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Die Horrorshow des Hasspredigers Alex Jones

Die Doku »The Truth vs. Alex Jones« widmet sich dem rechtsextremen Verschwörungsideologen und seinem irren Geschäftsmodell

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Horrorclown in seiner Manege
Der Horrorclown in seiner Manege

Was für ein Horror, man sagt das so schnell dahin. Horror, wenn die Bahn schon wieder Verspätung hat. Horror, wenn der Sommerregen nahtlos in Herbststürme übergeht. Horror, wenn das thailändische Essen vor Schärfe zischt. Und Horror natürlich, wo auch Horror draufsteht. Zombieserien wie »Walking Dead« zum Beispiel, Folterpornos der Marke »Saw«, Schockfiktionen. Am Ende aber ist selbst das nicht halb so gruselig wie ein Mann, der eigentlich einen Aufkleber »FSK ab 18« benötigt: Alex Jones.

Wer den rechtsextremen Verschwörungstheoretiker nicht kennt, kann nächtelang reale Schauergeschichten über ihn googeln – oder doch lieber die zweistündige HBO-Doku »The Truth vs. Alex Jones« auf Sky sehen, die das Phänomen kompakter, aber nicht minder furchteinflößend skizziert. Regisseur Dan Reed, der in »Four Hours at the Capitol« auch schon den Putschversuch vom 6. Januar 2021 durchleuchtet, porträtiert den Moderator darin nämlich bei seiner bislang größten Horrorshow.

Kurz, nachdem die Sandy Hook Elementary School vor fast zwölf Jahren das schrecklichste Schulmassaker der an schrecklichen Schulmassakern so reichen USA erleben musste, blies Alex Jones fast unaufhörlich ins Netz, die 27 Todesopfer – darunter 20 kleine Kinder – seien eine Erfindung liberaler Eliten. Mit »dreister Lüge« ist diese Behauptung noch zurückhaltend beschrieben. Sie passt allerdings perfekt ins Waffenarsenal des erfolgreichsten Meinungsmanipulators unserer Tage.

Seit sein Internetportal »Info Wars« 1999 online ging, hat er nahezu jede Verschwörungsideologie übernommen. 9/11? Ein Anschlag der eigenen Regierung! Der Klimawandel? Ein Märchen autofeindlicher Hippies! Barack Obama? Ein afrikanischer Muslim! Covid? Ein simples Grippevirus! Das Sandy-Hook-Gemetzel? Ein »Hoax« genanntes Laienschauspiel zur Entwaffnung konservativer Patrioten durch linksliberale Eliten!

Jede Behauptung ist von so wirklichkeitsferner Absurdität, dass man sie eigentlich ignorieren müsste – würde Alex Jones ihnen nicht so erfolgreich zu Glaubwürdigkeit verhelfen und die Abertausend Toten all der geleugneten Ereignisse um ein unschuldiges Opfer erweitern: die Wahrheit. Deshalb hat Dan Reed seinen Film auch »The Truth vs. Alex Jones« betitelt. Eine Art Ringkampf zwischen Realität und Illusion, Fakten und Fake News, Wissen und Meinen mit ungewissem Ausgang.

Eine Art Ringkampf zwischen Realität und Illusion, Fakten und Fake News, Wissen und Meinen mit ungewissem Ausgang.

Seine Lügen von den angeblichen Lügen haben Jones zum Multimillionär gemacht. Diese filmische Biografie des texanischen Hasspredigers, der 1997 an den rechten Rand realitätsverdrehender Radiopopulisten gerät und ihn Stück für Stück Richtung gesellschaftlicher Mitte verschiebt, porträtiert nämlich vor allem den findigen Geschäftsmann.

Im Umfeld seiner Sendungen verkauft Alex Jones total überteuerte Nahrungsergänzungsmittel. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima, die er ausnahmsweise mal nicht leugnet, ließ er sogar die Messergebnisse seiner eigenen Reporter fälschen, damit er die Angst vor radioaktiver Verseuchung in den Absatz nutzloser Präparate verwandeln konnte. Ein Horror, wie gesagt. Allerdings nicht halb so grässlich wie das, was die Eltern der Kinder von Sandy Hook erleiden.

Ihre Aussagen, Berichte, Tränen, aber auch Kräfte machen die Doku zur aktuell imposantesten Studie des biblischen Kampfes Gut gegen Böse. Beide Seiten sind in stattlicher Zahl vertreten, beide ringen hingebungsvoll miteinander, beide bleiben allerdings auf Abstand. Und wie er den Tod von Kindern mit gefakten Videos und plumper Propaganda so negiert, dass fünf von sechs Filmen bei Youtube den Amoklauf bestreiten, zählt zum Perfidesten unserer hasserfüllten Zeit.

Zum Glück macht der profitable Feldzug gegen Wissenschaft und Logik die Hinterbliebenen nicht zu Objekten fremder Einflussnahme, sondern Subjekten der eigenen Selbstermächtigung. Die Hälfte der Sendezeit zeigt einen Prozess mit ungeahntem Ausgang. Für alle, die ihn noch nicht kennen, wird er hier auch nicht verraten. Denn da amerikanische Schadenersatzverfahren Kameras dulden, wird »The Truth vs. Alex Jones« zum fesselnden Real-Crime-Courtroom-Drama von erschreckender Authentizität.

Im Wechsel mit der faschistoiden Hetze auf Digitalplattformen wie »InfoWars.com« erzählt Dan Reed damit auch viel über das 28. Todesopfer des »Sandy Hook Elementary School Shooting«, wie es in den USA heißt. Denn die Unantastbarkeit der Wahrheit wird durch Alex Jones und seine Jünger so nachhaltig beschädigt, dass 1+1 seither auch 3 sein kann und Donald Trump ein Gesandter Gottes, sofern der rechte Rand es will. Was für ein Horror.

Verfügbar auf Sky

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