Das Monster Kapitalakkumulation

Der neueste globale Reichtumsbericht der Boston Consulting Group hält freudvoll fest: der globale Reichtum konzerntriert sich immer mehr

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 6 Min.
Wer ist hier das Problem? Szene von der »Moscow Millionaire Fair«, Oktober 2009
Wer ist hier das Problem? Szene von der »Moscow Millionaire Fair«, Oktober 2009

Vor genau zehn Jahren brachte Thomas Piketty das »Gesetz der kapitalistischen Reichtumsverteilung« auf die kurze Formel »r > g«: Die Rendite auf Privatvermögen (r) ist stets größer als das Wirtschaftswachstum (g) und somit könne das »Einkommen aus Arbeit nicht mit dem Einkommen aus bereits angehäuftem Vermögen Schritt halten«, schrieb der französische Ökonom damals in seinem Bestseller »Das Kapital im 21. Jahrhundert«. Für die vergangenen beiden Jahrhunderte und für knapp 30 Länder belegte Piketty diese Entwicklung statistisch erstmals für so lange Zeiträume und mit äußerster Akribie.

Völlig überraschend war Pikettys Erkenntnis im Jahr 2014 nicht. Was Marxist*innen schon seit anderthalb Jahrhunderten wussten, war auch den aufmerksameren Beobachter*innen nicht verborgen geblieben: Mindestens relativ gegenüber den Kapitaleigner*innen, häufig genug aber auch absolut, sinkt die Teilhabe der Nichtbesitzenden am gesellschaftlichen Reichtum beständig. Im Ergebnis konstatierte Piketty für den zeitgenössischen Kapitalismus und insbesondere für seinen führenden Staat, die USA, die soziale Ungleichheit sei nun »höher als in jeder anderen Gesellschaft – und das seit Menschengedenken und überall auf der Welt«.

Normalisierte Ungleichheit

Es sagt viel über den Zustand der Welt aus, dass man sich an diese Verhältnisse offensichtlich gewöhnt hat. Vor zehn Jahren, nach den Protesten und Platzbesetzungen im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 2008, die den kapitalistischen Normalbetrieb zumindest etwas hatten erschüttern können, war Pikettys Studie begierig aufgegriffen worden und hatte sogar für einen mittleren Skandal in den Feuilletons gesorgt. Seitdem ist es ziemlich still geworden um das Thema Reichtumsverteilung. Die Buchhalter und Anlageberater des Kapitals können nun Jahr für Jahr ihre Zahlen präsentieren, ohne Angst haben zu müssen, sich damit ihr eigenes Grab zu schaufeln; so geschehen zuletzt durch die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG).

Mitte Juli erschienen der jährliche »Global Wealth Report« der BCG, die auch schon den aktuellen US-Präsidenten oder die Bundesbank beraten hat und neben McKinsey zu den führenden Unternehmen in dem Bereich gehört. Der Bericht präsentiert die Zahlen ähnlich schonungslos wie bei Piketty, nur die Intention ist selbstredend eine völlig andere. Während Piketty auf Steuererhöhungen und den Ausbau von Sozialsystemen setzte, um wie in der Zeit des New Deal oder den unmittelbaren Nachkriegsjahren die Ungleichheit zu reduzieren oder mindestens nicht noch zu erhöhen, geht es den Verantwortlichen der BCG explizit darum, ihre kapitalstarken Kunden »weiter nach vorn zu bringen«, wie sie schonungslos offen formulieren.

Große Sorgen müssen die Betreffenden sich um ihr Fortkommen allerdings ohnehin nicht machen. »Nach einem schwachen Jahr 2022 ist das weltweite Nettovermögen im vergangenen Jahr wieder deutlich gestiegen«, heißt es euphorisch in dem Bericht. Laut den vorgelegten Zahlen ist das private Kapital im vergangenen Jahr, in dem das Wirtschaftswachstum nur etwas mehr als drei Prozent betrug, um über vier Prozent auf mehr als 477 Billionen US-Dollar gestiegen. Das Finanzvermögen, etwa Guthaben, Aktien oder Fonds-Beteiligungen, sei geradezu explodiert, sieben Prozent betragen hier die Zugewinne. »Vor allem Anleger in Nordamerika und Westeuropa«, die Kernklientel von BCG, hätten hier ganz besonders profitieren können, freuen sich die Analyst*innen. Allein die US-amerikanischen Kapitalbesitzer*innen hätten Vermögenszugewinne von 9,9 Billionen Dollar im letzten Jahr einstreichen können, ihre europäischen Klassengenoss*innen immerhin noch knapp zwei Billionen. Nur die Sachwertvermögen, neben den Edelmetallwerten vor allem die Immobilienpreise, hätten lediglich um etwa zwei Prozent zugenommen.

Das übliche 1 Prozent

Kein Geheimnis ist, wer die Personengruppe ist, die sich so exorbitant bereichern konnte: Es sind natürlich die etwa 73 000 Superreichen, die »Ultra High Net Worth Individuals« (UHNWI), wie sie von der BCG genannt werden. Zu ihnen gehört man ab einem Vermögen von mehr als 100 Millionen US-Dollar, was für einen Großteil von ihnen aber eher als die schon sprichwörtlichen Peanuts zählen dürfte. 14 Prozent des globalen Gesamtvermögens können diese wenigen zehntausend Personen ihr eigen nennen; auf fast eine Milliarde kommt jede*r von ihnen damit durchschnittlich. Und natürlich sind bei diesen Leuten auch die Zuwächse des Reichtums am größten. Nicht nur weil bei ihnen der Anteil am Finanz- gegenüber dem Sachvermögen traditionell höher ist, sondern auch durch professionellere Beratung, gute Netzwerke und natürlich aktive Steuervermeidung konnte die Gruppe der UHNWI ihr Vermögen im vergangenen Jahr um fast zehn Prozent anheben. »Der Report zeigt: Je höher das Anfangsvermögen des Einzelnen war, desto höher waren auch die Zuwächse«, feiern die Herausgeber des Berichts ihre Anlagestrategien.

Die Armutsquote hierzulande liegt mittlerweile bei 20 Prozent, jedes fünfte Kind ist aktuell davon betroffen – ein Höchstwert in der Geschichte der Bundesrepublik.

-

Die meisten von ihnen, 26 000 Personen, kommen nach wie vor aus den USA. Aber nach dem zweitplatzierten China nimmt aktuell die Bundesrepublik hier mit 3300 Einzelpersonen immerhin den dritten Platz ein. Nicht nur deshalb lohnt ein Blick auf die Verhältnisse hierzulande. Denn nirgendwo ist der Zuwachs – 300 konnten im vergangenen Jahr zusätzlich in den exklusiven Club aufgenommen werden – an Superreichen so groß gewesen. Dass dies trotz eines negativen Wirtschaftswachstums von 0,3 Prozent und sinkenden Werten von Immobilien gelingen konnte, überrascht nur auf den ersten Blick. Denn in Deutschland, »wo die Vermögensverteilung überdurchschnittlich ungleich« sei, wie der BCG-Bericht unbeeindruckt aufzeigt, besäßen die Superreichen etwa 23 Prozent des Finanzvermögens und damit »neun Prozentpunkte mehr als der globale Durchschnitt dieser Gruppe«. Die exorbitanten Steigerungen in diesem Segment – »um über zehn Prozent«, wie der BCG-Bericht konstatiert – haben eben hier geholfen, weitere Gelder auf die schon vorher dicken Haufen zu werfen.

Und während die 550 000 Millionäre der Bundesrepublik immerhin noch auf fünf Prozent Vermögenszuwachs kamen, lag dieser beim Rest der Bevölkerung unter der Inflationsrate – und führte so zu realen Verlusten. Dies könnte immerhin für die untere Hälfte der in der Bundesrepublik Lebenden belanglos sein, verfügen sie doch ohnehin über keine Vermögenstitel. Die Armutsquote hierzulande liegt nach den unlängst veröffentlichten Zahlen des »Netzwerks Steuergerechtigkeit« mittlerweile bei 20 Prozent, jedes fünfte Kind ist aktuell davon betroffen – ein Höchstwert in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Ende der Fahnenstange dürfte aber auch damit kaum erreicht sein. Für die nähere Zukunft prognostiziert der Reichtumsbericht sowohl global als auch vor allem für Deutschland gar eine Beschleunigung der Entwicklung hin zu größerer Ungleichheit und weiter intensivierter Reichtumskonzentration bei einigen wenigen. In Deutschland etwa würden die Superreichen in fünf Jahren voraussichtlich etwa 26 Prozent des gesamten Finanzvermögens des Landes auf sich vereinigen.

Kapitalistisches Naturgesetz

Vor einer »Tendenz hin zu einer Oligarchie«, die den entzauberten bürgerlichen Mythen von Chancengleichheit und Leistungsprinzip im Kapitalismus diametral entgegensteht, hatte Piketty in seinem Buch gewarnt. Natürlich existiert diese Tendenz bereits seit es den Kapitalismus gibt. Aber die aktuellen Entwicklungen belegen, wie die Konzentration des Kapitals in immer stärkerem Maße und auf relativ zur Weltbevölkerung immer weniger Besitzende voranschreitet. Zufall ist dies sicherlich nicht – das »absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation« hat Karl Marx bereits im »Kapital« dargestellt: »Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.« Die BCG-Bericht hat die Analysen des Alten aus Trier wieder einmal glänzend bestätigt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -