der Ernährungslage, ist nicht das zu hören, was anderswo von den Auswirkungen des Klimawandels berichtet wird: »Wir leben heute viel besser als früher«, sagt sie. »Die Tomaten werfen gute Erträge ab, der Kohl und die Karotten auch.« Eine gute Handvoll verschiedener Gemüsesorten baut sie an, daneben Reis. »Seit einigen Jahren ernähren wir uns so reichhaltig wie nie zuvor.«
Was ist passiert? 2018 begann man in der Region, über etwas zu sprechen, das heute in aller Munde ist: Jano. Es ist die Abkürzung für »Joint Action for Nutrition Outcome«, was etwa »Gemeinsame Aktion für Ernährungsergebnisse« bedeutet. Unter diesem Titel setzen hier die NGOs Care und Plan mit Geldern der EU sowie der österreichischen Entwicklungsagentur ADA ein Projekt um, das trotz Klimawandels die Ernährungssicherheit verbessern soll.
Landesweit gilt das Projekt als Erfolg. Das Blatt »Financial Express« lobt die deutlichen »gesundheitlichen Verbesserungen.« Der »Business Standard« fordert, Jano müsse zum nationalen Standard werden. Immerhin hat sich seit 2018 die Ernährungsqualität bei Mädchen und Frauen merklich verbessert, wie öffentliche Statistiken zeigen. Fast alle Mädchen ab der Pubertät besuchen nun regelmäßig Gesundheitskliniken.
In Bangladesch wird mehr als ein Drittel der Bevölkerung als mehr oder weniger »food insecure« eingestuft, angemessene Ernährung ist für diese Menschen nicht gesichert. Rangpur und Nilphamari, wo das Jano-Projekt durchgeführt wird, zählen auch weiterhin zu den ärmsten Regionen des Landes. Doch ohne Eingriffe von außen würde sich die Lage eher weiter verschlechtern. »Das Wetter ist seit einigen Jahren immer seltsamer«, sagt Golapi Begum. »In dieser Jahreszeit müsste es eigentlich regnen. Tut es aber nicht.«
Doch was sich in dieser Gegend dennoch tut, könnte auch für andere Regionen optimistisch machen. Das glaubt Atik Ahmed, der eine Autostunde entfernt von Golapi Begums Hof, in der Regierung des Distrikts Nilphamari im Landwirtschaftsressort arbeitet. »Wir machen gerade den nächsten Schritt in unserer ökonomischen Entwicklung«, schwärmt der junge Beamte in seinem mit einem lauten Ventilator heruntergekühlten Büro.
»Als ich ein Kind war, herrschte hier Hunger. Das Problem gibt es schon länger kaum noch.« Heute sei das Problem ein anderes, betont Ahmed: »Die Leute nehmen genügend Kalorien zu sich. Aber sie ernähren sich nicht ausgewogen!« Nicht nur, aber auch durch den Klimawandel könnte sich dieses Problem künftig verstärken. »Die Ernten werden weniger vorhersehbar. Deshalb beschränken sich viele Bauern auf zuverlässige Arten.« Da sich in den vergangenen Jahrzehnten der Reisanbau durchgesetzt hat, bauten viele Familien nichts anderes an. »Aber nur Reis zu essen, ist ja nicht gesund«, weiß Ahmed.
»Seit einigen Jahren ernähren wir uns so reichhaltig wie nie zuvor.«
Golapi Begum Bäuerin aus Rangpur
Nicht alle in Bangladeschs ländlichem Raum wissen das. Gerade die eher entlegenen Gebiete des 175-Millionen-Landes sind oft sprichwörtlich bildungsfern, wenn es um moderne Anbaumethoden und eine ausgewogene Ernährung geht. Die Mitarbeiter am Projekt Jano versuchen, dies zu ändern. In den letzten sechs Jahren führten sie in mehr als 300 Schulen, 200 lokalen Kliniken und für fast 10 000 Dorfvertreter Bildungsprogramme durch.
