- Wissen
- Hassliebe
Asylrechtsverschärfungen: Mittel der Wahl
Zwei mal gab es in Solingen rechte mörderische Gewaltakte, zweimal dieselbe rassistische Reaktion des Staates
Solingen? Da war doch schonmal was Schlimmes! Ach ja: Deutsche Nazis ermordeten dort einmal fünf Menschen mit türkischem Migrationshintergrund durch einen Brandanschlag. Das war im Jahr 1993 und der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl reiste nicht an, um Beileid zu bekunden. »Ganz im Gegenteil: Dieter Vogel, sein Regierungssprecher, hatte Kohls Teilnahme in Solingen mit den Worten verneint, man wolle nicht in ›Beileidstourismus‹ verfallen« (»Brandanschlag-Solingen-1993.de«). Macht Sinn: Hätte Kohl sämtlichen rassistischen Übergriffen, Morden, Brandanschlägen bis hin zu Pogromen volle Aufmerksamkeit geschenkt, wäre ihm kaum Zeit geblieben, als Reaktion auf die rechtsradikale Mobilmachung das Asylrecht zu verschärfen.
Als in der vergangenen Woche ein syrischer Islamist – ebenfalls ein rechter Mann – in Solingen drei Menschen durch Messerstiche ermordete, reiste der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz stehenden Fußes an den Tatort, um dort das Übliche zu verkünden: Dieser Angriff treffe »alle Deutschen«, denn er ziele auf »die Art und Weise, wie wir leben« (»Tagesschau.de«). Mit dieser nationalistischen Instrumentalisierung der Opfer bereitet der Sozialdemokrat den ideologischen Weg für das, was er und seine Erfüllungsgehilf*innen in Exekutive und Legislative auch praktisch angehen wollen: »Oppositionsführer Merz bietet Kanzler Scholz gemeinsame Änderungen der Asylgesetze an«, informiert die »NZZ«.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Zwei rechte mörderische Gewaltakte, zweimal dieselbe rassistische Reaktion des Staates. Und auch ansonsten sind die gegenwärtigen Parallelen zum Rechtsruck (auch der Bevölkerung) der 1990er Jahre nicht von der Hand zu weisen. Der »Stern« allerdings informierte in der vergangenen Woche: »Kurz nach den blutigen Ereignissen von Solingen rufen viele politisch Verantwortliche nach schärferen Gesetzen. Nur eine Minderheit der Deutschen unterstützt sie dabei.« Das ergab eine im Auftrag der – eher nicht für antifaschistische Umtriebe bekannten – Zeitschrift durchgeführte Umfrage, derzufolge »nur eine Minderheit von 37 Prozent der Meinung ist, dass die schnellen Reaktionen auf den Anschlag richtig und angemessen sind. 60 Prozent fänden es besser, in Ruhe und nach Vorliegen der genauen Ermittlungsergebnisse über mögliche Gesetzesänderungen und andere Maßnahmen zu entscheiden.« (Kleine Seiteninfo zur Frage »Wahlalternative BSW«: »Mehrheitlich anders sehen das nur die Anhänger von AfD und des Bündnisses Sahra Wagenknecht«.) Ob diese Mehrheit der Zögernden nun sämtlich antirassistisch ist oder nicht, deutlich wird hier: Der Staat »versagt« nicht bei der Bekämpfung von Rassismus, sondern er treibt ihn aktiv voran. Er vollstreckt keinen »Willen des Volkes«, sondern er formt ihn – und zwar nach den eigenen, menschenfeindlichen Interessen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!