Grüne in Ostsachsen: Wo Gegenwind für Wahlkampf-Energie sorgt

Franziska Schubert kämpft in der ländlichen, AfD-dominierten Oberlausitz gegen den Bedeutungsverlust der Öko-Partei

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 8 Min.
Eine Grüne im Kornfeld: Franziska Schubert, die im Wahlkampf in der Oberlausitz einigen Gegenwind aushalten muss
Eine Grüne im Kornfeld: Franziska Schubert, die im Wahlkampf in der Oberlausitz einigen Gegenwind aushalten muss

Am Nachmittag gibt es auf einer abgemähten Blühwiese in Ostsachsen Balsam auf die grüne Seele. Dort, wo bis vor Kurzem noch Mauretanische Malve und Buchweizen blühten, findet auf einer Fläche des Ökohofs Gut Krauscha der erste Spatenstich für Sachsens bislang größte »Agri-PV-Anlage« statt, die grünen Sonnenstrom erzeugt, während die landwirtschaftliche Produktion weiterläuft. Errichtet wird sie von der Firma Next2Sun. Deren Geschäftsführer Sascha Krause-Tünker stimmt ein Loblied auf grüne Energiepolitik an. Es sei »auf den Marktplätzen des Landes gerade populär, auf die Grünen zu schimpfen«, sagt er. Allerdings sei in den Jahren ihrer Regierungsbeteiligung der Ausbau der erneuerbaren Energien rasant vorangetrieben worden. »Die Grünen haben das Land vorangebracht«, sagt er: »Das müssen wir auch mal zur Kenntnis nehmen.«

Franziska Schubert freut sich über solche Streicheleinheiten. Allzu viele davon gibt es dieser Tage nicht für die Fraktionschefin der Grünen im sächsischen Landtag. Sie steckt mitten im Wahlkampf für die Landtagswahl am 1. September, als Teil eines Spitzentrios, zu dem außer ihr die beiden grünen Minister Katja Meier und Wolfram Günther gehören. Vor einer einfachen Aufgabe stehen sie nicht. Ihre Partei, die seit 2019 erstmals im Freistaat mitregierte, muss nicht nur um die Regierungsbeteiligung bangen, weil CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer betont, nicht erneut mit der Ökopartei koalieren zu wollen. Sie muss angesichts von sechs Prozent in den Umfragen auch fürchten, den Wiedereinzug in den Landtag gänzlich zu verfehlen.

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Zudem ist die Stimmung der Partei gegenüber ausgesprochen feindlich. An Infoständen kämen »auf ein gutes Gespräch drei schlimme«, sagt Schubert: »Wir bekommen viel Prügel ab und werden für alles Schlechte verantwortlich gemacht.« Immerhin, sagt sie auf Gut Krauscha ironisch, könne ihre Partei mit derlei Widrigkeiten besser umgehen als andere: »Wenn uns der Wind besonders heftig ins Gesicht weht, wissen wir, dass wir daraus Energie erzeugen können.«

In dem Ökobetrieb kommt der Wind ausnahmsweise mal nicht von vorn, obwohl, wie Schubert vorab versichert hat, selbst das »kein reiner Wohlfühltermin« werde. Er belegt, dass auch klassische Herzensanliegen der Ökopartei Konflikte bergen: die Erzeugung von immer mehr grünem Strom auf der einen Seite, eine schonende Landwirtschaft und Naturschutz auf der anderen. Die Anlage, die Krause-Tünkers Firma errichtet, löst das Problem, indem die Solarpaneele als vertikale Wände aufgestellt werden: »So nehmen wie den Landwirten keine Flächen weg.« Theoretisch könne zwischen den Modulreihen weiter Getreide wachsen. Dass darauf im konkreten Fall kaum noch zu hoffen ist, liege am Klimawandel und zunehmender Trockenheit, sagt Hans Joachim Mautschke, Geschäftsführer von Gut Krauscha. Unter derart veränderten Bedingungen »glaube ich nicht mehr an den Erfolg von Landwirtschaft auf diesem Sandboden«, sagt er. Also »muss das Geld anderswo herkommen: von der Sonne«.

Mautschke ist ein knorriger Typ, aber keiner, der angesichts von Widrigkeiten die Flinte ins Korn wirft. In Ostsachsen, wo ansonsten verbreitet jeder Dritte die Ressentiment-Partei AfD wählt, gebe es immerhin auch viele wie ihn, sagt Schubert: Menschen, die »zuversichtlich Dinge gestalten und nicht nur sagen: Machen wir nicht«. Es ist eine Haltung, die auch die überzeugte Oberlausitzerin Schubert ausmacht. Als die heute 42-jährige Fleischerstochter nach einem unter anderem in Budapest absolvierten Studium der Wirtschafts- und Sozialgeografie in ihren Heimatort Neugersdorf zurückkehrte und damit in eine Gegend, die von industriellem Niedergang und Abwanderung gezeichnet war, gründete sie ein Bündnis mit dem programmatischen Namen »Zukunft Oberlausitz«. Es ging darum, Rückkehrer in die Region zu holen und Ansätze für eine Gemeinwohlökonomie zu etablieren. Einer ihrer Ex-Mitstreiter ist heute CDU-Landrat im Kreis Görlitz.

Schubert kennt diesbezüglich keine Scheuklappen. Zwar beteuert sie, mit ihren Herzensanliegen wie der »Bewahrung der Schöpfung«, Gleichberechtigung, Bürgerbeteiligung und Frieden sei für sie »keine andere Partei als die Grünen infrage gekommen«. Für diese zog sie 2014 zunächst in Stadtrat und Kreistag ein und nach dem Ausscheiden der einstigen sächsischen Spitzengrünen Antje Hermenau auch in den Landtag. Diese hatte hingeworfen, weil Gespräche ihrer Partei mit der CDU über eine mögliche Koalition noch gescheitert waren. Als 2019 nur ein Bündnis der CDU mit Grünen und SPD die AfD von der Macht fernhalten konnte, gehörte Schubert zu denen, die darin eine Chance sahen. Man hoffte, frischen Wind in Sachsens Politik bringen zu können. »Alle dachten: Das kann was werden«, erinnert sie sich. Auch CDU-Mann Kretschmer habe »viel vom Ermöglichen und von Zuversicht geredet«.

Die Zeiten sind vorbei. Zwar hat die sächsische »Kenia«-Koalition nach Einschätzung Schuberts deutlich besser funktioniert als die Ampel in Berlin. Ein Scheitern habe aus Sicht der Grünen »nur in zwei, drei Momenten« gedroht, etwa als man sich mit der CDU über die Bauordnung und die darin geregelten Abstände zwischen Windrädern und Wohngebäuden in die Haare geriet. Zuletzt war bei der Ökopartei von Vertragsbrüchigkeit die Rede, als die CDU ein mühsam ausgehandeltes Agrarstrukturgesetz vom Tisch wischte. Ansonsten aber habe das Bündnis viel zusammen geschafft: »Es ist besser als sein Ruf.«

Die Entfremdung begann 2021, nachdem die Grünen mit der zweiten Regierungsbeteiligung im Bund einen großen politischen Erfolg errungen hatten – allerdings auf Kosten der CDU, die in Berlin in die Opposition musste. Deren sächsischer Landeschef Kretschmer schaltete umgehend in den Angriffsmodus, nannte die Grünen »übergriffig« und stilisierte sie zu politischen Antagonisten. Schubert ist überzeugt, dass dahinter weniger Überzeugung als politisches Kalkül steckt. Allerdings gehe das permanente verbale Einprügeln an ihrer Partei nicht spurlos vorbei: »Wie soll man danach wieder zusammenfinden?!«, fragt sie und ist sich unsicher, ob die Zustimmung der Basis zu einer möglichen neuen Koalition so klar ausfiele wie 2019: Die Stimmungslage sei »sehr verändert«.

Allerdings ist auch die Stimmung gegenüber den Grünen in der Gesellschaft sehr verändert. 2021 sah es kurzzeitig so aus, als könne die Partei mit Annalena Baerbock erstmals eine Kanzlerin stellen. Zwei Jahre zuvor hatte es Franziska Schubert bei der Oberbürgermeisterwahl in Görlitz auf beachtliche 27,9 Prozent gebracht. In jenem Jahr wurde die Ökopartei in Sachsen, wo sie nie einen leichten Stand hatte und lange Jahre gar nicht im Landtag vertreten war, bei zweistelligen Werten geführt. »Wir hatten uns weit vorangearbeitet«, sagt Schubert. Der Höhenflug war von kurzer Dauer. Der Berliner Soziologe Andreas Reckwitz stellte kürzlich fest, bei den Grünen finde eine »Reduktion auf die Stammwählerschaft« statt. Schubert sagt: »Wir verlieren die Mitte, die wir gerade erst gewonnen hatten.«

Dass es so gekommen ist und für die Ökopartei in Sachsen inzwischen wieder »um die Existenz geht«, hat mehrere Gründe. Der Kulturkampf, den Kretschmer & Co. angezettelt haben, zeitigt gerade in ländlichen Regionen wie Schuberts Oberlausitzer Heimat Wirkung. Der von der AfD plakatierte Satz »Alle anderen sind grün« zeigt, wie sehr die Ökopartei dort inzwischen als Inbegriff alles Bösen gilt. Deren eigenes Agieren in Berlin habe freilich dazu beigetragen, räumt Schubert ein. Das Heizungsgesetz sei gerade in Ostdeutschland, wo Einkommen und Vermögen kleiner seien als im Westen, als »eine Nummer zu heftig« empfunden worden; auch bei anderen sozialen Vorhaben wie der Kindergrundsicherung habe man ungeschickt agiert und schlecht kommuniziert.

Dazu kommt das Thema Ukraine. Als der Überfall Russlands im Februar 2022 eine Flüchtlingswelle auslöste, fungierte Schubert ihr Görlitzer Abgeordnetenbüro in eine Hilfszentrale um, in der Unterkünfte und Verpflegung für Tausende Neuankömmlinge organisiert wurden. »Die Verwaltung«, sagt sie, »war ja völlig überfordert.« Der Kontakt mit den unter dem Krieg leidenden Ukrainern bestärkte sie in der Haltung, dass dem Land geholfen werden müsse – auch mit Waffen. In Ostsachsen, wo nicht wenige Menschen mit Russland-Fahnen demonstrieren und die politische Konkurrenz Friedenstauben plakatiert, ist das nicht populär. »Wir wanken da nicht«, sagt Schubert, »aber gerade im Osten ist es für uns noch schwieriger geworden.«

Unterkriegen lassen will sie sich davon nicht. Zum Auftakt der Wahlkampagne ermunterte sie ihre Parteifreunde, nicht nur in der eigenen Blase um Stimmen zu werben: in der Dresdner Neustadt und in Leipzig-Plagwitz, unter überzeugten E-Auto- und Lastenradfahrern. Vielmehr müsse man auch dorthin gehen, wo »hartes Pflaster« wartet: zum Infostand in Görlitz oder zum Gut Krauscha, gelegen in der Gemeinde Neißeaue, wo die AfD bei der Europawahl im Juni 56 Prozent holte. Während beim Spatenstich auf der abgemähten Blühwiese die grüne Energiepolitik gelobt wird, kurbelt am Straßenrand eine Frau ihr Autofenster herunter: »Haut ab! Wir brauchen euren Solarpark nicht!« Reine Wohlfühltermine gibt es im grünen Wahlkampf in Ostsachsen nicht.

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