In Schulen steht das Thema Ernährung nun auf dem Lehrplan, inklusive regelmäßigen Überprüfungen des Body-Mass-Index der Kinder. Dorfkomitees, die sich zuvor eher mit individuellen Streitigkeiten befassten, wurden über die Potenziale aufgeklärt, die inmitten der klimatischen Veränderungen neue Gemüsesorten bieten. Mittels Tablets werden an Schulen und Kliniken Videos, Spiele und Lieder verbreitet, die Erkenntnisse über Gesundheit spielerisch zugänglich machen.
»Dass Gemüse für die Ernährung so wichtig ist, habe ich früher nicht gewusst«, erzählt auf ihrem Hof Golapi Begum. Informiert wurde sie bei einer Versammlung im Dorf. Eine Nachbarin hat jetzt zur Demonstration ein Feld mit diversen Arten angelegt: Neben Tomaten, Kohl und Karotten sprießen Papaya, Mangos, Guaven und Erdbeeren. Auch mit Zink angereicherter Reis. »All das wächst hier!« Nur, woher sollte man es wissen? »Viele dieser Arten hatten wir noch nie. Wir kannten das nicht.«
Entwicklungsprojekte wie Jano können Menschen mit relativ einfachen Mitteln in die Lage versetzen, sich dem Klimawandel anzupassen und ihr Auskommen zu sichern. »Das Projekt ist ein großer Erfolg«, sagt auch Atik Ahmed. »Wir wünschten, es würde immer so weitergehen.« Der Beamte sagt das in dem Wissen, dass das nicht so ist.
Um ein Jahr war das Vorhaben, das indirekt rund fünf Millionen Menschen in der Region erreicht hat, noch mal verlängert worden, doch im Juni war dann Schluss, endgültig. Das bestätigt in einem Geschäftsviertel von Dhaka, der quirligen Hauptstadt, die Italienerin Margherita Capalbi. Die EU-Vertreterin sitzt in einem angenehm klimatisierten Büro mit Holzmöbeln und schüttelt freundlich den Kopf. »Leider sind diese Projekte so strukturiert, dass sie auslaufen«, sagt Capalbi. Um die zehn Millionen Euro hat es gekostet. Künftig wird die EU in ein neues Vorhaben Geld stecken. »Es ist schade. Und wir hoffen sehr, dass die Arbeit fortgeführt wird.«
Theoretisch dürfte das kein Problem sein. In Rangpur und Nilphamari wurden die Institutionen mit dem entsprechenden Wissen versorgt, sodass sich ein klimaresilienter Anbau in der Landwirtschaft und eine entsprechende Ausbildung der Bevölkerung fortsetzen könnte. »Wir sollen jetzt auch als Vorbild für andere Regionen im Land dienen«, hat Atik Ahmed mit Stolz in seinem Büro gesagt.
Werden diese Regionen das neue Wissen wirklich aufgreifen? Yusuf Saadat ist skeptisch. »Dem öffentlichen Sektor mangelt es permanent an Geld«, sagt der großgewachsene Mann in einem schicken Viertel von Dhaka. Saadat arbeitet für das Centre for Policy Dialogue, eine der wenigen unabhängigen Denkfabriken in Bangladesch. »Es wird darauf ankommen, dass die Zentralregierung Strukturen schafft, die die Verbreitung dieses Wissens bis auf die lokale Ebene durchsetzen und auch überwachen.« Schwierig, aber nicht unmöglich.
Zwar mag der bangladeschische Staat knapp bei Kasse sein, doch wird diese immer größer. Das südasiatische Land zählt zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften des Kontinents. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist bereits größer als beim großen Nachbarn Indien. »Das bedeutet uns sehr viel«, sagt Yusuf Saadat und grinst. »Es könnte auch ein Ansporn sein.« Und vielleicht werden die diverseren Anbauweisen aus Rangpur und Nilphamari bald nicht nur in Bangladesch als Vorbild gelten, sondern auch für die Landwirtschaft in seiner Nachbarschaft.
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