Ost-Berlin an der Spree: Vom Industriegebiet zur Schwammstadt

Entlang der Spree im Osten Berlins entstanden einst zahlreiche Industriegebiete. Floßreisende nehmen deren nachhaltige Entwicklung in den Blick

Hausboote am Rande der Rummelsburger Bucht: Während Schadstoffe entfernt und Ufer renaturiert werden, ist das alternative Leben in der Bucht gefährdet.
Hausboote am Rande der Rummelsburger Bucht: Während Schadstoffe entfernt und Ufer renaturiert werden, ist das alternative Leben in der Bucht gefährdet.

Von Ost nach West fließt die Spree gemächlich durch die Hauptstadt. Nur in der Rummelsburger Bucht steht das Wasser still – in einem »45 Hektar großen seenartigen Seitenarm«, wie der Berliner Senat schreibt. Hier, umzingelt von teuren Neubaugebieten in Lichtenberg und Friedrichshain, hat sich ein Stück alternatives Leben retten können. Selbst gebaute Hausboote und Flöße liegen auf dem Wasser und an den Ufern, darunter auch die »Anarche«. Sie ist ein sogenanntes Kulturfloß – nicht bewohnt, aber für Veranstaltungen genutzt. Am vergangenen Montag brachte die »Anarche« etwa 30 Menschen bis nach Grünau und wieder zurück. Der Verein Helle Panke der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte eine ganztägige Floßrundfahrt, um sich mit nachhaltiger Stadtentwicklung zu beschäftigen.

Das Thema wird schon beim Start der Tour in der Bucht angegangen. »Hier haben sich viele giftige Sedimente auf dem Grund abgesetzt«, sagt Susann Ullrich von der Arbeitsgruppe »Rummelsburger Bucht« des Berliner Naturschutzbundes (Nabu). Ursache sei die ehemals in der Bucht angesiedelte Industrie gewesen, darunter ein Asphaltwerk und chemische Industrie, wodurch Chemikalien, Schwermetalle und mehr in das Wasser eingeleitet worden sind. Es seien bereits um die Jahrtausendwende Versuche unternommen worden, die Schadstoffe aus dem Wasser zu entfernen, sagt Ullrich. »Man hat aber festgestellt, dass das sehr aufwendig und wahnsinnig teuer ist.«

Inzwischen ist aber die Sanierung eines Teils des Sees am nordwestlichen Ende der Bucht, wo auch das große Aquarium samt Hotel »Coral World« gebaut wird, in vollem Gange. Hier will der Senat auf einer Fläche von drei Hektar stark durch Schadstoffe belastete Sedimente aus dem See entfernen. »Es wurde versprochen, das Ufer danach zu renaturieren«, sagt Ullrich. So soll die Fläche wieder als naturnaher Lebensraum für Pflanzen und Tiere hergestellt werden.

Naturnahe Ufer sind ein zentrales Anliegen der Rummelsburger-Bucht-Arbeitsgruppe des Nabu. »Es gibt hier Biber und Fischotter an den Ufern«, sagt Ullrich. An einer Stelle zwischen den bebauten Uferabschnitten auf der Stralauer Halbinsel wachsen Büsche, Bäume ragen ins Wasser. Teich- und Seerosen sind zu sehen. »Das ist ein wichtiger Raum für Libellenlarven und andere Insekten«, sagt Ullrich. Auch Wasservögel lassen sich blicken: Auf einem Ast im Wasser sitzen ein Reiher und ein Kormoran. Zwischenzeitlich hatten diese auf der sogenannten Schwanenwiese einen schwierigeren Stand, weil sich Passant*innen einen breiten Trampelpfad durch die bewachsene Fläche am Ufer geschaffen hatten. »Das war schlecht für die Wasservögel.« Zusammen mit den Anwohner*innen habe der Nabu die Fläche daraufhin mit Totholzhecken abgegrenzt, der Trampelpfad sei schnell verschwunden, die Wasservögel waren wieder glücklich.

Um Berlin nachhaltig zu gestalten, braucht es nicht nur Räume für Tiere und Pflanzen und schadstoffarme Gewässer, sondern auch einen sinnvollen Umgang mit Regenwasser. Weil die Sommer tendenziell trockener und heißer werden und der Regen, wenn er fällt, vermehrt in großen Mengen, welche die Kanalisation überlasten, soll Berlin zum Schwamm werden: Das Regenwasser soll vor Ort eingesetzt werden, etwa zur Bewässerung von Grünflächen und Bäumen, oder durch Versickerung zur Anreicherung des Grundwassers, oder durch Verdunstung zur Abkühlung. Um mehr zur lokalen Regenwasser-Bewirtschaftung zu erzählen, ist Kay Joswig von den Berliner Wasserbetrieben mit an Bord der »Anarche«.

»Es gibt hier Biber und Fischotter an den Ufern.«

Susann Ullrich Nabu Berlin

»Hier an der Rummelsburger Bucht wurden schon zur Expo vor über 20 Jahren Maßnahmen der Schwammstadt umgesetzt«, sagt Joswig. Zur Weltausstellung im Jahr 2000 in Hannover hatte Berlin mit einer Ausstellung zum Thema »Wasser in der Stadt« auf der Stralauer Halbinsel beigetragen. Im damals entstehenden Neubaugebiet Rummelsburger Bucht wurde das Regenwasser vor Ort über Mulden am Straßenrand versickert, sagt Joswig. Dieses System habe sich bewährt und funktioniere immer noch.

Das Regenwasser wird auf dem Weg durch die Mulden in das Grundwasser gefiltert. Weil es diese Mulden schon so lange gibt, werden regelmäßig Untersuchungen von den Berliner Wasserbetrieben durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass die oberen Bodenschichten der Mulden Schadstoffe sehr gut zurückhalten, sagt Joswig. Aktuelles Ziel ist es, die Mulden klimaangepasst und attraktiver zu gestalten. Hierzu laufen derzeit Untersuchen der Technischen Universität Berlin zur Bepflanzung mit Sträuchern oder ähnlichem.

Inzwischen gibt es bei Neu- und Umbauprojekten in Berlin die gesetzliche Vorgabe, dass kein Regenwasser in die Kanalisation abgeleitet werden darf, es muss also vor Ort genutzt werden. So auch bei einem großen geplanten Gewerbegebiet in Oberschöneweide, wo die »Anarche« auf ihrer Reise gen Osten anlegt. Hier am Behrens-Ufer an der Spree, etwas östlich der Hochschule für Technik und Wirtschaft, soll aus einem alten Industriegebiet ein ganzes Stadtquartier gebaut werden. Das Unternehmen DIEAG entwickelt das zehn Hektar große Quartier, das ein Gewerbegebiet bleiben soll – allerdings rund um die Uhr offen für Anwohner*innen und Besucher*innen, wie Pressesprecher Gregor Keck zu den Floßreisenden sagt.

Nicht nur wird hier das Regenwasser vollständig vor Ort genutzt, sondern das Gebiet soll sich auch selbstständig mit Energie versorgen. Dafür soll auf Tiefen-Geothermie zurückgegriffen werden, sagt Keck. In Abstimmung mit dem Senat soll hier eine entsprechende Pilotanlage gebaut werden, um Erdwärme in einer Tiefe von viereinhalb Kilometern zu gewinnen. »Damit können wir uns versorgen und darüber hinaus auch noch die Haushalte in der Umgebung«, sagt er.

Noch weiter östlich, inzwischen nicht mehr auf der Spree, sondern auf der Dahme unterwegs, legt die »Anarche« in Grünau an, wieder an einem ehemaligen Industriegebiet. Hier hat das private Wohnungsbau-Unternehmen Buwog ein Wohnquartier entwickelt. In dessen Mitte wird das Regenwasser der umliegenden Gebäude in drei Wasserbecken aufgefangen. »Die Gesamt-Wasserfläche der Becken beträgt 6000 Quadratmeter«, sagt Joswig von den Wasserbetrieben. Über verschiedene Filtersysteme wird das Wasser gereinigt. Eine Einleitung in die Dahme oder Bewässerung von Pflanzen erfolgt nicht. Stattdessen verdunstet das Regenwasser überwiegend.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Zurück in der Rummelsburger Bucht, wo die »Anarche« einen festen Anlegeplatz hat, sind die Floßreisenden am frühen Abend erschöpft von einem heißen Sommertag auf dem Wasser und den Führungen an Land. Die Crew der »Anarche« berichtet, dass viele der Hausboote und Kulturflößer um ihren Platz in der Bucht kämpfen müssen. Denn eine neue Verordnung des Bundesgesetzes verbietet seit Juni das Ankern in der Bucht, ohne dass sich Menschen auf den Booten oder Flößen befinden. Das mache vielen das Leben dort sehr schwer, sagt ein Mitglied der Crew.

Das Kollektiv rund um die »Anarche« ist zur Verteidigung der Interessen der Kulturflößer in der Bucht Teil des Dachverbands »Spree:publik«, der Kulturveranstaltungen wie den »Rummel auf der Bucht« veranstaltet. Gemeinsam organisiere man aktuell, dass alle Boote und Flößer rund um die Uhr besetzt sind, um nicht gegen die neue Verordnung zu verstoßen. Allgemein gehe es dem Zusammenschluss um eine »freie Bucht für alle«, wie ein Mitglied des Kollektivs sagt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.