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Unter deinem Schutz und Schirm
Textile Texte (8): Argumente für die Baseballmütze als Sommerbegleitung
Alle Welt sehnt sich nach der Sommersonne, aber sobald diese ihr strahlendes Antlitz zeigt, blickt man in lauter verkniffene Gesichter – das ist dann doch etwas zu viel Licht für unsere Augen. Natürlich kann man die Helligkeit mittels einer Sonnenbrille reduzieren. Die bringt aber einige Nachteile mit sich: sie verschmutzt, geht kaputt und verloren. Obendrein fungiert sie als fragwürdige Maske: Ihre Träger*innen entziehen sich der für uns Menschen so wichtigen mimischen Kommunikation. Gesprächspartner*innen blicken ratlos und zweifelnd in zwei dunkle oder verspiegelte Flächen, die zwar als Ausdruck von Coolness gelten, aber oft genug nur ein fragiles Ego oder Augenringe verbergen. Kommunikation auf Augenhöhe ist mit sonnenbebrillten Personen nicht möglich, weshalb dieses undemokratische Accessoire abzulehnen ist.
Mode und Verzweiflung: In diesem Sommer beschäftigt sich das nd-Feuilleton mit Hosen, Hemden, Hüten und allem, was sonst noch zum Style gehört.
Gelobt sei stattdessen die demokratische, die proletarische Baseballmütze. Diese schirmt die Augen vor der Sonne ab, ohne mimische Kommunikation zu erschweren. Tief ins Gesicht gezogen kann sie von Weitem eine gewisse Anonymität bieten, aber mit uns nahestehenden Personen können wir auch mit Baseballmütze von Angesicht zu Angesicht reden. Schon Erich Mühsam wusste um die Aussagekraft der Positionierung der Mütze, wenn er auch noch keine Basecap trug (»Und die Revoluzzermütze / schob er auf das linke Ohr /
Kam sich höchst gefährlich vor«). Ähnlich wie das Spiel mit dem Fächer an absolutistischen Höfen transportiert die Ausrichtung und der Neigungswinkel des Schirms vielfältige Botschaften: von der Waagerechten aufwärts kann Aufgeschlossenheit, Sorglosigkeit, ja Übermut ausgedrückt werden, während ein abwärts geneigter Schirm deutlich »Lass mich in Ruhe!« fordert.
Enorm ist auch der praktische Nutzen der Baseballkappe, denn sie schützt nicht nur unsere Augen vor der Sonnenstrahlung, sondern auch unser Haupt. Insbesondere Menschen mit Glatze wissen das zu schätzen, aber auch der schmalste Scheitel braucht Schutz. Nützlich für langhaarige Menschen ist, dass die Baseballkappe die Haare aus dem Gesicht hält.
Aber es scheint ja nicht immer die Sonne im Sommer, und hier zeigt sich ein weiterer Vorteil dieses Kleidungsstücks: im Gegensatz zur Sonnenbrille schützt sie auch vor Regen. Wer hingegen das Haus bei strahlender Sonne mit dunklen Linsen verlassen hat, steht bei einem plötzlich auftretenden Gewitter da wie ein begossener Pudel oder Langhaardackel.
Spielerisches Accessoire und nützliches Kleidungsstück zugleich, ist die Baseballkappe also ein wichtiger Bestandteil des Sommeroutfits. Doch natürlich gilt es, bei Schnitt und Gestaltung die richtige Wahl zu treffen. Eher zu vermeiden sind die sogenannten Truckermützen mit ihrem Vorderteil aus Schaumstoff und dem Plastiknetz auf der Rückseite sowie die hinten geschlossenen Flexcaps mit ihren großen, flachen Schirmen. Beide sind in jeweils verschiedenen Jugendkulturen der Nullerjahre verankert, und dort sollten sie auch bleiben.
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Die Basecap für heute ist entweder eine sogenannte »Dad Cap« oder eine »Five Panel Cap«: Erstere hat einen, der Name deutet es an, klassischen Schnitt und wird mit gebogenem Schirm getragen. Vorne ist sie meist mit einer kleinen Stickerei versehen, oft sind es Markenlogos. Selbst der Suhrkamp-Verlag vertreibt solche Mützen. Als der Verlag noch in Frankfurt residierte, hätte es das nicht gegeben. Aber in Berlin-Mitte will man offenbar mithalten mit der dortigen Klientel. Getragen wird die Dad Cap sowohl von klassischen Ralph-Lauren-Schnöseln als auch von Antifa-Hipstern und Talahons. (Letztere sind eine unter einem neuen Jugendwort zusammengefasste Gruppe von jungen Männer zwischen etwa 15 und 20 Jahren, meist mit Migrationshintergrund. Talahons kleiden sich mit Vorliebe in Markenlogos – ob echt oder unecht – und tragen Goldketten, Bauchtaschen sowie eben Caps.)
Die Five Panel Cap hingegen, flach geschnitten mit einem flachen, aber nicht allzu großen Schirm, wird eher von modebewussten, sportlichen Menschen im Surfboard-Gravelbike-Wander-Kontinuum getragen. Aber genau wie die Mütze selber sollte man diese Kategorisierungen und Abgrenzungen nicht allzu eng nehmen. Jedes Dippsche find’ sei Deggelsche, und jeder Kopp sei Käppsche.
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