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Die Waldbrände wandern polwärts
Kanada und Sibirien – der hohe Norden ist auch 2024 von verheerenden Flächenfeuern betroffen
Deutschland ist bislang glimpflich durch die diesjährige Waldbrandsaison gekommen. Eher kurze Hitzewellen, nasse Böden und immer wieder Regen lassen Großereignisse wie in den vergangenen Jahren ausbleiben. Und das dürfte erst mal so bleiben: So liegt der Waldbrandgefahrenindex des Deutschen Wetterdienstes (DWD) für die kommenden Tage fast flächendeckend bei sehr gering bis gering. Lediglich im Norden und Osten gibt es einzelne Flecken mit mittlerer Gefahr.
Doch beim Blick über den Tellerrand sieht es anders aus: Seit Juni herrscht in Nordamerika, mehreren Regionen Asiens und dem größten Teil Südamerikas überdurchschnittliche Trockenheit. Schwere Waldbrände traten nach Beobachtungen des EU-Klimawandeldienstes Copernicus insbesondere im Nordosten Russlands sowie im Zentrum Südamerikas auf. »Und nach dem katastrophalen Jahr 2023 brennen jetzt in Kanada schon wieder riesige Waldflächen«, worauf der DWD gerade hinwies.
Betroffen sind hier besonders die landschaftlich reizvollen Schutzgebiete in den Rocky Mountains. In der Gegend des Jasper-Nationalparks wüten mehrere Waldbrände, die zeitweilig eine Fläche von etwa 360 Quadratkilometer erfassten. Als sie vor einer Woche das Touristen-Städtchen Jasper erreichten, brannten große Teile im Laufe weniger Stunden bis auf die Grundmauern nieder. Dank rechtzeitiger Evakuierung von 25 000 Menschen aus der Region wurde niemand verletzt. »Dies ist der größte Waldbrand, der in den letzten 100 Jahren im Jasper-Nationalpark verzeichnet wurde, und es wird einige Zeit dauern, bis die Bewohner und Besucher sicher zurückkehren können«, teilte die kanadische Regierung jetzt mit.
»Der Wandel in der Arktis verstärkt die globalen Risiken für uns
Gail Whiteman
alle.«
Wissenschaftsportal Arctic Basecamp
Die Brände hier sind nicht die einzigen aktiven Wildfeuer, die seit Mai vor allem im Westen Kanadas toben. Alleine in der Provinz Alberta sind aktuell noch 175 Brände aktiv, über 50 davon laut den Behörden »außer Kontrolle«. Zum Teil handelt es sich um wieder aufgefachte Brandherde aus dem Jahr 2023. Begünstigt wurde dies durch eine wochenlange Hochdrucklage, die in den betroffenen Landesteilen für teils extreme Trockenheit gesorgt hat, schreiben die Meteorologen des DWD. Sie sind wenig optimistisch, denn um der Lage Herr zu werden, bedürfe es einer »Gesamtumstellung der nordhemisphärischen Zirkulation, bei der sich neue Strömungsmuster einstellen, die für den Westen Kanadas deutlich mehr Niederschläge bringt, als es in den letzten gut zwölf Monaten der Fall gewesen ist«.
Warum sich die deutsche Wetterbehörde für die Brände im fernen Nordamerika interessiert: Die Summe an Emissionen von Brandgasen ist so hoch, dass die Rauchwolke über den Atlantik bis nach Mitteleuropa vordringen konnte. Problematisch sind zudem die riesigen Mengen emittierten CO2. Im Katastrophenjahr 2023 wurden fast 480 Megatonnen freigesetzt – das Fünffache der üblichen durchschnittlichen Menge bei Waldbränden in Kanada.
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Menschliches Fehlverhalten in Form von fahrlässiger oder vorsätzlicher Brandstiftung sind meist Auslöser eines Wald- oder Buschbrands. Durch Dürre und hohe Temperaturen infolge des Klimawandels nehmen indes Häufigkeit, Dauer und Intensität der Brände zu, wodurch Wälder nachhaltig geschädigt werden. Der Trend ist eindeutig: Der vergangene Monat war der heißeste Juni seit Beginn der weltweiten Wetter-Aufzeichnungen um 1940. Damit wurde bereits den 13. Monat nacheinander ein Temperaturrekord aufgestellt.
Eine Folge der steigenden Temperaturen: Die großen Waldbrandregionen wandern nordwärts – selbst in Gegenden, die eher an Schnee und Eis denken lassen, wie Kanada, Alaska und Sibirien. Sie fressen sich durch Tundra und boreale Nadelwälder und setzen Millionen Tonnen CO2 frei, die in Wäldern und Torfböden gebunden waren.
Auch der Nordosten Russlands ist in diesem Jahr wieder stark betroffen: Allein in der Region Jakutien haben sich nach jüngsten Behördenangaben die Brände auf eine Fläche von mehr als einer Million Hektar ausgebreitet. Das Zivilschutzministerium in Jakutsk zählte zuletzt mehr als 130 einzelne Feuer in der Region. Rund 2000 Menschen seien für die Löscharbeiten am Boden und in der Luft im Einsatz. 52 Ortschaften hätten mit Rauschschwaden zu kämpfen, hieß es in einer Mitteilung. Wegen der Brände gilt hier seit Wochen der Ausnahmezustand. Und besonders in schwer zugänglichen Gegenden verzichten die Einheiten oft aus Personal- und Kostengründen auf das Löschen.
Als Gründe für die große Ausdehnung nennt Mark Parrington, leitender Wissenschaftler beim Copernicus-Atmosphärenüberwachungsdienst, viel höhere Temperaturen und weniger Niederschläge als gewöhnlich. »Dies ist das dritte Mal seit 2019, dass wir signifikante arktische Waldbrände beobachten. Es zeigt, dass diese nordöstliche Region in den letzten beiden Jahrzehnten den größten Anstieg extremer Waldbrände erlebt hat.«
Die Klimaveränderungen im hohen Norden betreffen jedoch nicht nur die lokale Region, sondern sie beeinflussen das gesamte Klimasystem der Erde: »Die Arktis ist der Nullpunkt des Klimawandels«, sagt Gail Whiteman, Gründerin des Wissenschaftsportals Arctic Basecamp. »Was in der Arktis passiert, bleibt nicht dort – der Wandel in der Arktis verstärkt die globalen Risiken für uns alle.«
Auch in Südeuropa und im Westen der USA nehmen die Waldbrandsaisons ihren Lauf. Im größten Bundesstaat Kalifornien registrierten die Behörden in diesem Jahr bisher 4613 »Wildfires«, Flächen von mindestens 751 000 Hektar wurden Opfer der Flammen. Immerhin kommen dank etwas milderen Wetters jetzt die Löscharbeiten beim größten Brand voran, der in vier Landkreisen im Norden Kaliforniens tobt und der laut der Behörde Cal Fire zu einem Fünftel eingedämmt ist. 4000 Feuerwehrleute sind hier im Einsatz, etwa 9000 Menschen wurden evakuiert. Das »Park Fire« ist einer der größten Flächenbrände in der Geschichte des feuergeplagten Bundesstaates.
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