»Der Cerro Gordo ist bescheiden«

Der Geograf Rafael Ubaldo Gosálves Rey über die vulkanischen Landschaften von Kastilien-La Mancha

  • Interview: Monica Gumm
  • Lesedauer: 6 Min.
Campo de Calatrava: »Der Cerro Gordo ist bescheiden«

Herr Gonsálvez Rey, wir stehen mitten in einem Vulkan in der Region Kastilien-La Mancha. Was untersuchen Sie hier?

Wir erforschen außergewöhnliche Pflanzen- und Tierfossilien, die seit einem großen Vulkanausbruch vor 300 Millionen Jahren erhalten geblieben sind. Genau hier entstand vor ungefähr 7,4 Millionen Jahren ein Vulkan. Dank der Professorin Elena González Cárdenas haben wir hier in den 90er Jahren die wichtigste vulkanische Region der Iberischen Halbinsel entdeckt, in Bezug auf die Anzahl wie auch die Art der Vulkane und ihr Alter.

Wie viele Vulkane gibt es in der Region?

Da scheiden sich in der Wissenschaft die Geister. Es sind an die 350 Vulkane.

Wieso wurden die nicht schon früher entdeckt?

Ich denke, es war einfach Unwissenheit. Wir machen seit 20 Jahren Bildungsarbeit in Schulen und Gemeinden, um die Einwohner zu sensibilisieren. Im März 2024 hat die Unesco das Vulkangebiet im Campo de Calatrava schließlich zum Global Geopark ernannt.

Was ist das Besondere an diesem Gebiet?

Es gibt 65 vulkanische Lagunen. Frankreich hat neun in der Auvergne, zehn gibt es in der Eifel, eine in Ungarn und 14 in Italien. Ist es nicht verrückt, dass es auf den Kanarischen Inseln Vulkane, aber keine einzige vulkanische Lagune gibt? Die Lagune La Inesperada in Pozuelo de Calatrava zählt mit ihrer außergewöhnlichen Biodiversität zu den Feuchtgebieten von internationaler Bedeutung. Auch die Geo-Diversität der Minen von Almadén und Cerro Gordo ist einzigartig. Seit über 2500 Jahren wird in Almadén Quecksilber abgebaut. Es ist die einzige Quecksilbermine der Welt, die seit der Römerzeit ausgebeutet wird.

Interview

Rafael Ubaldo Gosálves Rey ist Professor für Geografie und Raum­planung an der Universität von Kastilien-La Mancha in Spanien. Seit 20 Jahren erforscht er die vulkanische Aktivität in der Region Ciudad Real, auf den Kanarischen Inseln, auf den Kapverden und in Italien.

Wie entstehen diese Lagunen?

Sie entstehen durch hydro-magmatische Ausbrüche. Man muss sich das wie kleine Atombombeneinschläge vorstellen, die acht bis neun Kilotonnen Energie freisetzen. Dadurch entstehen große Löcher, die sogenannten Maare. In einigen Maaren sammelt sich Wasser an, wie in der Lagune La Inesperada. Nur ein Drittel der Maare in Kastilien hat temporär Wasser. Es regnet fast nie. Für unsere Lagunen ist es äußerst wichtig, dass sie jahrelang austrocknen. Die Reservoirs an Samen und Eiern, die dort lagern, sind darauf spezialisiert, ohne Wasser zu überleben. Wenn es regnet, explodiert die Flora und Fauna regelrecht, wie in diesem Jahr.

Also eine Art Winterschlaf?

Ja, und nicht nur Monate oder Jahre, sondern Jahrzehnte. Wenn wir mit einem Sieb Proben aus der Lagunen entnehmen, sind die Besucher überrascht, was wir alles herausholen. Garnelen, Muscheln und sogar eine Art Dinosaurier der Mikrokrebse, der Triops mauritanicus, der sich seit 200 Millionen Jahren nicht weiterentwickelt hat. Die Tiere warten manchmal Jahrzehnte darauf, zu schlüpfen. Die meisten Menschen verbinden mit Lagunen die Vogelwelt, aber uns Wissenschaftler interessieren die Pflanzen und Krebstiere.

Was lockt die Menschen in das Besucherzentrum mit Vogelbeobachtungsplatz?

