USA: Neue Streikwelle bei Amazon?

Gewerkschaft nimmt ausbeuterische Arbeitsbedingungen in Subunternehmen ins Visier

  • Julian Alexander Hitschler
  • Lesedauer: 4 Min.
Bereits im vergangenen Jahr streikten Beschäftigte bei Amazon in Palmdale. Nun nimmt die Gewerkschaft auch Subunternehmen in die Mangel.
Bereits im vergangenen Jahr streikten Beschäftigte bei Amazon in Palmdale. Nun nimmt die Gewerkschaft auch Subunternehmen in die Mangel.

Bei Amazon in den Vereinigten Staaten könnte eine neue Welle der gewerkschaftlichen Organisierung bevorstehen. Am Standort Palmdale in Kalifornien sowie an weiteren Niederlassungen in den USA wehren sich die Beschäftigten derzeit gegen die teils alarmierenden Arbeitsbedingungen bei Subunternehmen. In Palmdale stehen vorrangig Vertragspartner im Fokus, die von Amazon mit der Zustellung von Paketen beauftragt werden. Laut der Gewerkschaft Teamsters ist es der sechste Amazon-Standort in den USA, an dem sich die Beschäftigten organisieren und die Arbeit teilweise niederlegen.

Bei Battle-Tested Strategies waren zuletzt 80 Zustellerinnen und Zusteller beschäftigt, und ihr Kampf gewann zunächst an Dynamik: Im April hatten sich Fahrerinnen und Fahrer sowie das Leitstellenpersonal der Logistikgewerkschaft Teamsters angeschlossen, die im ganzen Land aktiv ist. Seither machen die Beschäftigten Druck für Verbesserungen.

Die Teamsters zählen laut eigenen Angaben rund 1,3 Millionen Mitglieder und organisieren Arbeiterinnen und Arbeiter in der gesamten Logistikbranche. Die Gewerkschaft vertritt auch die Fahrerinnen und Fahrer beim Paketzusteller UPS, wo deutlich bessere Arbeitsbedingungen herrschen als für die Zustellerinnen und Zusteller bei Amazon. »Jeff’s Bozos« – also »Jeffs Deppen« – hätte ein Kunde sie deshalb einmal genannt, berichtet die Fahrerin Brandi Diaz gegenüber dem US-Gewerkschaftsblog »Labor Notes«. Die Botschaft sei angekommen. Auch sie sei nun überzeugt, dass sich nur durch gewerkschaftliche Organisierung etwas zum Besseren verändere: »Ich bin keine von Jeffs Deppen mehr.«

Der Arbeitskampf der Teamsters bei Battle-Tested Strategies hatte zunächst auch Erfolg: Laut »Labor Notes« habe das Unternehmen Lohnerhöhungen von 19,75 Dollar auf 30 Dollar pro Stunde zugestimmt; auch bei den Arbeitsbedingungen habe es Verbesserungen gegeben. Doch gerade in Subunternehmen ist es kompliziert, die Verbesserungen tatsächlich auch durchzusetzen. Denn um die Lohnerhöhung zu finanzieren, hätte der Dienstleister eine Kompensation durch Amazon erhalten müssen. Die aber verweigerte der Konzern. Stattdessen wurde der Vertrag mit Battle-Tested Strategies gekündigt.

Ein Vorgehen, das die Gewerkschaft scharf kritisiert. Zum Geschäftsmodell von Amazon gehört ein Netzwerk von Subunternehmern, die die sogenannte letzte Meile zu Haushalten und Unternehmen beliefern. Der Konzern ist oft der einzige Kunde dieser Vertragspartner, doch der Logistikriese verweist stets auf ihre Unabhängigkeit.

Die Teamsters sind dagegen überzeugt, dass Amazon juristisch als Mitarbeitgeber bezeichnet werden muss. Denn der Konzern übt eine weitreichende Kontrolle über seine Vertragspartner in der Zustellung aus. So bestimmt Amazon Mindestlöhne, Arbeitszeiten, Routen und Zustellquoten, Fahrzeugmodelle und Uniformen der Zustellerinnen und Zusteller. Sogar wie viele Wasserflaschen die Beschäftigten auf ihre Touren mitnehmen dürfen, ist durch Amazon-Regularien festgeschrieben.

»Amazon will das Beste aus beiden Welten: totale Kontrolle über die Betriebsabläufe, aber keinerlei juristische Verantwortung als Arbeitgeber«, so der Arbeitsforscher David Weil gegenüber »Labor Notes«. Diese Art von Arrangement wird nun von den Teamsters infrage gestellt, die im Mai die nationale Tarifbehörde eingeschaltet haben.

Seit ihrer Entlassung im Juni ziehen die ehemaligen Beschäftigten von Battle-Tested Strategies mit Unterstützung der Gewerkschaft von einem Amazon-Standort zum nächsten. Dort machen sie auf ihre Situation aufmerksam und wollen andere Arbeiterinnen und Arbeiter davon überzeugen, sich ebenfalls gewerkschaftlich zu organisieren. Vom Vorgehen des Konzerns wollen sie sich nicht abschrecken lassen.

Die Arbeitsbedingungen an US-Amazon-Standorten stehen immer wieder in der Kritik und gelten teilweise als gesundheitsgefährdend. Beschäftigte aus Palmdale klagten gegenüber »Labor Notes« über defekte Klimaanlagen in ihren Fahrzeugen, was die Zustellung in der Hitze der südkalifornischen Wüste unerträglich mache, sowie über Durst und Hundeattacken. Amazon erwarte von den Fahrerinnen und Fahrern, in einer Acht-Stunden-Schicht etwa 300 Pakete auszuliefern, und das in Fahrzeugen ohne funktionierende Klimaanlage, so der Zusteller Jessie Moreno gegenüber dem Lokalsender ABC7. »Die Türen sind kaputt. Wenn wir mehrfach ein Problem mit einer Route melden, wird Amazon trotzdem nicht aktiv«, so Moreno.

Auch die Beschäftigten des New Yorker Amazon-Standorts JFK8 auf Staten Island, die sich als erster Standort in den USA in der unabhängigen Hausgewerkschaft Amazon Labor Union organisiert hatten, sind inzwischen den Teamsters beigetreten. Um die Amazon Labor Union war es zunächst eher ruhig geworden, das Modell unabhängiger Organisierungskampagnen scheint sich nur schwer auf andere Niederlassungen übertragen zu lassen.

Gegenüber ABC7 gab Amazon an, die Teamsters und Battle-Tested Strategies würden »die Faktenlage absichtlich falsch darstellen«. »Das Unternehmen hat eine Vorgeschichte von schlechten Leistungen und eines unsicheren Umfelds«, so eine Unternehmenssprecherin. Dies habe man zum Anlass genommen, den Vertrag mit dem Subunternehmen zu kündigen.

Amazon konnte seinen Umsatz laut eigenen Angaben im zweiten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahr um rund 10 Prozent auf knapp 148 Milliarden US-Dollar steigern. Das Wachstum geht primär auf Zuwächse in Nordamerika und dem Cloud-Service Amazon Web Services zurück.

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