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Münchner »Reichsbürger«-Prozess: Astrohilde und der Umsturz

Aussage über Putschpläne und astrologische Zuverlässigkeitsprüfungen

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.
Hildegard L. berichtete im »Reichsbürger«-Prozess, was ihre Chefin Birgit Malsack-Winkemann an der Abgeordnetentätigkeit gefallen hat.
Hildegard L. berichtete im »Reichsbürger«-Prozess, was ihre Chefin Birgit Malsack-Winkemann an der Abgeordnetentätigkeit gefallen hat.

Es klingt wenig schmeichelhaft, was Hildegard L. über ihre einstige Chefin zu sagen hat – oder über »die Birgit«, wie sie sie nennt. Was die AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann an ihrem Bundestagsmandat geschätzt habe? »Der Chauffeursdienst war ihr wichtig«, sagt die Ex-Mitarbeiterin. »Die Einladungen zu Veranstaltungen, die Flüge, die Erste-Klasse-Bahnfahrten – eben das, warum Abgeordnete an ihren Posten kleben.«

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Abgeordnetenmitarbeiterin

Hildegard L., 70 Jahre alt und Diplom-Ingenieurin aus dem hessischen Heppenheim, behauptet von sich, die Zukunft aus den Sternen lesen zu können, streng wissenschaftlich, wie sie betont. Als Astrologin hat sie jedoch nicht nur Bücher, Wahrsagekarten und teure Prophezeiungen verkauft, sondern auch für Malsack-Winkemann gearbeitet, als die von 2017 bis 2021 im Bundestag saß. Heute sind die beiden Frauen angeklagt, als Mitglieder der »Patriotischen Union« um den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant zu haben.

Die Berliner Richterin und Ex-Abgeordnete steht mit der mutmaßlichen Führungsriege dieser rechten »Reichsbürger«-Verschwörung in Frankfurt am Main vor Gericht, ihre ehemalige Mitarbeiterin muss sich in München verantworten. Ein dritter paralleler Prozess läuft in Stuttgart, insgesamt 26 Angeklagte gibt es. Hildegard L. aber ist die Erste aus dem inneren Zirkel, die sich zu den Terror- und Hochverratsvorwürfen der Bundesanwaltschaft geäußert hat. Tagelang sagte sie vor Gericht aus, beantwortete Fragen – und bekundete Reue: »Ich verdiene keinen Freispruch.«

Laut Anklage war Hildegard L. bereits dabei, als eine Runde um die früheren Bundeswehroffiziere Rüdiger von Pescatore und Maximilian Eder im Juli 2021 beschlossen habe, einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag vorzubereiten. Für die Bundesanwaltschaft war das der Gründungsmoment der rechtsterroristischen Vereinigung.

Anschließend soll die »Astrohilde«, so ihr selbst gewählter Spitzname, nicht nur Malsack-Winkemann als Mitstreiterin gewonnen haben, sondern auch etliche weitere zentrale Akteure – von einem Stabsfeldwebel des Kommandos Spezialkräfte (KSK) bis zum Betreiber eines verschwörungsideologischen Telegram-Kanals, der zum Pressesprecher der Gruppe werden sollte. Und sie soll an fast allen Sitzungen des »Rats«, der designierten Putschregierung unter Prinz Reuß, teilgenommen haben. Wo sie als Zuständige für das Ressort »Transkommunikation« unter anderem die astrologische Zuverlässigkeit neuer Mitverschwörer*innen überprüft habe.

Kein Geständnis

Nichts davon bestreitet Hildegard L. Als Geständnis ist das aber ausdrücklich nicht gemeint. Denn zugleich versucht sie, sich selbst aus der Schusslinie zu bringen. Mal will sie nicht so genau zugehört haben, wenn die Pläne der »Patriotischen Union« besprochen wurden, mal habe sie die Dinge »nicht für so relevant gehalten«. Zum Beispiel ihre Unterschrift unter einer Erklärung zur »Reaktivierung Deutschlands«, mit der sie sich bei Androhung der Todesstrafe zur Verschwiegenheit verpflichtete. Mit den Mitverschwörer*innen habe sie vor allem die Ablehnung der Corona-Politik verbunden, sagt Hildegard L., ansonsten habe sie ihr Engagement als Beratungsauftrag verstanden. »Ich bin Geschäftsfrau, ich will Geld verdienen.«

Abgehörte Telefonate, die am Donnerstag im Gerichtssaal abgespielt werden, vermitteln da freilich einen etwas anderen Eindruck. Da wirkt Hildegard L. wie eine treibende Kraft. Und wie eine zutiefst Überzeugte: Mit größter Selbstverständlichkeit reiht sie eine Verschwörungserzählung an die andere. Spricht von »Deep State«, »Allianz« und »White Hats« – alles Schlagworte des antisemitischen QAnon-Glaubens. Kündigt mehrfach an, dass schon in wenigen Tagen das Kriegsrecht ausgerufen werde, weltweit. Und dass dann alles gut werde, quasi schlagartig.

Vor Gericht lenkt Hildegard L. die Aufmerksamkeit dagegen lieber auf ihre ehemalige Arbeitgeberin. Nicht sie, sondern Birgit Malsack-Winkemann habe am Schießtraining der Vereinigung teilgenommen. Nicht sie, sondern die AfD-Politikerin habe sich mit dem »Reichsbürger«-Narrativ des angeblich fehlenden Friedensvertrags für die Bundesrepublik beschäftigt. Und nur ihr zuliebe sei sie auch selbst in die AfD eingetreten.

Immer wieder, erzählt Hildegard L., habe Malsack-Winkemann mit Fragen genervt, wann denn endlich alles losgehe. Nur deshalb habe sie ihr irgendwann gesagt: schon bald. Ende Juni 2022 verkündete die Astrologin, dass die Sterne eine »große Veränderung« ankündigen würden. Was so falsch nicht war: Kein halbes Jahr später wurde die »Patriotische Union« bei einer bundesweiten Großrazzia ausgehoben.

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