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  • Krimi-Serie »Women in Blue«

Jagd auf einen Frauenmörder

Die mexikanische Serie »Las Azules« bringt vergessene Heldinnen ans Licht

  • Sara Meyer, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: 4 Min.
Vier selbstbewusste Polizistinnen bringen einen Frauenmörder zur Strecke.
Vier selbstbewusste Polizistinnen bringen einen Frauenmörder zur Strecke.

Weiblicher Autismus, Menstruation und Rollenerwartungen sind nur drei der vielen Themen, die in der Serie »Las Azules« (Women in Blue) auftauchen. Während sich die Haupthandlung der Jagd auf einen Frauenmörder in Mexiko-Stadt der 1970er Jahre widmet, können die Zuschauer*innen bei den persönlichen Kämpfen der vier Polizistinnen María (Bárbara Mori), Gabina (Amorita Rasgado), Ángeles (Ximena Sariñana) und Valentina (Natalia Téllez) in einer von Macho-Kultur dominierten Gesellschaft mitfiebern. Jede der Frauen durchlebt während der zehn Folgen der ersten Staffel diverse Schockmomente, die ausschließlich damit zusammenhängen, dass Männer den Ton angeben.

Die Hauptfiguren befinden sich in verschiedenen Lebensumständen, die ihren Handlungsspielraum und an sie gerichtete Erwartungen als Frau in der mexikanischen Gesellschaft festlegen. Von der Hausfrau und Mutter María, die zunächst ein konventionelles Leben führt, wird erwartet, dass sie ihre Träume zum Wohl der Familie beiseite schiebt. Die Polizistentochter Gabina steht im Schatten ihrer Brüder und unter der Kontrolle des Vaters, während die brillante Analytikerin Ángeles, die Verhaltenszüge eines Asperger-Syndroms aufweist, sich mit einer Gesellschaft konfrontiert sieht, die kein Feingefühl für ihre Andersartigkeit hat. Die vierte ist eine rebellische Aktivistin, Valentina, die Probleme hat, Gefühle zuzulassen und gerne abblockt, aber ihre ganze Energie in den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten steckt.

Die Serie beschränkt sich keinesfalls auf den Blickwinkel der Frauen. Das Publikum darf auch mit den männlichen Darstellern mitfühlen, die ebenso unter den Geschlechtererwartungen leiden. Gefühlskalte Vaterfiguren und ein verliebter Polizist, der eigentlich lieber Koch werden wollte, finden einen Platz in der Serie.

Der weiblichen Menstruation widmet der Regisseur Fernando Rovzar eine ganze Szene. Marías Mann ist auf sich allein gestellt, als seine Tochter in Panik gerät, weil sie zum ersten Mal ihre Periode bekommt. Gegenüber »nd« erklärt Rovzar, dass er diesem Thema aus ganz bestimmten Gründen so viel Raum gegeben hat: Einerseits durfte er selbst diesen Moment mit seiner Tochter erleben. »Es bringt einen seinen Kindern nahe«, sagt er. Es sei ihm klar geworden, dass eine solche Situation zwischen Vater und Tochter in den Siebzigern »undenkbar« gewesen wäre. In »Las Azules« war es ihm wichtig, ein Bewusstsein für Marías Mann zu schaffen. »Er brauchte diesen Moment«, berichtet Rovzar. »Die Abwesenheit einer Frau, weil sie sich entschließt zu arbeiten, muss nicht immer eine Abwesenheit sein«, betont er. Denn es sei eine Möglichkeit für andere Familienmitglieder, besondere Umstände mitzuerleben.

In »Las Azules« bekommt das Publikum Einblicke in die Herausforderungen, die überwunden werden müssen, um etwas Neues zu etablieren. Die Angst vor dem Unbekannten scheint zu groß. Gleichzeitig werden die Zuschauer*innen von der Hartnäckigkeit der jungen Polizistinnen inspiriert. »Diese Frauen sind intelligent, stark und hatten keine Angst«, betont Schauspielerin Amorita Rasgado.

Die Handlung beruht auf wahren Geschehnissen und würdigt die Bildung der ersten weiblichen Polizeieinheit Mexikos, die in den 1970er Jahren ins Leben gerufen wurde. Diesem historischen Ereignis ist bisher kaum Beachtung geschenkt worden. Rovzar ergänzt, dass nichts zu den echten Begebenheiten dokumentiert ist und er hauptsächlich über die Leiterin der damaligen Polizistinneneinheit an Informationen für seinen Film gekommen sei. Das läge daran, dass Geschichten, die eventuell vorherige Regierungen in Verlegenheit bringen könnten, in der Regel verschwiegen wurden und werden. »Diese Polizeieinheit wurde nicht gegründet, um Frauen Chancen zu geben, sondern um die Öffentlichkeit abzulenken, weil zu dieser Zeit viele Frauen getötet wurden«, konkretisiert der 44-Jährige, der auch das Drehbuch schrieb.

Im Interview mit »nd« erzählen die vier Hauptdarstellerinnen, dass sie selbst nichts von der Geschichte der ersten weiblichen Polizeieinheit ihres Landes wussten. Die Darstellerin der rebellischen Valentina, Natalia Tellez, beklagt zudem, dass Polizistinnen im heutigen Mexiko »traurigerweise immer noch nicht« ihre Arbeit ohne den Widerstand der Männer ausführen können. Auch noch im Jahr 2024 würden Frauen in Mexiko ähnliche Momente durchleben, gleiche Erfahrungen wie vor einem halben Jahrhundert machen, fügt die 38-Jährige hinzu.

Rovzar deckt ein breites Spektrum an relevanten gesellschaftlichen Themen ab, die bis heute nicht aus der Zeit gefallen sind. Mexiko ist eines der Länder mit den höchsten Femizidraten weltweit. Täglich werden bis zu zehn Frauen in diesem lateinamerikanischen Land getötet. Weshalb die Serie weniger der Unterhaltung als dem Nachdenken über Lebensrealitäten dienen soll. »Las Azules« tritt zwar in die Fußstapfen anderer Produktionen des True-Crime-Genres, in denen Fantasie und reale Ereignisse miteinander verwoben sind und somit das Verlangen des Publikums nach Kriminalgeschichten stillen, jedoch verleiht diese Serie dem Genre einen bisher nicht gesehenen feministischen Hauch.

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Mexiko ist eines der Länder mit den höchsten Femizidraten weltweit.

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