»Es geht um den Willen der Bevölkerung«

Der regierungskritische Chavist Juan Barreto verteidigt das Recht auf ein transparentes Wahlergebnis

  • Interview: Tobias Lambert
  • Lesedauer: 4 Min.
In Caracas fordern Demonstranten ein transparentes Wahlergebnis.
In Caracas fordern Demonstranten ein transparentes Wahlergebnis.

Der Nationale Wahlrat hat Nicolás Maduro zum Sieger der Präsidentschaftswahl vom 28. Juli erklärt. Das offizielle Ergebnis ist jedoch sehr umstritten. Warum zweifeln Sie es an?

Der Wahlrat hat lediglich Zahlen veröffentlicht, ohne wie üblich die Ergebnisse der einzelnen Wahllokale zu präsentieren. Als Begründung heißt es, es habe einen Cyberangriff auf das elektronische Wahlsystem gegeben.

Wie plausibel ist ein solcher Angriff?

Die Wahlergebnisse werden analog über gesicherte Telefonleitungen übertragen, nicht über das Internet. Sollte es einen Cyberangriff gegeben haben, hätte eine technische Überprüfung eingeleitet und die Bevölkerung darüber informiert werden müssen, dass es noch nicht möglich ist, einen Sieger zu verkünden. Aber seitdem haben nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebenen Schritte zur Überprüfung des Wahlergebnisses stattgefunden.

Interview

Juan Barreto ist Universitätsdozent, langjähriger chavistischer Aktivist und Politiker. Von 2004 bis 2008 war er Oberbürgermeister von Caracas. 2016 brach er mit der Regierung Maduro. Bei der Präsidentschaftswahl unterstützte er gemeinsam mit anderen linken Kräften die Kandidatur von Enrique Márquez, Ex-Rektor des Nationalen Wahlrates (CNE).

Die Opposition hat einen Teil der Wahlakten veröffentlicht, aus denen ein Sieg ihres Kandidaten Edmundo González hervorgeht. Die Regierung spricht von Fälschungen. Wie kann geklärt werden, wer die Wahrheit sagt?

Der Wahlrat sollte die Wahlakten mit den einzelnen Ergebnissen aus den Wahllokalen vorlegen. Die Regierungspartei könnte zudem ihre Kopien der ausgedruckten Ergebnisse aus sämtlichen Wahllokalen veröffentlichen. Dies hat sie auch nach der Präsidentschaftswahl 2013 getan, die Maduro nur knapp gewann. Und wenn beim Abgleich Abweichungen auftreten, müssen die Kontrollausdrucke der Stimmen auf Papier ausgezählt werden. Dies geschah 2013 ebenfalls.

Maduro hat sich an das Oberste Gericht gewandt, damit es das Ergebnis überprüft. Könnte dies ein Beitrag zur Klärung sein?

Die technische Expertise liegt nicht beim Gericht, sondern dem Wahlrat selbst. Dieser muss nun das gesamte Wahlmaterial aus allen Bundesstaaten an das Gericht übergeben. Das schränkt die Autonomie des Wahlrates ein, der laut venezolanischer Verfassung als eigenständige staatliche Gewalt gilt.

Die Regierung wirft der Opposition einen Putschversuch vor. Was ist davon zu halten?

Das meiste, was ich an Protesten mitbekommen habe, war spontan und nicht von langer Hand geplant. Vertreter der Regierungspartei bezichtigen sogar mich selbst und den von mir unterstützten Kandidaten Enrique Márquez, Teil einer Verschwörung zu sein. Dabei verurteilen wir jegliche Gewalt und politische Verfolgung. Wenn eine Verschwörung existieren würde, um die Regierung mittels gefälschter Wahlakten zu stürzen, gäbe es einen einfachen Weg, die Verschwörer der Lächerlichkeit preiszugeben: durch die Veröffentlichung der tatsächlichen Wahlakten. Stattdessen diffamieren Funktionäre kritische Personen. Der Staat geht mit einer beispiellosen Repression gegen Protestierende vor, Maduro verkündet, 2000 Personen in Hochsicherheitsgefängnisse wegsperren zu wollen.

Einige Chavist*innen werfen Ihnen vor, mit Ihrer Positionierung der rechten Opposition in die Hände zu spielen. Wie gehen Sie damit um?

Demnach wären Lula und Gustavo Petro, die Präsidenten Brasiliens und Kolumbiens ebenso nur nützliche Idioten der Opposition, weil sie ein transparentes Ergebnis fordern. Genauso wie alle anderen, die auf die Einhaltung der Verfassung und der Gesetze pochen. Es geht nicht darum, ob uns das Wahlergebnis gefällt oder nicht, sondern um den Willen der Bevölkerung. Ich habe die Verfassung beim Putsch gegen Chávez 2002 gegen die Opposition verteidigt. Als Abgeordneter und Bürgermeister habe ich auf sie geschworen. Und ich verteidige sie auch heute.

Viele Linke inner- und außerhalb Venezuelas argumentieren, dass die rechte Opposition in der Vergangenheit häufig gelogen und transparente Wahlergebnisse nicht anerkannt hätte.

Mit dieser Argumentation hätte selbst Chávez 1998 nicht gewinnen können. Er ist 1992 mit einem Putschversuch gescheitert und entschied sich erst spät dazu, an Wahlen teilzunehmen. Die Opposition wurde trotz der vielen fragwürdigen Handlungen zur Präsidentschaftswahl zugelassen. Die Regierung kann hinterher nicht einfach sagen, weil du früher dieses und jenes getan hast, brauchen wir gar nicht erst die Ergebnisse zu belegen. Wir haben Kopien von einigen Wahlakten aus ärmeren Vierteln, in denen früher immer der Chavismus gewonnen hat und dieses Mal die rechte Opposition vorne lag.

Wie kann es in Venezuela jetzt weitergehen?

Dass die USA und rechtsgerichtete Regierungen Lateinamerikas inmitten dieser Kontroverse den Oppositionskandidaten Edmundo González als Sieger anerkennen, halte ich für gefährlich. Damit fallen sie als mögliche Vermittler aus. Ich hoffe, dass die Verhandlungsinitiative der Präsidenten Kolumbiens, Brasiliens und Mexikos Erfolg hat. Bisher zeigt Maduro gegenüber jeglichen Vorschlägen radikale Ablehnung, die Regierung schließt die Reihen. Dies aber kann auf lange Sicht nicht gut gehen. Die Tausenden Wahlzeug*innen der Regierungspartei PSUV und das Militär wissen genau, dass der Inhalt der Wahlakten nicht zu dem verkündeten Ergebnis passt. Auf einer solch dünnen legitimatorischen Basis wird Maduro es schwer haben, sechs weitere Jahre zu regieren.

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