Reichsbürger: Es ist doch nur ein Umsturz

Derzeit laufen Prozesse gegen zwei Reichsbürger-Netzwerke mit Putschfantasien

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 6 Min.
Heinrich XIII. Prinz Reuß zwischen seinen Verteidigern auf der Anklagebank.
Heinrich XIII. Prinz Reuß zwischen seinen Verteidigern auf der Anklagebank.

Man könnte ungezählte Beispiele nennen, vom Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest bis zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU): Wenn in der Geschichte der Bundesrepublik rechter Terror vor Gericht verhandelt wurde, interessierten sich die Behörden meist herzlich wenig für die Netzwerke im Hintergrund. Einen Einzeltäter zu verurteilen und die Akte zu schließen, war die einfachste Lösung. Im NSU-Komplex beharrt die Bundesanwaltschaft bis heute darauf, dass das Kerntrio um Beate Zschäpe die bundesweite Serie rassistischer Morde ganz allein begangen hat – ohne jede Unterstützung in den Tatortstädten.

Wer mit diesem Wissen im Hinterkopf auf die derzeit laufenden Großverfahren gegen rechte »Reichsbürger« schaut, könnte sich wundern. Gegen die »Patriotische Union« um den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß wird, weil es so viele Angeklagte gibt, in drei parallel laufenden Prozessen in Frankfurt, Stuttgart und München verhandelt. Insgesamt 26 Männern und Frauen wirft die Bundesanwaltschaft vor, den gewaltsamen Sturz der Bundesregierung geplant zu haben, mit einem bewaffneten Angriff auf den Bundestag und massenhaften »Säuberungen«, also: Hinrichtungen. Auf Länderebene gehen die Staatsanwaltschaften gegen mindestens rund 50 weitere mutmaßlich Beteiligte vor.

Ähnliche Namen, ähnliche Ziele

Die ungewohnt umfassenden Ermittlungen sind zum Teil sicher darin begründet, dass die verschwörungsideologisch beseelten Möchtegern-Umstürzler*innen, anders als organisierte Neonazis, eher wenig konspirativ vorgingen. Die kompromisslose Reaktion der Behörden aber könnte auch noch einen anderen Grund haben: Die Gewalt, die die »Patriotische Union« geplant haben soll, sollte sich nicht – wie sonst zumeist bei rechtem Terror – gegen migrantische Menschen oder andere marginalisierte Gruppen richten. Sondern gegen den Staat.

Und das gilt nicht minder für den zweiten großen »Reichsbürger«-Komplex, der derzeit mit bemerkenswertem Aufwand aufzuklären versucht wird. Bereits seit über einem Jahr müssen sich vor dem Oberlandesgericht in Koblenz vier Männer und eine Frau verantworten, die unter anderem die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Sprengstoffanschläge auf die Energieversorgung des Landes geplant haben sollen – mit dem Ziel, die Bundesregierung zum Rücktritt zu zwingen und die Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft zu setzen. Die fünf Angeklagten sollen die treibenden Kräfte der Gruppe gewesen sein, die die Bundesanwaltschaft nach einem der genutzten Telegram-Kanäle als »Vereinte Patrioten« bezeichnet. Auch hier gab und gibt es weitere Prozesse, gegen sechs mutmaßliche Mitverschwörer*innen. Es werden voraussichtlich nicht die letzten gewesen sein.

In Hamburg endete im Juli der erste dieser Nebenprozesse: Frank M., ein Rentner aus Schleswig-Holstein, wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt, kam mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe allerdings glimpflich davon. Der 67-Jährige war nach Überzeugung des Hanseatischen Oberlandesgerichts unter anderem in Gespräche über Waffen für die »Vereinten Patrioten« eingebunden. Und er wollte in einem Segelboot über die Ostsee schippern, um bei Russlands Präsident Wladimir Putin um Unterstützung für den Umsturz zu bitten.

