Übergangsregierung in Bangladesch: »Wiedergeburt« ins Ungewisse

Nach wochenlangen Turbulenzen und vielen Toten kehrt in Bangladesch Ruhe ein – große Hoffnung liegt auf der prominent besetzten Interimsregierung

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.
Friedensnobepreisgträger Muhammad Yunus (Mitte) führt die Übergangsregierung von Bangladesch an.
Friedensnobepreisgträger Muhammad Yunus (Mitte) führt die Übergangsregierung von Bangladesch an.

Am Donnerstagabend hat Präsident Mohammed Shahabuddin die Mitglieder der Übergangsregierung Bangladeschs vereidigt. Sie wird von Friedensnobelpreisträger und Ökonom Muhammad Yunus (84) angeführt, der weltweit als einer der Vordenker der Mikrokredite geschätzt wird, sich zuletzt aber auch als scharfer Kritiker der entmachteten Regierungschefin Sheikh Hasina profiliert hatte. »Heute ist ein Tag des Stolzes für uns. Die Revolution, die zur Geburt eines neuen Siegestages für Bangladesch geführt hat, muss vorwärtsgetragen und gestärkt werden«, hatte Yunus den Umsturz bei einer emotionsgeladenen ersten Pressekonferenz am Flughafen kommentiert. Er selbst stehe wie das ganze Land dankbar in der Schuld der studentischen Protestbewegung, die diese »Wiedergeburt« und »zweite Unabhängigkeit« ermöglicht habe. Wichtigstes Ziel sei nun, Bangladesch vor Chaos und weiterer Gewalt zu bewahren. Landesweit gab es seit Mitte Juli an die 400 Tote.

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Weg frei für die Zivilgesellschaft

Die Namensliste seines 17-köpfigen Teams liest sich wie ein »Who’s who« namhafter Führer der Zivilgesellschaft. Darunter sind Adilur Rahman Khan, Gründer der Menschenrechtsvereinigung Odhikar, Syeda Rizwana Hassan von der Umweltanwälte-Vereinigung BELA, die Öko-Aktivistin Farida Akhter, deren Verein UBINIG sich mit 300 000 beteiligten Familien vor allem für alternative Agrarwirtschaft einsetzt, und Sharmeen Murshid. Die von ihm geleitete Organisation Brotee streitet für die Rechte benachteiligter Gruppen, insbesondere der indigenen Bevölkerung. Auch ein früherer Zentralbankchef, ein islamischer Theologe und Sozialreformer, ein Psychologieprofessor, gestandene Diplomaten und ein Freiheitskämpfer aus dem Unabhängigkeitskrieg 1971 gehören dazu. Berufen wurden mit Nahid Islam und Asif Mahmud außerdem die beiden führenden Sprecher der Studierendenbewegung SAD, deren Massenproteste zu Wochenbeginn die bisherige Regierung gestürzt hatten.

Rücktritt und Flucht der seit 2009 regierenden »eisernen Lady« Hasina, Tochter des bei einem Putsch 1975 ermordeten Unabhängigkeitshelden Scheich Mujibur Rahman, hatten nach der Erstürmung des Regierungssitzes kurzzeitig ein Machtvakuum heraufbeschworen. Vorübergehend übernahm Armeechef Waker-zu-Zaman, erst seit Juni im Amt, »die volle Verantwortung«, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Bevor im Stadtzentrum aufgefahrene Panzer ein Zeichen der Autorität ausstrahlten, waren unter anderem mehrere Polizeistationen überrannt und zerstört worden – eine Racheaktion nach der in den Vorwochen verübten Gewalt der Sicherheitskräfte.

Neu beginnende Normalität

Schrittweise beginnt sich inzwischen das Alltagsleben zu normalisieren. Metrozüge in der Hauptstadt Dhaka fahren wieder, die Reparaturarbeiten an zwei verwüsteten Bahnhöfen dürften aber Monate dauern. Zur Wochenmitte starteten auch die Textilfabriken wieder ihre Produktion: Die Branche ist im Umfang von 4,5 Milliarden Dollar das Rückgrat der Exportwirtschaft. Die Universitäten kehren zum normalen Lehrbetrieb zurück – die University of Chittagong avisiert dies für den 19. August. An der Rajshahi University trat deren Leiter zurück. Die Chittagong University of Engineering and Technology hat jedoch angekündigt, künftig politisches Engagement auf ihrem Campus offiziell zu untersagen.

Derweil rollen an vielen Stellen sinnbildlich die Köpfe: Ein unbelasteter neuer Polizeichef wurde ernannt, Beschäftigte der Zentralbank erzwangen den Rücktritt eines Vizechefs und wollten gleich die komplette Führungsriege ersetzt sehen.

Bei einem Treffen im Präsidentenpalast Bangabhaban waren am Dienstag erste Weichenstellungen für den Neubeginn vorgenommen worden. Dem 76-jährigen Staatsoberhaupt Shahabuddin, selbst seit seiner Jugend in der bisher regierenden Awami-Liga (AL) Hasinas verankert, aber ein anerkannter Jurist, kommt nun ebenso wie dem Interimspremier Yunus eine Schlüsselstellung zu. Es waren die Vertreter der SAD, die bei dieser Beratung die Personalie Yunus durchgesetzt haben und sogar die ebenfalls anwesende versammelte Militärführung in die Schranken wiesen, sich nicht in politische Belange einzumischen.

Die Rolle der Awami-Liga

Hasina sitzt vorläufig im benachbarten Indien fest, wohin sie am Montag ausgeflogen wurde. Die neue Labour-Regierung von Keir Starmer weigert sich bislang, ihr das angestrebte Asyl in Großbritannien zu gewähren, wohin sie enge familiäre Bindungen hat. Auch ein US-Visum soll gestrichen worden sein. Die Führer der Studentenbewegung würden Hasina am liebsten in der Heimat vor Gericht gestellt sehen. Einige hohe Regierungskader, die sich in ihrem Gefolge ebenfalls absetzen wollten, wurden an der Flucht gehindert.

Hauptaufgabe der Interimsadministration wird sein, Neuwahlen vorzubereiten.

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Hauptaufgabe der Interimsadministration wird sein, Neuwahlen vorzubereiten. Laut Verfassung müssen diese binnen 90 Tagen erfolgen, nachdem der Präsident auch das bisher von der AL dominierte Parlament aufgelöst hat. In den einheimischen Medien wird derzeit die Frage diskutiert, welche Rolle die im Kern linksliberale, selbst bei einstigen linken Bündnispartnern aber wegen ihres zuletzt autoritären Kurses inzwischen diskreditierte Awami-Liga künftig noch spielen mag. Die bislang wichtigste oppositionelle Kraft, die rechtskonservative Bangladesh Nationalist Party (BNP) von Hasinas Erzrivalin Begum Khaleda Zia, wittert derweil zwar Morgenluft, ist aber geschwächt und genießt selbst nicht den besten Ruf. Die gesundheitlich angeschlagene Khaleda kam wie andere inhaftierte Oppositionsvertreter frei.

Der Herausgeber und Chefredakteur von »The Daily Star«, einer der größten Tageszeitungen, beruhigte in einem Interview mit dem indischen Wochenmagazin »The Week« Politik und Menschen im Nachbarland ebenso wie die Weltöffentlichkeit: Sein Land übe nach 15 Jahren einen demokratischen Neustart, wofür es Unterstützung brauche. Die Zusammensetzung der Interimsadministration mag dabei den erklärten Willen untermauern, trotz der Fokussierung auf transparente freie Wahlen in kurzer Zeit auch einige tiefgreifende Reformen anzugehen. Dies habe »oberste Priorität«, wie SAD-Sprecher Nahid Islam bei seiner Vereidigung unterstrich.

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