Dort tummeln sich bis zu 65 Vogelarten, beispielsweise Haubentaucher, Seidenreiher, Flussuferläufer und Schwarzhalstaucher. Besonders auffällig ist leider eine Seemöwenkolonie. Die Vögel finden auf den Mülldeponien mehr Fressen als an der Küste. Abends kommen bis zu 20 000 Möwen in die Lagune, da Möwen nachts im Wasser stehen. Das ist ein Problem, sie gehören nicht in diesen Lebensraum und sind aggressiv gegenüber anderen Vögeln. Wir untersuchen gerade, wie Möwen und Weißstörche durch Kot Mikroplastik von den Deponien in die Lagunen transportieren.

Was ist das Besondere an den Vulkanen im Campo de Calatrava?

Ikonen wie der Teide in Spanien oder der Fuji in Japan sind eine Minderheit auf der Erde. Die am weitesten verbreitete Vulkanart sieht aus wie unser Cerro Gordo. Sie ist bescheiden und gleicht einem sanften Hügel. Die Vulkane hier sind vor ungefähr 7,5 Millionen Jahren entstanden. Wir stehen hier auf einem der ältesten Gebiete der Iberischen Halbinsel.

Gibt es noch andere Phänomene, die auf vulkanische Aktivitäten hinweisen?

Ganz in der Nähe treten vulkanische Gase aus. Es ist die einzige aktive Fumarole der Iberischen Halbinsel. Schon 1575 berichteten Bewohner des Dorfes Valenzuela von einem Loch, aus dem Flammen kamen. Im Jahr 2000 schoss in Granátula ein Gas- und Wasserstrahl aus der Erde. Er wurde der Geysir von Granátula genannt. In einer Studie, die wir 2009 mit dem Technologischen Institut der Kanarischen Inseln durchgeführt haben, stellten wir fest, dass das Campo de Calatrava die vulkanische Region mit dem höchsten diffusen CO2-Ausstoß in Europa ist, abgesehen von Italien.

Kann der Vulkan noch einmal ausbrechen?

Auf der Explosivitätsskala liegt der Cerro Gordo etwa bei zwei oder drei von acht. Wenn man nachweisen kann, dass der letzte Ausbruch weniger als 10 000 Jahre zurückliegt, gilt der Vulkan als aktiv. Die jüngsten Vulkane in Ciudad Real sind etwa 6500 Jahre alt. Wann es in dem Gebiet wieder einen Ausbruch gibt, weiß man nicht, das könnte bald oder in 10 000 Jahren sein. Kürzlich berichteten chinesische und portugiesische Wissenschaftler von der Komplexität der Plattentektonik auf der Iberischen Halbinsel. Dieser Forschungsansatz lässt annehmen, dass unser Vulkanismus jederzeit erwachen könnte. Wir haben natürlich geochemische Stationen und ein Seismometer-Netzwerk, das bei Aktivitäten eine gewisse Vorwarnung gibt.

Mitten im Vulkankrater ist ein Steinbruch. Was wird hier abgebaut, und wie lässt sich das mit einem Naturschutzgebiet vereinbaren?

Die Schweizer Firma Holcim gewinnt hier Vulkanasche, um ökologischen Zement herzustellen. Durch die Anreicherung des Kalksteins mit der Asche wird bei der Herstellung die Kohlendioxidemission reduziert. Es ist natürlich paradox, dafür einen Vulkan zu zerstören. Wir mussten viele Jahre dafür kämpfen, dass die Firma nur einen Teil abbaut, mittlerweile unter unserer wissenschaftlichen Aufsicht.

Was bedeutet das Gebiet für die Gemeinden – gab es in den letzten Jahren einen Bewusstseinswandel?

Es wurden kommerzielle Strategien entwickelt. Mehrere Weingüter produzieren sogenannte Vulkanweine. Eines lässt seine besten Weine sogar in einer Vulkanhöhle reifen, damit dieser vor jeglicher elektromagnetischen Verschmutzung geschützt sind. Das soll die Reifung verlangsamen und die Eigenschaften des Weins länger erhalten. Wir haben hier auch Vulkanolivenöle. Vor ein paar Jahren kam eine Konditorei auf die Idee, »Magmitos de Poblete« herzustellen. Die kleinen Magma-Törtchen sehen aus wie Schokoküsse.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Diese Region zählt zu den Kornkammern Europas, wurde aber durch die letzten Jahre der Dürre sehr gebeutelt und ist wirtschaftlich zurückgeblieben. Wir müssen nachhaltige Vermarktungsstrategien entwickeln, um unsere Region zu fördern, mit dem Fokus auf unsere Vulkanlandschaften und unsere Traditionen wie die einzigartigen Feierlichkeiten zur Karwoche in den Dörfern. Unser Ziel ist es, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen zu eigenen Initiativen zu bewegen, um die Region weiterzuentwickeln.

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