»Es war für mich ein normaler Austausch von geschichtlich Interessierten.«

Frank M. verurteilt wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung

Wie sich Frank M. vor Gericht präsentierte, entsprach einem Muster, das sich in den »Reichsbürger«-Prozessen immer wieder erleben lässt: reuig und geständig an der Oberfläche, doch nach Kräften bagatellisierend, wenn es konkret wird – und nicht eben arm an Widersprüchen. Er sei da nur »hereingerutscht«, weil ihm während der Corona-Pandemie so langweilig gewesen sei und er sich schon seit Jugendtagen für Geschichte begeistert habe, sagte der Mann. »Es war für mich ein normaler Austausch von geschichtlich Interessierten. Man steigerte sich dann immer mehr hinein.«

Ein Rechter sei er keinesfalls, die Bundesrepublik habe er »akzeptiert«, die Verfassung des Kaiserreichs sei für ihn lediglich der Weg zu mehr »Basisdemokratie« gewesen. Und mit Gewalt habe er, der freimütig über Waffenkäufe chattete und illegal einen Revolver besaß, selbstverständlich nie etwas zu tun haben wollen. Es ist die gleiche Logik, mit der die Angeklagte Elisabeth R. in Koblenz – eine promovierte Theologin, die die Vordenkerin der »Vereinten Patrioten« gewesen sein soll – vor Gericht tagelang über die BRD als vermeintlich jüdisch beherrschte Firma dozierte. Und zugleich beteuerte, dass das weder antisemitisch noch »Reichsbürger«-Geschwurbel sei.

Mit der Pistole für Gewaltfreiheit

Die konkurrierende »Patriotische Union« um Prinz Reuß & Co. verfügte laut Anklage über 380 Schusswaffen plus Munition, mit dem Aufbau von »Heimatschutzkompanien« für den Staatsstreich soll zum Zeitpunkt der Festnahmen im Dezember 2022 bereits begonnen worden sein. Dennoch ist auch in diesen Prozessen viel von Gewaltfreiheit und Friedensliebe die Rede. Einige Angeklagte, darunter neben der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann auch Reuß selbst, haben die Vorwürfe pauschal bestritten. »Natürlich lehne ich Gewalt ab«, gab der mutmaßliche Rädelsführer und designierte Chef der geplanten Putschregierung zu Protokoll.

Detaillierter haben sich zur Anklage bislang erst zwei der 26 Angeklagten geäußert. In Stuttgart erklärte der IT-Experte Wolfram S., der für die Verschwörer*innen ein abhörsicheres Kommunikationssystem aufbauen sollte, er habe die Umsturzpläne für einen Witz gehalten – obwohl er wie mehr als 130 weitere Beteiligte eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnete, die ihm für den Fall des Verrats die Todesstrafe androhte. Und in München brachte die Astrologin Ruth Hildegard L., einst angestellt als esoterische Beraterin der AfDlerin Malsack-Winkemann im Bundestag, das Kunststück fertig, fast alle Anklagevorwürfe einzuräumen und trotzdem zu behaupten: »Wir hatten keinen Putsch geplant.«

Die Niederungen der QAnon-Verschwörungserzählung

Ihr Argument haben auch die Verteidiger von Prinz Reuß in Frankfurt schon ins Feld geführt. Um es zu verstehen, muss man sich in die Niederungen des antisemitischen QAnon-Verschwörungsglaubens begeben, dem offenbar die meisten der Angeklagten anhingen. Demnach wird Deutschland (und die Welt) beherrscht von Eliten, die in unterirdischen Tunnelsystemen Kinder missbrauchen und ihnen ein Verjüngungselixier abzapfen. Doch eine geheimnisvolle »Allianz«, geführt von den USA, Russland und/oder Außerirdischen, werde schon bald einmarschieren und diesen »Deep State« besiegen. Erst danach habe die »Patriotische Union« losschlagen und »den Rest« erledigen wollen. Aber da es die herbeifantasierte »Allianz« ja gar nicht gebe, hätte es auch nie zum Staatsstreich kommen können.

Das ähnelt der Verteidigungsstrategie, die in den Prozessen gegen die »Vereinten Patrioten« bemüht wird. Den Gesundheitsminister entführen? Für einen wochenlangen Stromausfall im ganzen Land sorgen? Alles bloß Gedankenspiele, heißt es. Nicht wirklich realistisch, weit von einer Umsetzung entfernt. Mithin: Alles halb so wild. Man wird doch wohl noch den Umsturz planen dürfen.

Ist ein Plan ungefährlich, nur weil er irrwitzig ist? Es macht bisher nicht den Eindruck, als würden die Gerichte das für sehr überzeugend halten.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -