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Mit Pudeln ins Büro
Ein Lob auf das Officehome und das immaterielle Kulturgut deutscher Büroalltag
Viele haben es sich nach der Corona-Pandemie im Homeoffice gemütlich eingerichtet. Es arbeitet sich einfach leichter, wenn man mit ungeputzten Zähnen und ohne Hose vor dem heimischen Rechner sitzt und nebenher gut hörbar über den Beziehungsstand der Nachbarn informiert wird. Arbeiten von zu Hause ist zudem effektiv, weil nebenher noch viele andere wichtige Dinge erledigt werden können. Man kann zum Beispiel den Bio-Eimer ausspülen, den Fugenschimmel im Bad abkratzen, die Amazon-Pakete der Nachbarn annehmen und ganz generell seine Mieteinheit verwohnen.
Doch einige Unternehmen sehen den hohen Homeoffice-Anteil ihrer Angestellten kritisch. Der Austausch vor Ort unter den Mitarbeitern ist nämlich wichtig und unersetzbar. Dafür reicht eine Telefonkonferenz nicht aus, denn nur, wenn man den Kaffeeatem der Kollegen auch wirklich riecht und dem Chef die Oberschenkel der jungen Nachwuchskraft auch haptisch erfahrbar werden, kann soziale Interaktion im Arbeitsalltag gelingen und die Arbeitsmoral ins Unermessliche steigen.
Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.
Um ihr Personal wieder in die Büros zu locken, setzen einige Unternehmen auf kulinarische Lockangebote. In den Kantinen werden nun Shrimps an Avocado, Ossobuco und Pakora kredenzt. Mancherorts wurden sogar Bars eingeführt. Wer will da noch zu Hause bleiben? Auch mein Arbeitgeber lässt sich nicht lumpen. Beim Eulenspiegel bekommen seit jeher alle Mitarbeiter kostenlosen Kaffee und Wasser aus dem Hahn. Auch für die Benutzung des firmeneigenen Toilettenpapiers (in vernünftigen Maßen) müssen wir nichts zahlen. Kein Wunder, dass auf unseren Redaktionsfluren geschäftiges Treiben herrscht und unsere Firma von Rekordgewinn zu Rekordgewinn eilt …
Damit andere Unternehmen wirtschaftlich genauso erfolgreich werden können wie die Eulenspiegel GmbH, sollten sie dafür sorgen, dass die Arbeit im Büro noch attraktiver wird. Es kostet nicht die Welt, für die Frühstückspause einen Unterhaltungskünstler zu engagieren, der im Konferenzraum eine Pudeldressur zu den Klängen von Carmina Burana aufführt. Für den Zusammenhalt und den Teamspirit der Belegschaft sind solche und ähnliche Angebote (zum Beispiel eine Katzendressur) allerdings unbezahlbar.
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Und wenn Homeoffice nicht mehr gewollt ist, dann sind in Zeiten von steigenden Mieten vielleicht Officehomes eine Lösung. Dazu muss man als Unternehmer nichts weiter tun, als seinen Mitarbeitern Betten und Kleiderschränke in die Büros zu stellen. So ein unschlagbares Angebot würde vielleicht sogar den Yuppie-Fraß in den Kantinen überflüssig machen.
Solche und ähnliche Maßnahmen müssen jetzt umgesetzt werden. Denn der deutsche Büroalltag ist ein immaterielles Kulturgut, das nicht sterben darf. Mit ihm stürbe der Kartoffelsalat zur Geburtstagsfeier in der Kaffeeküche, das sommerliche Gebrumme des Ventilators und das althergebrachte Handwerk der Ablage. Man sollte ihn unter strengen Schutz stellen und die Unesco sollte ihn als Weltkulturerbe klassifizieren. Dann kommen in einigen Jahren vielleicht asiatische Touristen und bestaunen diese wunderbare Arbeit, die man nur noch in Deutschland bestaunen wird können. Wenn es dann irgendwann mal so viele Touristen werden, dass sie die Arbeit stören, kann man ja mal ausnahmsweise ins Homeoffice.
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